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Emanuel Pogatetz

Goal Magazin 2007
MAD DOG GANZ HANDZAHM

Zu Besuch bei Emanuel Pogatetz der in Middlesbrough in der härtesten Liga der Welt mitmischte.

 

England, ganz oben rechts, so ziemlich bei der vorletzten Klippe vor Schottland – dort liegt Middlesbrough. In diesem Eck der Insel ist es so britisch, britischer geht nicht. Nicht Rosamund-Pilcher-getönt, mehr Monty Python. Trügerisch ziehen sich sanfte, grüne Weiden bis zu den Dünen der Nordsee. Und stünden da nicht plötzlich die riesigen Betonbauten der Stahlindustrie, man würde wirklich auf die Idylle reinfallen.

 

Auf den ersten Blick beschaulich und leicht verschlafen gibt sich auch der 150.000-Seelen-Ort. Eine moderne Fußgängerzone, eine kleine Uni, ein James-Cook-Haus – der ist hier irgendwo geboren – und alle paar Meter ein Bankomat. Recht unaufgeregt also, aber auch das täuscht. Ab Freitagabend herrscht im Zentrum von Middlesbrough Ballermann. Da stehen kreischende englische Teenager im Nieselregen Schlange vor unzähligen Pubs und Clubs, deren dunkle Eingänge man am Tag glatt übersehen hat. In knappen Miniröcken, goldenen Stöckelschuhen und schulterfreien Tops trotzen sie dem Wetter und ihrem tristen Alltag. Endlich drinnen halten sich die Boys an ihren Biergläsern fest, während ihre Paris-Hilton-Lookalikes ausgelassen auf den Tischen tanzen. Nur an Amy Winehouse müssen sie noch arbeiten. Mit 10 Kilo zu viel an den Hüften, hilft auch der dickste Lidstrich nichts. Beim gemeinschaftlichen Absingen von „Valerie“ aber passt jedes Wort, bekommt auch die verlorenste Seele noch etwas Glamour ab. Nach Mitternacht ist der Spuk vorbei, wiederholt sich Samstagnacht, bevor man sich am Sonntag langsam wieder auf die eintönige Woche einstimmt.

„Ich komme nur zum Fußball spielen in die Stadt.“ Nein, ein Kerl wie Emanuel Pogatetz hat in dem Kaff, das 2007 von Channel 4 zum „worst place to live in UK“ gewählt wurde, außerhalb des Stadions wirklich nichts verloren. Außer es würde ihm nach einem heftigen Bad in der Menge plus exzessiven Autogramme schreiben gelüsten. Denn Fußball ist hier eines der wenigen Dinge, wofür sich das Leben zu lohnen scheint. „Die Fans identifizieren sich mit dem Verein wie vielleicht nirgendwo anders in England. Sie geben ihr letztes Geld für ein Season-Ticket aus, verzichten dafür sogar auf den Urlaub.“ Klar, dass die auch im Stadion eine Stimmung machen wie beim Saturday-Night-Fever, ihre Kicker wie Helden feiern, selbst wenn Boro heuer nur knapp dem Abstieg aus der Premier League entronnen ist.

 

„Als ich vor drei Jahren her kam, hat mich diese Atmosphäre ganz schön angesteckt.“ Nur allzu gerne ließ sich Pogatetz mitreissen und war auch sofort Feuer und Flamme für die körperbetonte Spielweise der Briten. Das Ergebnis: 14 gelbe Karten und der Spitzname „Mad Dog“, weil er wirklich vor nichts zurückschreckte. Das habe sich gebessert, meint der Österreicher und schaut dabei so treuherzig, dass man ihm sofort die eigene Oma zur Pflege überlassen würde. Vier Gelbe waren es nur mehr in dieser Saison, denn er hat gelernt. Vor allem von Jonathan Woodgate, der im Vorjahr von Real Madrid geholt wurde, heuer aber weiter zu Tottenham Hotspurs wechselte. „Der hat in jeder Situation Ruhe bewahrt. Da habe ich das erste Mal gemerkt, dass man ein besserer Spieler werden kann, wenn man immer cool bleibt.“

Wer es allerdings jede Woche als Verteidiger mit Top-Stürmern wie Cristiano Ronaldo, Drogba oder Steven Gerrard zu tun hat, muss zwangsläufig abgebrühter werden. Und athletischer, sprich an Kilos zulegen. „Bei Drogba braucht man schon einiges um dagegen zu halten und nicht überrannt zu werden.“ 92 Kilo Kampfgewicht auf 1,90 Meter bringt Pogatetz derzeit auf die Waage, das wäre in Österreich zuviel. „Als Innenverteidiger ist das in England unterste Grenze. Aber ich muss auch linke Außenbahn spielen, da kann ich mir mehr nicht leisten.“ Kleiner Vergleich: Sol Campbell, jetzt bei Portsmouth in der Verteidigung, spielt in der 100plus-Liga.

 

Die Gefahr, dass sich Pogatetz der doch recht dicklichen britischen Normalbevölkerung optisch annähert ist sowieso recht gering. Zum einen kann er sich für britisches Essen nicht erwärmen, nicht einmal das English Breakfast lockt ihn. Lediglich ab und zu Fish’n’Chips – „aber ohne Essig!“ – sind drinnen. Zum anderen wird er von seiner Ehefrau Mirjam bekocht. Sie war es auch, die sich sofort nach der Ankunft in England auf Haussuche begeben hat. Heute wohnt die Familie eine halbe Stunde von der Stadt entfernt, in einem Estate, das man in den letzten zehn Jahren mitten in einer grünen Landschafts-Idylle aus dem Boden gestampft hat. Ein großzügig angelegtes, künstliches Dorf aus Backstein-Häusern, allesamt mit Garten drumherum. „Ich lebe gerne hier, weil es so ruhig ist. Rummel kann ich gar nicht brauchen.“

 

Obwohl sie jetzt schon drei Jahre hier sind, waren die Pogatetzen noch kein einziges Mal in London. Wenn sie überhaupt einmal Zeit und Lust haben, fahren sie ans Meer nach Whitby, Scarborough oder Hartlepool. Oder in das altenglische Städtchen Durham. Von den restlichen klingenden Namen der Insel wie Manchester, Liverpool und Co. kennt der Verteidiger nur die Stadien. Die sind dafür aber allesamt Legenden. Einzig einen Einsatz im alten Arsenal-Stadion Highbury hat er knapp verpasst, dort wird ja jetzt im neuen Emirates gespielt.

Selbst wenn Pogatetz es nicht zur Legende in der heimischen Fußball-Geschichte schaffen sollte, ein Satz wird immer seine Biografie schmücken: er war der erste Österreicher, der in der Premier League ein Tor schoß. Gegen Sunderland, und dass als Verteidiger. Mittlerweile sind es schon drei, davon eines gegen Chelsea. Dazu trägt er seit Jänner die Kapitänsschleife seines Clubs. „Eine Ehre, zu der Ausländer in England nur ganz selten kommen.“

 

Ja, hier oben ist er populär. Zwar belagern keine Paparazzi sein Haus, aber er steht unter Beobachtung. Daran muss man sich erst gewöhnen. In einem Land, wo Medien und Fußballvereine eine finanzkräftige Symbiose eingegangen sind, wird auch der kleinste Faux Pas zur fetten Schlagzeile. „Einmal wurde ich von der Polizei beim Telefonieren am Steuer erwischt. Damit hatte ich am nächsten Tag gleich die Cover-Story in der Lokalzeitung.“ Würde er bei einem der Top-4-Clubs – Chelsea, ManU, Liverpool, Arsenal – spielen, hätte er damit das Cover in der „Sun“. Die vier wären auch die einzigen, deren Ruf er erhören würde. Logisch. Aber: „Ich habe in Boro jetzt noch zwei Jahre einen Vertrag. Ich bin froh, wenn ich weiter bei diesem Traditionsverein spielen kann.“ Denn die Konkurrenz ist hart. Ein Patzer, und schon scharren zehn andere in den Startlöchern.

 

Auf der Insel wird geklotzt und nicht gekleckert, da hat selbst der kleinste Verein genug Geld, um sofort einen besseren Spieler einzukaufen. „Neben der Liga wird dazu noch FA- und Carling-Cup gespielt. Da kommt man bis auf 60 Einsätze pro Jahr.“ Das ist doppelt soviel wie in Österreich.

 

Wer einmal solche Kicker-Luft geschnuppert hat, der will kaum mehr zurück. Als Aktiver. Als Fußball-Ruheständler schon. Heimat bleibt Heimat, deshalb hat sich der Legionär jetzt schon einmal eine Wohnung am Wörthersee zugelegt. „Obwohl ich Grazer bin, haben mich ja die Kärntner irgendwann adoptiert.“ Immerhin startete er von hier aus in die weite Welt. Nach seiner Jugendzeit bei Sturm Graz wurde er mit dem FC Kärnten Cupsieger. Als Leverkusen lockte, war die Entscheidung schwer. „Ich war erst 17 und hatte noch ein Jahr bis zur Matura. Die Eltern waren gegen den Schulabbruch.“ Er zog dennoch fort. Schließlich braucht, wer clever ist, nicht unbedingt ein Schulzeugnis dafür.

 

Seine Wanderschaft führte ihn später von Leverkusen über die Schweiz (FC Aarau) zurück nach Graz zum GAK bevor er in Moskau bei Spartak landete. „Sportlich war das toll, aber zum Leben ein Horror.“ Vor allem Mirjam und die damals viermonatige Lea litten unter den harten Lebensbedingungen in der russischen Hauptstadt, wo sich Recht und Ordnung oft nur gepaart mit Geld durchsetzen können. Dazu verpasste der damals recht ungestüme Verteidiger dem Russen Kahritonskij einen doppelten Beinbruch und wurde für 24 Spiele gesperrt. Boro nahm ihn trotzdem. Und wie gesagt, er hat inzwischen gelernt, sein hitziges Temperament am Rasen zu zügeln. Vielleicht auch weil seine EM-Chancen noch vor kurzer Zeit aber so was von Nichts waren. Zuerst eine rote Karte mit dem Nationalteam gegen Venezuela, die ihn eigentlich für die beiden ersten EM-Spiele gesperrt hätte. Das wurde vom ÖFB ausgebügelt. Dann gleich die öffentliche Kritik, dass in Österreich nicht professionell genug gearbeitet würde. „Da habe ich mich halt ein bissel zu sehr aufgeregt. Wir haben das ausdiskutiert und ich bin froh, dass das jetzt ausgeräumt ist.“

 

Zärtlich nimmt Pogatetz den kleinen Noah auf den Arm, streicht gleichzeitig seiner Tochter Lea liebevoll durchs Haar. Die Kinder danken es dem Papa mit strahlendem Blick und glücklichen Jauchzern. Und in diesem Moment der Innigkeit, Kraft und Ruhe wissen auch wir: Alles wird gut! Die EURO kann kommen.       

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