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Glashütte Lamberts

Servus Magazin Jänner 2014
AUF DER SUCHE NACH DEM GRÜNEN STEIN

Die Glashütte Lamberts in Waldsassen ist eine der letzten, die noch Glaas wie anno dazumal fertigt. Handgemacht und mundgeblasen. Von Glasmachern, denen weder Luft noch Kraft ausgeht.

© Foto Marco Rossi

„Herrje! Sag nie, nie, nie Glasbläser zu ihnen!“ Andreas Hartl, Glasbautechniker und, laut eigener Aussage so etwas wie das „Mädchen für alles“ in der Glashütte Lamberts, setzt einen entsetzten Blick auf. Glasmacher, sagt er mit ehrfürchtigem Unterton, sei bitteschön die korrekte Bezeichnung. Beschämt ob unserer Unwissenheit senken wir den Blick und sind verwirrt. „Mundgeblasene Farbgläser“ ist der Slogan des Betriebes am äußersten Rande Bayerns in der Oberpfalz. Eine Spezialität auf die sich weltweit neben den Waldsassenern nur noch eine Manufaktur in Frankreich und eine in Polen verstehen.

Es ist acht Uhr abends und dichter Nebel zieht eine nasskalte Spur durch die einsamen Gassen. Es scheint als seien alle Bewohner längst unter ihre warmen Tuchenten geflüchtet, nur wir marschieren der alten Fabrik entgegen, wo der erste Schritt für die morgige Produktion exakt um 21 Uhr getan wird.

Glasbläser, nehmen wir dabei mit auf dem Weg, sind die, die kleinen Pipifax, also Figürchen, Vasen und sonstigen hübschen Tand machen. Bei Lamberts aber wird Glas gemacht. Richtiges Glas. Für Fenster und in allen Farben dieser Welt. Keine glatte Industrieware, sondern in alter Tradition komplett per Hand erzeugt. Fast noch genauso wie vor knapp 130 Jahren, als die Familie Bloch, böhmische Spiegelglasfabrikanten, in Waldsassen eine „neue Glasfabrik mit Dampfmaschinenbetrieb zur Herstellung von Fenster- und Spiegelglas“ errichteten.

Die Voraussetzungen waren äußerst günstig. Die drei Grundelemente zur Glasherstellung, Quarzsand, Soda und Kalk, waren als Bodenschätze reichlich vorhanden, der Böhmerwald lieferte Holzkohle und Koks zur Befeuerung der Öfen. Bald waren 200 Arbeiter hier beschäftigt, und die Facharbeiter riefen im Januar 1893 selbstbewusst einen „Fachverein der Spiegelglasarbeiter für das Königreich Baiern“ mit Sitz in Waldsassen ins Leben.

1906 wurde unter Mithilfe eines Neffen der Bloch-Familie eine zweite, nämlich die „Glasfabrik Waldsassen GmbH“ im Ort etabliert. 70 Meter lang und 40 Meter breit war das Hüttengebäude aus Backstein, für das man ein geeignetes Dach suchte. Die gewölbte Holzkonstruktion einer Halle der Nürnberger Kunst- und Gewerbeausstellung aus dem Jahr 1906 krönt bis heute in beeindruckender Eleganz die Manufaktur. Allein 50 Eisenbahnwaggons brauchte man seinerzeit für den Transport der einzelnen Bestandteile in die kleine Marktgemeinde.

Die Wirtschaftskrise der 1920er Jahre machte den beiden Glashütten dann schwer zu schaffen. Während jene der Familie Bloch bereits 1929 zusperren musste, konnte sich die im Volksmund „Neue Hüttn“ genannte bis 1934 halten. Nach dem endgültigen Aus trat aber im selben Jahr der Wunsiedler Kaufmann Josef Lamberts als Retter auf den Plan. Er nahm den Betrieb mit 46 Arbeitern wieder auf und begann mundgeblasenes Flachglas zu produzieren.

Während man also jetzt draußen die Gehsteige hochklappt und sich der moderne Mensch mit modernen Unterhaltungstechniken in den Schlaf wiegen läßt, treten wir in der altehrwürdigen Werkshalle eine Art Zeitreise an. Über uns wölbt sich der mächtige Zeuge des Industrie-Zeitalters, vor uns lodert archaisch das Feuer in drei riesigen Sandstein-Öfen.

 

Acht Häfen, eine Art Ton-Bottiche, hat ein Ofen, in denen jeweils eine andere Glasfarbe angesetzt wird. Jeder Hafen ist locker mit einer tönernen Platte verschlossen, an deren Rändern immer wieder fürwitzig die Flammen herauszüngeln. Ein stilles Spektakel in der beinahe menschenleeren Halle von dem man magisch angezogen wird.

Grau ist eine fiese Farbe

„Nimm den Sichtschutz“, befiehlt Marcel Kempke und drückt uns beiden eine kleine Holzplatte mit einem blauen Glasfenster in der Mitte, in die Hand. „Sonst siehst du tagelang nur mehr orange Punkte.“ Marcel ist Schmelzmeister und als solcher für die Farben zuständig. Den ganzen Nachmittag über wurden von den sogenannten Einlegern Quarzsand, Soda und Kalk streng nach Rezeptur in den Häfen geschmolzen, jetzt muss Marcel dieses Gemenge mit unterschiedlichsten Metallen zu Farbglas verwandeln.

256 Standardfarben hat die Glashütte im Repertoire, insgesamt können auf Wunsch beinahe 5.000 Farbnuancen hergestellt werden. Auch nach Vorlage, so wie bei dem Grau heute, für das ein Teil eines alten, renovierungsbedürftigen Glasbildes zur Verfügung gestellt wurde.

Grau sei fies, sagt Marcel, das kriege so leicht einen lila Stich, den man schwer korrigieren kann. Bis 1 Uhr früh hat er dafür Zeit, wobei in den anderen Häfen heute noch ein Grün, ein Grünlich, ein Kohlegelb, ein Opaque, ein Kupferrot und ein Selenorange angesetzt wird.

„Ist wie Kakao machen“, grinst Marcel und zieht eine grüne Probe. Ist sie zu hell, wird mehr Metall eingemischt. Ist sie zu dunkel, kommen weiße Glasscherben ins Gemenge. Bereits in 5. Generation ist Marcel Schmelzmeister und alles was er kann, hat ihm sein Vater beigebracht. Ein gutes Auge brauche man natürlich auch, sagt er noch und klappt den Sichtschutz hoch, um die nächste Probe direkt aus den Flammen zu holen.

1.400 Grad hat es jetzt in den Öfen. Zu heiß zum Glasmachen, das Gemenge ist bei diesen Temperaturen zu flüssig. Von 1 bis 4 Uhr früh werden die Öfen langsam auf schnuckelige 1.100 Grad abgekühlt, dann treten die Glasmacher ans Werk.

Während also draußen nach wie vor die Gehsteige hochgeklappt sind, und der Aufpasser, der einsam das Feuer in den Öfen bewacht hat, langsam nach Hause geht, bricht in der Halle laute Emsigkeit aus. Vier Teams versammeln sich um einen Ofen, jeweils 3 ½ Mann hoch. Der „halbe“ Mann ist der Wegträger, der die fertigen Glaszylinder von zwei Teams zum Abkühlen in ein Kaltbad bringt.

„Schreib auf: ohne Anfänger geht nix“, ruft uns Stefan, entgegen und stemmt die zwei Meter lange und 15 Kilo schwere Glasmacherpfeife in den Hafen. Er, also der Anfänger und Erste in der Produktionskette, dreht solange, bis das flüssige Glas dran haftet, formt es in einem kleinen Holzmodel zu einer Kugel und wiederholt das alles, bis die richtige Glasmenge beisammen ist. Die bläst er dann in einer Holzform zu einer größeren Kugel auf, dann erst kommt der Glasmacher, in unserem Fall Karl-Heinz Reisinger, ins Spiel.

 

Dieser bläst das Kügelchen zu einem riesigen länglichen Ballon auf. Dreht ihn in einem sogenannten Hobel, stemmt die Pfeife immer wieder in die Höhe, erhitzt das Glas, bläst, dreht, stemmt… bis der Glasballon 3 Millimeter dick und so lange ist, dass es passt. Nach 37 Jahren habe er das freilich im Gefühl, sagt Karl-Heinz ohne die geringsten Anzeichen von Atemnot.

 

Der dritte im Bunde, der Einträger, den sie Bill nennen, bringt jetzt mit einem flüssigen Glasbatzen den Ballon unten zum Platzen, hält ihn samt Pfeife waagrecht vor den Körper, so dass Karl-Heinz mit einer Auftriebschere das glühende Glas zu einem gleichmäßigen Zylinder formen kann.

93 Zylinder mache er am Tag, sagt Karl-Heinz. Und dass um 10 Uhr vormittags zumeist Schluss sei. „Dann ist das Glas im Ofen alle.“

Das ist auch die Zeit in der Dominik Grötschl sich die schwarze Schicht aus Schweiß und abgeriebenem Metall von den Handflächen reibt. Während die anderen Glasmacher ihre Ballons in einem Hobel formen, arbeitet Dominik quasi freihändig und nur mithilfe der Schwerkraft. Wie Honig drängt das flüssige Glas nach unten, wenn er es auf der Pfeife in einer drei Meter tiefen Grube hin und her schwenkt, bläst, dreht, erhitzt, stemmt … nunja, solange bis es passt.

 

Bei dieser Schwenktechnik entsteht Neu-Antikglas, das man für Fensterscheiben verwendet. Wer hier durch schaut sieht das Land draußen so wie einst Oma und Opa als sanft bewegtes, lebendiges Bild. Aber damals gab es ja auch noch kein Fernsehen.

Die Zylinder mit dem farbigen Echt-Antikglas, die Karl-Heinz und die anderen Glasmacher heute erzeugt haben, werden nun langsam abgekühlt und von Anita Grötschl, Dominiks Mutter und der einzigen Frau in der Werkhalle, geprüft. Ob sie gleichmäßig dick und die eingeschlossenen Bläschen nicht zu groß sind.

„Familienbetrieb“, lacht sie, weil auch ihr Mann in der Manufaktur arbeitet. Dann schneidet sie die Zylinder der Länge nach durch, schichtet sie auf ein Förderband, wo sie nochmals in einen Ofen wandern und langsam erhitzt werden. Der letzte in der Kette ist dann der Strecker, der das heiße Glas aufklappt und mit einem Stück Holz zu einer Tafel im Format 60 x 90 cm glattbügelt.

Es lodert 365 Zage rund um die Uhr

64 Arbeiter sind derzeit in der Glashütte beschäftigt, einer beinahe autarken Welt. Die Lehrlinge werden selbst ausgebildet, ein eigener Schlosser kümmert sich um die Werkzeuge, ein Schreiner zimmert die Holzkisten für den Versand, ein Hafner setzt alle 9 Wochen die Hafen neu auf. Und zwar während das Feuer lodert. Sollte die Temperatur nämlich unter 900 Grad absinken, würde der Ofen Risse bekommen und in sich zusammenfallen. Daher werden die Öfen 365 Tage im Jahr rund um die Uhr befeuert. Mit umweltfreundlichem Erdgas mittlerweile, so weit ist man schon mit der Zeit gegangen.

„Bis vor kurzem wurden Kathedralen und Kirchen mit unserem Glas renoviert“, sagt Reiner Meindl, der 2009 die Glashütte von Stephan Lamberts, dem letzten aus der Dynastie, übernommen hat.

 

Heute sind es hauptsächlich Künstler und Architekten, die mit den lebendigen und farbenprächtigen Unikaten arbeiten. Und damit unter anderem U-Bahnstationen in Taiwan, die Flughäfen von Hongkong und Indianapolis, die Orangerie im österreichischen Schloß Hof genauso zum Leuchten bringen, wie die Kathedrale von Reims, wo sie das Marc-Chagall-Fenster flankieren. Handgemacht und mundgeblasen von den Glasmachern aus Waldsassen, die längst am Werk sind, wenn der Rest der Welt noch schläft.

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