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PORTRÄTS
PORTRÄTS
Red Bulletin - 2010
Franz Schuh
FRANZ SCHUH
erhielt für sein Buch "Ein Interview gegen mich selbst" den Traktats-Preis. Wirhaben mit ihm einen Spaziergang mit Tiefgang gemacht.
Foto © Manfred Klimek
Wie wird man Philosoph?
Ich selbst würde mich nicht einen Philosophen nennen. Ich bin jemand der Philosophie studiert hat und der etwas öfter als andere Menschen philosophischen Gedankengängen nachhängt. Aber ein Philosoph ist etwas anderes, als das was ich sein kann. Wie man das wird, was ich sein kann, was an dem philosophisch ist, was ich geworden bin? Erstens durch Einsamkeit. Das ist die psychische Qualität für eine der Haupteigenschaften des philosophischen Denkens, für das Selberdenken. Wenn Sie einsam sind, bleibt Ihnen nichts anderes übrig als entweder abzustumpfen oder sich selber was zu denken. Zweitens ist jeder Mensch ein Philosoph. Jeder Mensch überlegt sich, was bedeutet die Tatsache, dass ich sterbe oder was bedeutet die Tatsache, dass ich nicht dran denken möchte, dass ich sterbe – und damit sitzt man schon mitten drinnen in etwas, wovon viele gar nicht wissen, dass es bereits Philosophie ist.
Sie werden als freundlicher Denker und Allround-Gelehrter bezeichnet. Sind Sie ein Gebrauchs-Philosoph?
Das wäre ein Kompliment, denn unbrauchbare Philosophen gibt es genug. Und ich bin der Meinung, dass einer der entscheidenden formgebenden Kräfte in unserer Gesellschaft der Alltag ist. Den Alltag zu studieren, was in ihm brauchbar ist oder wie man durch ihn durchkommt, das interessiert mich großmächtig.
Als was würden Sie sich selbst bezeichnen?
Ich würde sagen, ich bin ein Essayist, der philosophische Themen aufgreift.
Waren Sie bereits als Kind ein Grübler und Denker?
Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Denken und Grübeln, darüber kann man gut philosophieren. Denken hat etwas mit dem Zweifeln zu tun, Grübeln hat etwas mit dem Verzweifeln zu tun. Sowohl das Denken kann verzweifeln als auch das Grübeln kann in einen Zweifel übergehen. Aber es bleiben wesentliche Unterschiede. Der Grübler ist, na sagen wir einmal zu seinen Gunsten, sozial weniger verwendbar als der Denker.
Also waren Sie ein Denker?
Ich muss leider sagen: Ja. Ich gehöre zu denen, die sich vorzeitig in einem Medium zu äußern getrachtet haben, das ihnen eigentlich noch gar nichts sagen konnte. Das ist nicht nur ein Gewinn, sondern auch ein Nachteil, wenn man so Posen übt, ohne dass diese Posen Substanz haben können. Eines meiner Lieblingsbeispiele aus der Pädagogik ist, dass ich als 17-Jähriger Thomas Manns Zauberberg in der Schule zu lesen hatte. Heute weiß ich, dass das leider nicht möglich ist. Man kann als 17-Jähriger dieses seltsam Süchtige und Krankhafte nicht verstehen.
Sie sagen, ein Denker braucht Einsamkeit. Waren Sie ein einsames Kind?
Wie heroisch der Begriff der Einsamkeit auch klingen mag: 99 Prozent der Leute, die sagen, sie sind einsam, unterschlagen zugleich Zusammengehörigkeiten, die ihnen diese Einsamkeiten überhaupt erst vermitteln. Ganz einsam ist nicht einmal der Eskimo im Eismeer, denn der hat einen Hund bei sich. Aber...ja...das heißt nicht, dass man nicht das Wort einsam für den Zustand in meiner Kindheit verwenden kann.
Weil Sie anders waren?
(lange Nachdenkpause) Sagen wir so: Ich war nicht voll inhaltlich akzeptiert. Ich war kein strahlender Außenseiter, aber ich war nicht ganz und gar von meinem Milieu akzeptiert. Woran das lag, weiß ich eigentlich nicht.
Vielleicht weil sie der G’scheite waren?
Ich glaube nicht, ich war nur extrem eingeschüchtert durch den starken Vater. Diese Eingeschüchtertheit hat sich auf alle Dinge des Lebens ausgedehnt, nur auf Bücher nicht. Denn Bücher ermöglichen, und das ist zugleich das Gefährliche an ihnen, Grenzen im Geiste zu überschreiten, die man real niemals überschreiten könnte. Ja, man kommt nicht einmal an diese Grenzen. Das sind Sensibilisierungsprozesse, die immer denselben Charakter haben. Man ist sensibel und wird noch sensibler durch das, was man auf der Grundlage seiner Sensibilität tut. Also man liest Bücher und wird durch die Bücher noch sensibler als man vorher war und man las ja Bücher, weil man sensibel war.
Was haben Sie gerne gelesen?
Ich habe bis zu meinem zehnten Lebensjahr alle Karl May-Bände gelesen, bin dann sofort auf Dostojewski umgestiegen und habe den Unterschied nicht gemerkt. Das kommt daher, dass die Kinderphantasie, anders als die abgenützte des Erwachsenen, noch den trockensten Text beleben und in die eigene Phantasiewelt hineinstellen kann.
Ab wann haben Sie gemerkt, dass Ihnen Philosophieren Spaß macht?
Solche Entwicklungen darf man nicht als einen altruistischen Prozess des Werdens zum Denker sehen. Es gibt natürlich auch einen öffentlichen Gewinn daraus, wenn man zum Beispiel anderen erklärt, wie die Welt läuft. Das macht Freude. Man lernt allerdings sehr bald, dass sich die anderen von ihrer Richtung nicht ablenken lassen. Und dann lernt man, dass das eigentlich richtig ist, dass die anderen sich nicht ablenken lassen. Aber die Freude am Eros im Sprechen ... Da gibt es einen Unterschied zwischen Literatur und Philosophie, der sehr überzeugend ist. Die Literatur ist dann fertig, wenn der Text da ist und dann kann sich jemand mit dem Text unterhalten oder mit sich selbst. Aber die Philosophen müssen immer reden, immer argumentationsbereit sein, immer gegen Einwände antworten. Ein Literat, der einem Kritiker antwortet, ist ein Idiot. Ein Philosoph ist leider gezwungen dieses Dauergespräch aufzunehmen, weil es zu seiner Arbeit gehört. Diese Erotik des Sprechens, die viele schon zu Plaudertaschen hat verkommen lassen, ist etwas wesentlich Freudvolles.
Ab wann kann man mit Denken Geld verdienen? Und kann man davon leben?
Ich hatte das Glück, dass ich relativ anspruchslos bin, was das Materielle betrifft und nie im geringsten daran gedacht habe, von einem Beruf zu leben, den ich gerne ausübe. Ich bin wie alle Kleinbürger darauf konditioniert, das wird ziemlich hässlich werden und die Entfremdung der Arbeit wird das Selbstverständlichste sein. Ich bin dann in das allmählich hineingerutscht. Mit Arbeiten für den Rundfunk, mit Lehraufträgen auf der Universität in Klagenfurt. Dann hielt ich in der Volksbildung Vorträge über Paul Wazlawick – die menschliche Kommunikation ist damals hier populär geworden. Es hat also allmählich auf einer erbärmlichen materiellen Basis die Möglichkeit bestanden, aus solchen Tätigkeiten ein Living zu machen. Keinen Lifestyle, aber ein Living. Diese Montage von Tätigkeiten ist etwas, wo ich sagen muss – ich will das Wort „lieben“ nicht verwenden – das habe ich schon sehr libidinös besetzt.
Wie darf man sich das Leben eines Denkers vorstellen? Als Wohnung, in der überall Zettel herumliegen, auf denen Gedanken notiert sind?
Die stärkste Kraft der Arbeit sind nicht die Zetteln sondern das, was man Unmittelbarkeit nennt. Darunter verstehe ich, dass ich mich hinsetze, um einen Text zu schreiben und ich habe eine Idee davon. Aber der Augenblick der Arbeit bringt mich zu etwas ganz anderem, als die Idee es mir vorgeschrieben hätte.
Entwischen Ihnen manchmal Gedanken?
Ich bin vielleicht ein bisschen mehr geübt, entwischte Gedanken wieder zu finden. Was verlorene Gedanken betrifft, bin ich unschlagbar: Ich habe ganze Notizbücher im Business-Abteil der ÖBB liegen lassen. Aber damit muss man leben.
Ein anderes Thema: Was macht Helden aus? Und braucht die Menschheit Helden?
Stellen Sie einfachere Fragen, bitte. (lange Nachdenkpause) Ich bin der Meinung, dass die Menschheit Helden nötig hat, bin aber zugleich der Meinung, dass nicht alle, die als Helden gelten, dieses Etikett verdienen. Nötig scheinen mir die Menschen Helden deswegen zu haben, weil es eine unendliche Anzahl von Fällen gibt, wo die Mehrheit irrt. Vor allem wenn es entscheidende politische Irrtümer sind, beginnt das Heldentum, wenn man sich dagegen stellt. Franz Jägerstätter ist für mich ein Held, denn er hat sich in einer aussichtslosen Situation gegen die Mehrheit gestellt. Es gibt viele Arten sich gegen die Mehrheit zu stellen, die gar nicht heldenhaft sind, sondern nur provozierend, reklamehaft, risikolos und modisch. Aber in entscheidenden Fragen, in denen es um Sein oder Nichtsein geht, entsteht durch eine Entscheidung gegen die Mehrheit so etwas wie ein Held. Deswegen sind Helden nicht sehr beliebt: Überall, wo sie sind, ist der Tod nicht fern.
Gemeinhin werden Sportler als Helden gesehen: Weil sie eine Grenze überschreiten, oder – um ihren Gedanken weiter zu führen – den Tod vor Augen haben?
Bei Sportlern werden gewisse heldenhafte Eigenschaften beobachtet, aber im Wesentlichen werden sie nicht als Helden verstanden, sondern als Idole. Das ist etwas anderes. Ein Idol ist ein personifiziertes Ideal, das massenkompatibel ist. Das heißt: Bestimmte Sportler haben heldenhafte Eigenschaften, zum Beispiel der Selbstüberwindung. Aber ein Sportler tut das in den wenigsten Fällen für andere. Interessanterweise sind manche Sportler, obwohl sie es nur für sich selbst tun und die narzistische Komponente unübersehbar ist, nationale Idole, so als täten sie es für die Nation. Dazu kann man sagen: Sie tun es zumindest nicht gegen die Nation.
Gibt es Gründe, warum man Sportler überhaupt in die Nähe von Heldentum rückt?
Das hat gute und auch weniger gute Gründe. Als guten Grund würde ich nennen, dass die Menschen mit ihren Körpern träge in der U-Bahn herumhängen oder im Lokal sitzen und Bier bestellen. Und diese trägen, bierabgefüllten Körper, die mit ungeheuren Kraftanstrengungen die Plastiksackerln vom Billa nach Hause tragen, sind, um es harmlos zu sagen, sehr schwach. Die können nichts, was der menschliche Körper der Möglichkeit nach kann. Es sind die Sportler, die durch Disziplin, durch Härte gegen sich selber, aus dem Körper herausholen, was drinsteckt. Die Sportler sind Selbstdarstellung der menschenmöglichen körperlichen Kraft und Geschicklichkeit, und das hat eine notwendige Funktion. Genauso wie im Burgtheater die Schauspielkunst ausgestellt wird, stellte seinerzeit Boris Becker die Beweglichkeit in der Eleganz vor, wie das Tennisspiel es extra hervorbringt.
Populär sind Sportarten, wo die risikobehaftet sind. Eine Gegenbewegung zur allgemeinen Sicherheit in unseren Breiten?
Das alte biblische Wort, das man das Leben nur behält, wenn man es aufgibt, hat schon etwas für sich. Bloß am Leben zu hängen, ist für den Menschen offenkundig zu wenig. Das Leben aufs Spiel zu setzen ist, bei allem Gebot zur Selbstsorge, für manche ein Teil ihrer Persönlichkeitsstabilisierung.
In einem Ö1-Interview haben sie gesagt, wenn man gesellschaftliche Regeln bricht und nicht erwischt wird, geht das in Ordnung.
Da rede ich ja nicht von mir. Ich habe ein ausgebildetes Gewissen. Es ist eine seltsame Tatsache, dass der Straftäter sich selbst so professionalisieren kann, dass es ihm auch für sein Gewissen genügt, nicht erwischt zu werden. Im Gegenteil, dieses Nicht-Erwischt-Werden erfüllt ihn mit Euphorie über seine Tat. Ein Großteil der Wirtschaftskriminellen zum Beispiel, die man nicht erwischt hat, hat ein unglaubliches Glücksgefühl und dieses ist einer der Gründe dafür, dass das neoliberale System weiterhin so großartig funktioniert. Nicht weil die alle Verbrecher sind. Weil die Konkurrenz einem dazu bringt für sich selbst viel geheim zu halten und in diesem geheimen Wissen – gehen die Kurse jetzt rauf oder runter, der ewige Insider-Handel – liegt eine zwar perverse, aber unglaubliche Quelle des Glücks. Dieses Glück werden sich die Leute nicht nehmen lassen. Und dieses Glück halte ich für einen der Gründe, warum ein solches System so unendlich viele Männer anzieht.
Das hat aber auch etwas mit dem Überschreiten von Grenzen zu tun?
Das ist das Wesen des Kapitalismus, dass er keine zeitlichen und räumlichen Grenzen anerkennt und an den moralischen Grenzen ständig herumposselt. Da sind ja diese Leute unglaublich geschickt. Erst bestechen sie die Politik und dann sagen sie, diese Politik ist schuld, weil die hat uns keine Grenzen gesetzt. Eine wunderbare Argumentation. So heuchelt nicht einmal der betrügende Ehemann, der seiner Gattin sagt, du bist schuld, dass ich dich betrogen habe, denn du warst nicht wirklich lieb zu mir.
In den sechziger Jahren entwickelte sich in den Kaffeehäusern öffentliche Gesprächskultur als Gegenbewegung zur Enge der Kleinfamilie. Heute gibt es Facebook und Twitter, man postet in die Welt, was man sich denkt, tratscht und führt Diskurse. Ersetzen diese Netzwerke die private Begegnung?
Der größte Verlust ist ein anderer: Es geht die Qualität der Flüchtigkeit verloren, weil bei diesen Dingen durch die schriftliche Äußerung eine ständig kontrollierbare Spur da ist. Facebook und was damit zusammenhängt ist mir zu stark mit Spuren verbunden. Aber es könnte dadurch eine neue Form von Schriftkultur entstehen, das wäre gar nicht so schlecht. Eine Schriftkultur die dadurch funktioniert, dass man um Aufmerksamkeit werben muss. Dann wäre das auch wieder eine Art Spiel, das man in manchem durchaus bejahen könnte.
Aber kann es eine direkte Diskussion ersetzen?
Nein, ich sehe aber auch nicht, dass es die direkte Diskussion ersetzen will. Es ist problematisch, dass man alle Kommunikationsstrategien, die die Leute entdecken, immer beobachtet auf das , was dabei verloren geht. Das ist so seit der Erfindung der Schrift, wo man gesagt hat, da geht das Gedächtnis verloren, weil die Leute nur mehr am Zettel nachschauen.
In Ihrem Buch ????????????, sagen Sie sowohl Homer Simpson als auch Donald Duck leben in der Geltungslosigkeit, Homer Simpson aber genießt sie.
Ja, und Donald leidet darunter.
Wir sollten uns also mit unserer Mittelmäßigkeit abfinden, damit wir glücklich leben?
Das Mittelmaß hat mit Sicherheit einen Vorteil, dass es relativ friedlich ist. Und die Friedlichkeit ist ein ziemlich großer Wert. Natürlich ein abgeschmackter Wert, und die strahlende Größe hat sicher sehr viel Faszinierendes, aber in der Dialektik von Mittelmaß und Wahn (Buchtitel von Hans Magnus Enzensberger) muss man schon aufpassen, dass man auch in der Lage ist, dem Mittelmaß eine Geltung zuzusprechen. Ansonsten gilt ein Satz, den Alexander Kluge immer gerne zitiert: In Gefahr und in der Not bringt der Mittelweg den Tod. Also das Mittelmaß hat in gefährlichen Situationen den Nachteil, dass es falsch reagiert, weil es auf die mittelmäßigen Tugenden verweist.
Die da wären?
Ausgeglichenheit, wie ich es hier vorführe. Allem eine Möglichkeit einräumen, auch noch fürs Gegenteil ein gutes Wort haben. Aber ich bin ja ein Vertreter des Mittelmaßes.
Sie haben gerade den Tractatus-Preis erhalten: Kriegt man den für Mittelmäßigkeit?
Es tun einem die leid, die sich was einfallen lassen müssen, um zu begründen, warum sie einem eine solche Auszeichnung zukommen lassen. Davon abgesehen, ist man glücklich. 25.000 Euro – das ist für mich sehr viel Geld!