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Käsemacher

Servus Magazin September 2016
DIE KASERER VOM WILDEN KAISER

Der eine hatte die Freiheit in die weite Welt zu ziehen. Der andere nahm sich die Freiheit, die weite Welt von hoch droben zu betrachten. Im Sommer machen Johannes Hauser und Sepp Hechenberger gemeinsam Käse auf der Graspoint Hochalm in Tirol.

© Foto Philipp Horak

Es ist noch ordentlich dunkel und die Stille schenkt uns für einen kurzen Moment das Gefühl, wir wären alleine auf dieser Welt. Alles um uns herum schläft, selbst das Wetter hat eine Atempause eingelegt. In dieser Zeit, wo der Sommer langsam ausrollt, wütet es ja gerne in den Bergen herum, um uns danach jedes Mal mit ein paar Grad weniger in den Herbst zu entlassen. Auch in dieser Nacht hat das Wetter ganze Arbeit geleistet, bevor es sich gen Osten davontrollte.

Wirst sehen, wird ein schöner Tag, sagt Johannes Hauser, der uns aber sicherheitshalber einen Regenschutz in die Hand drückt. Eigentlich hat er es nicht gesagt, er hat es geflüstert, weil man weiß ja nie. Um diese Zeit will man nicht einmal einen Vogel zu früh zum Zwitschern bringen.

Schweigsam stapfen wir also unten in Going los um rechtzeitig zum Melken auf der Graspoint Hochalm einzutreffen. Auf 1.340 Metern Höhe verbringen dort die Milchkühe des „Stanglwirt“ ihren Sommer. Auch ein paar Schweindln machen hier Sommerfrische. Sie wurden aber bereits ins Tal gebracht, damit sie sich bei den frostigen Nachttemperaturen nicht verkühlen. Zum „Stanglwirt“, und das vergißt man ja heute gerne wenn man sich im tirolerischen Wunderland der Familie Hauser aufhält, gehörte immer eine Landwirtschaft. Auch schon 1609 als das Wirtshaus erstmals als solches genehmigt wurde.

Die Landwirtschaft ist die Keimzelle unserer Gastwirtschaft, die würden wir nie aufgeben, sagt Johannes. Diesmal hat er es wirklich gesagt, denn flüstern wäre jetzt komisch. Eine milchige Morgendämmerung hat das tiefe Nachtschwarz abgelöst und wir bewegen uns mittlerweile auf zirka 1.000 Metern Höhe in der Nähe der Graspoint Niederalm. Nur der Wilde Kaiser hüllt sich noch keusch und verschlafen in dichte Nebelschwaden.

Wann genau die Hochalm zum Hauserischen Imperium dazu kam, verrät die Familien-Chronik nicht. Ewig, sagt Johannes, aber erst sein ältester Bruder Richard begann vor knapp 30 Jahren die abgelegene Alm zum Käsen zu nutzen. Ewig scheint auch bereits die dunkle Holzhütte da zustehen, die jetzt dort drüben mitten im saftigen Almgrün zarte Rauchzeichen gibt. Sie verwitterte nach 250 Jahren irgendwo in Osttirol still vor sich hin, bevor die Hausers sie abtragen ließen und hier wieder aufbauten.

 

Seit seinem 5. Lebensjahr arbeitet Johannes am familiären Bauernhof mit, mit 13 lernte er hier heroben das Käsen nach alter Tradition im Kupferkessel über offenem Feuer. 27 ist er heute und weil er der jüngste der vier Geschwister ist, ließ man ihm nach seiner F & B-Ausbildung die Freiheit in die weite Welt zu ziehen. Hawaii, sagt Johannes, und dass er dort immer gewußt hat, dass er sofort wieder heim fahren wird, wenn man ihn ruft. Vor drei Jahren war es soweit und seither ist er der Bauer in der Stanglwirtenwelt.

Endlos schlängelt sich der schmale Pfad seit 20 Minuten über die steilen Wiesen und immer wenn es scheint, die Hütte wäre zum Greifen nahe, rückt eine kleine Kurve sie wieder ein wenig weiter weg. Der Transport zur Hütte ist sehr schwierig, sagt Johannes, alles muss hin und wieder weggetragen werden. Keine Zufahrt, keine Materialseilbahn, kein Lift, einfach nur der Wilde Kaiser.

Und der Kaser Sepp.

 

Na endlich, auch schon da, ruft eine Stimme durch den Nebelfetzen, der uns noch von der Hütte trennt. Kurz darauf taucht das dazugehörige Gesicht auf, mit zwei runden Augen, denen nichts und niemand und auch das Schicksal nicht, jemals den Schalk austreiben könnte. Seit 14 Sommern ist Sepp Hechenberger der Kaserer hier auf der Alm und produziert zwischen Mitte Juni und Mitte September ca. 3 Tonnen Almkäse.

Alles Bio, sagt Sepp, weil keine Umweltverschmutzung und überhaupt die Böden hier im Kalksteingebiet sehr mineralisch sind und die Kühe tolles Gras zum Fressen haben. Daher kommt übrigens auch der für Nicht-Tiroler eher ungewöhnliche Name der Alm. Point, sagt Sepp, heißt auf tirolerisch so viel wie Riesenausbeute, demnach gibt es auf der Graspoint Hochalm viel Gras. Aha, sagt Johannes und schaut so drein, als hätte er das noch nie gehört. Sicherheitshalber verschwinden die beiden gleich einmal mit Melker Richard im Stall, wo die Kühe bereits unruhig Muhen. Selbst wenn sich hier heroben die Zeit nicht so strikt an eine Uhr hält, gibt ihr die Natur den Takt vor. Wann Melkzeit ist, bestimmen die Kühe und das ist jetzt und zwar um Punkt 6 Uhr früh. Bis zu 500 Liter Milch pro Tag geben die 20 Kühe zu Beginn der Saison. Im September, wenn sich die sommerliche Üppigkeit zu Ende neigt, sind es nur mehr 350. Da wird dann keine Butter mehr gemacht, dann gibt’s neben dem Almkäse täglich nur mehr Schotten und Ziger, also eine Art Topfen und einen Frischkäse aus der Molke.

Zwischen Melken und dem ersten Schritt zum Käsen muss es schnell gehen. Deshalb hat Sepp, während wir noch durchs Morgengrauen marschierten, bereits das Feuer in der kleinen Stube der Käserei angezündet. Im Kupferkessel darüber erwärmt sich die gekühlte Milch vom Vorabend langsam auf 32 Grad. Frisch von der Kuh hat sie 34 Grad, sagt Sepp. Auf dem kurzen Weg vom Stall zum Kessel kühlt sie um 2 Grad ab. Perfekt, sagt Sepp, aus Abend- und Morgenmilch werden jetzt nämlich zwei Laibe Almkäse, dafür muss die Milch die gleiche Temperatur haben.

Unermüdlich schleppen Sepp und Johannes die Milchkannen vom Stall in die Stube und ziehen dabei dauernd Schuhe aus und andere wieder an. Auch wenn es hier beim Käsen noch recht ursprünglich und rustikal zugehen darf, weil der Käse niemals in den freien Handel kommt, ist Hygiene eine unumstößliche Voraussetzung für das Gelingen des Käses. Bergschuhe müssen überhaupt draußen bleiben.

Das fordernde Muhen, das das Gerenne mit den Kannen musikalisch begleitet hat, verebbt jetzt schön langsam zu einem sanften Muhmuh. Dann rührt Sepp die Lab zum Eindicken in den Kessel. Eine halbe Stunde ohne Zugluft, sagt er. Also Jause, jetzt.

 

Die Bauern haben früher immer gesagt: i geh’ nua soweit wia mei Kua, sagt Sepp. Wir haben Spiegeleier mit Speck im Magen, einen heißen Kaffee im Häferl und schauen aus dem Fenster, wo sich der Kaiser endlich in seiner ganzen felsigen Mächtigkeit zeigt. Ich aber wollte immer wissen, was da dahinter ist, sagt Sepp. Vielleicht, weil man als ungeliebtes Kind dauernd auf der Suche nach etwas ist. Vielleicht auch, weil man von Bauer zu Bauer abgeschoben, nirgendwo richtig Wurzeln schlagen kann. Sepp jedenfalls begann mit dem Klettern. Und weil so einer wie er keine Furcht und kaum Grenzen kennt, sind es die allerhöchsten und die allerschwierigsten, die es ihm bis heute antun. Am Manaslu in Nepal, dem achthöchsten Berg der Welt, sagt Sepp, war ich vor drei Jahren ohne Sherpa und bin mit den Skiern runtergefahren.

Am Berg, sagt Sepp, kommt es immer nur darauf an, dass du zum richtigen Zeitpunkt, die richtige Entscheidung triffst. Im Leben auch, sagt er dann und zwinkert mit dem linken Auge. 54 ist er heute und bis jetzt war noch nie was falsch. Mit 23 ließ er sich zum Molkereimeister ausbilden und seit er jeden Sommer der Kaser von der Graspoint Hochalm ist, haben Bergsehnsucht und körperliche Unrast ein feines Spielfeld gefunden. Der Wilde Kaiser, möchte man fast sagen, ist der beste Freund vom Sepp.

Im Kupferkessel wurde mittlerweile der Bruch mit der Harfe geschnitten und so lange gerührt, bis er sich von der Molke löst. Ab dann geht zwischen Johannes und Sepp alles routiniert Hand in Hand. Mit einem Käsetuch, mit viel Kraft und vollem körperlichen Einsatz hebt Johannes den Bruch für einen Laib aus der Molke. Dafür brauchst ein G’spür, sagt Sepp, und dass Johannes das hat, schließlich hat er ja bei ihm gelernt. Im Käsering wird der Bruch gepresst und die Restmolke rausgedrückt, einmal gewendet und weitere 13 Stunden gepresst. Dann liegt der Käse zwei Tage lang in einer Salzlake, bevor er mindestens drei Monate lang reifen muss.

Täglich steigt Sepp die Stufen hinunter, bürstet und wendet jeden einzelnen Käse und reibt ihn mit Rotschmiere ein. Zwischen 20 und 25 Kilo haben die Laibe, die mit den Kühen jetzt bald runter von der Alm müssen und in einem Bergstollen in Going ihre Reifung vollenden dürfen. Beim Absäumen kommen den Kasern seit ein paar Jahren die Tiroler Gebirgsjäger mit ihren Haflingern zu Hilfe. Dem gesamten Tross voran geht immer der Chef der Alm und gibt mit  dem Klopfen auf einer Glocke den Takt vor. Das wird heuer erstmals der alte Stanglwirt Balthasar Hauser seinem Sohn Johannes überlassen.

Und der Sepp? Der wird ihnen nachwinken, sich umdrehen und sich am Wilden Kaiser eine schöne Wand zum Klettern aussuchen.

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