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Cheeeese

S-Magazin - Jänner 2023

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CHEEEESE

Nach der Zeitwende oder wie das Smartphone die kulinarische Szene veränderte.

„Halt!! Stopp!! Noch nicht reinstechen!!“ – fast hätte mir Kollege K. im Gasthaus auch noch auf die Finger geklopft. Er schrieb – das macht er noch heute – eine Kolumne über Essen und Trinken in einem österreichischen Nachrichtenmagazin und ich durfte ihn erstmals beim Besuch eines neuen Lokals begleiten. Sofort ließ ich die Gabel fallen und meine Wangen liefen verschämt rot an. Nicht nur weil ich dem Kollegen unbedacht fast den Job vermasselt hätte, auch weil plötzlich alle Augen im Restaurant auf uns gerichtet waren. Ungerührt wies mich K. an, den Lampenschirm über dem Tisch schräg zu halten, rückte meinen Teller in den Lichtkegel, zückte den Fotoapparat und drückte ab, damit die Leser später auch optisch einen Eindruck von unserem Essen bekommen konnten.
Das war in etwa vor 15 Jahren, Kameras hatten bereits einen Chip statt eines Films, Smartphones aber noch keine guten Kameras. Das sollte sich bald ändern und damit auch das Verhalten der Gäste in Restaurants. Mittlerweile fallen eher diejenigen auf, die nicht zum Handy greifen, um ihr Essen zu fotografieren und es stellt sich die Frage: Wer zum Teufel schaut sich das alles an?
Offensichtlich viele, weil heute kaum etwas im Internet so beliebt ist, wie die Abbildung von Essen. 204 Millionen Fotos fanden sich vor Kurzem unter dem Hashtag ”foodporn“ neben 327 Millionen Verlinkungen unter #food auf Instagram. Und eine kleine Umfrage unter Freunden ergab: Mit nichts holt man sich leichter Likes in sozialen Medien als mit Food-Fotos.
Es sei zu einem Phänomen geworden, sagte bereits zu Beginn des Booms Trendforscherin Hanni Rützler, dass sich die Menschen immer mehr über das Essen darstellen. Waren es einst Mode-Codes oder Musik-Stile, mit denen man Individualität ausdrückte, heißt es heute: So ist mein Essen, so bin ich. Knapp mehr als die Hälfte der Fotos werden stolz aus den eigenen Küchen gepostet, der Rest hält fest, was in Restaurants auf den Tisch kommt. Erzählte man früher gerne, was man da und dort gegessen hatte, und holte sich bei der Erinnerung daran den Geschmack genussvoll wieder auf die Zunge, zeigt man heute einfach das Foto auf seinem Handy.
Da hatten es die Maler einst viel schwieriger. Selbst mit Gehilfen brauchte es Monate, bis etwa Caravaggio seinen „Obstkorb“ oder Raphael das kulinarische Gelage beim „Hochzeitsbankett von Amor und Psyche“ mit präzise gesetzten Lichteffekten und in voller Pracht dargestellt hatten. Die Bilder blieben daher, was sie immer waren: meisterhafte Unikate.
Kleine Meisterwerke des Genusses entstehen auch in den Spitzenküchen dieser Welt. „Das Auge isst zuerst“, sagte der römische Feinschmecker Apicius im 1. Jahrhundert vor Christus und betonte damit erstmals das Zusammenspiel von Optik und Geschmack.
Die Pretiosen der Haute Cuisine aber sind flüchtig. Wer einmal Löffel oder Gabel darin versenkt, darf sich auf das folgende Spiel der Geschmäcker freuen. Die Optik hat dann aber ausgespielt, also wird sie – klickklick – am besten vorher festgehalten. Es soll Spitzenlokale geben, so erzählt man, in denen es als faux pas gilt, ein Gericht nicht zu fotografieren. In andere wiederum sollen den Gästen gleich beim Eingang Utensilien wie kleine Tischstative, Lampen und Filter ausgehändigt werden, damit das Menü auch wirklich instagerecht ins plakative Licht gerückt werden kann. Was kommt als Nächtes? Restaurants, die ihren Gästen sofort nach der Bestellung die Fotos der zu erwartenden Speisen aufs Handy schicken? Bestens inszeniert natürlich und in datenfreundlicher Auflösung, damit man sie im Nu weiterschicken oder für die Internet-Gefolgschaft hochladen kann.
Überhaupt gilt Insta – wie man gerne kurz und flapsig als Eingeweihter dazu sagt – in der Kulinarik-Szene momentan als Nabel der Welt. Dort lassen sich Trends ablesen, auch solche, mit denen man sich gar nicht mehr zu befassen braucht. So erzählte mir ein holländischer Starkoch bei einem Interview ganz nebenbei, dass er auf der Suche nach einem neuen Küchen-Konzept mit seiner Crew zuerst einmal ein Monat lang Instagram durchsuchte. Nicht zur Inspiration, vielmehr um zu filtern, was bereits so inflationär ist, dass man die Finger davon lassen kann. Denn nichts wird lieber kopiert als eine gute Idee.
Es galt zwar einst als Ehre, wenn eine gelungene Komposition von dem einen oder anderen Koch, sagen wir einmal, nachempfunden wurde, innerlich kochte aber so manch Urheber vor Wut. Unvergessen die Tiraden, die man lostrat, wenn man den österreichischen Spitzenkoch Werner Matt auf seine Sellerie-Velouté ansprach. Ein Signature-Dish, das bald zuhauf kopiert wurde, am liebsten in der Variante, es in einer ausgehöhlten Sellerieknolle zu servieren. Spitzenrestaurants könnten heute zwar ihre Gäste bitten, einen Abend lang nicht zu fotografieren, dann würden sie allerdings um einen nicht unerheblichen, kostenlosen Werbeeffekt umfallen. Und wenn wir ehrlich sind: Selbst wenn sich der eine oder andere aufgrund eines Fotos daran macht, ein Gericht nachzubasteln, es wird zu meist bei der Optik bleiben. Die Kunst des Könners lässt sich nicht allein an einem Foto ablesen. Die Harmonie von Aromen, das geglückte Zusammenspiel von Konsistenzen und die überraschende Kombination von Zutaten sind einfach nur live das volle Vergnügen.
Den Kollegen K. begleite ich noch immer ab und zu bei seinen kulinarischen Inspizionen. Ich mittlerweile routiniert im Besteck liegen lassen und Lampen halten, er mittlerweile ausgestattet mit einem Smartphone samt ausgezeichneter Kamera. Vom Rest der Gäste unterscheiden wir uns nur noch, weil wir dabei leidenschaftlich übers Essen und Kochen reden und uns dem realen Genuss hingeben. Und wenn an den Nachbartischen jemand ein Handy zum Fotografieren zückt, hat sich im Freundeskreis das geflügelte Wort etabliert: „Schau mal, da macht einer den K.!“

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