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Osttirol

Bergwelten - 12/2020

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MIT EINER GROSSEN PORTION HERZ

Eine Liebeserklärung an Osttirol und die Osttiroler.

Was wäre, wenn Albert Uderzo und René Goscinny, die französischen Väter von „Asterix und Obelix“, Österreicher gewesen wären? Hmmm, sagen Sie jetzt vielleicht. Ganz einfach, antworte ich: dann wäre das kleine gallische Dorf voller liebenswerter aber recht eigensinniger Charaktere mit Sicherheit Osttirol gewesen. Gerade einmal 2.020 Quadratkilometer groß, klebt die kleine Tiroler Enklave am südwestlichsten Zipfel Österreichs, gleich hinterm elendlangen Kärntner Drautal. Von Nordtirol durch den Pinzgau, von Südtirol und Venetien durch eine Staatsgrenze getrennt, entwickelte sich in dieser Abgeschiedenheit eine Kultur die stark von Autarkie und Nachbarschaftshilfe geprägt ist. In der es zwar oft hitzige Streitereien gab und gibt, letztendlich aber alle gemeinsam an einem Strang ziehen.
Die Fingerspitzen von Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammengepresst und himmelwärts gehalten, dann den Arm vom Kinn Richtung Tischplatte runtergeschnalzt – das war das erste Mal, wie mir ein Osttiroler mit einer Handbewegung versucht hat, den Charakter seiner Landsleute zu erklären. Gerade, ehrlich und mit einem ordentlichen Quantum Sturschädel ausgestattet, sollte das heißen, und weil das mit der linken Hand ausgeführt wurde, war auch eine große Portion Herz dabei. Es war vermutlich der Moment, in dem ich mich in diesen wundervollen Flecken Erde verliebt habe.
Ein Flecken, in dem die imposante Bergwelt ihre Gipfel zwar mächtig in den Himmel reckt, aber die meisten Täler in sicherer Entfernung umkränzt, so dass sie nicht allzu lange, dunkle Schatten werfen. Das Villgratental zum Beispiel, ein Hochtal in dem sich auch im Winter ein paar Sonnenstunden täglich ausgehen, weil einem die Villgrater Berge nicht zu Nahe rücken und im Süden sogar den Blick auf die Dolomiten freigeben. Auch das Defereggental ist abgesehen von ein paar Engstellen von großzügiger Weitläufigkeit, so wie Kals, von wo man den Aufstieg auf Österreichs höchsten Berg, den Großglockner (3.798 m), starten kann.
Man kann den Osttirolern gerne ein bisschen, eventuell sogar viel, Rauheit und Verwegenheit nachsagen, die Wilden hinterm Berg oder gar hinterwäldlerisch sind sie nicht. Im Gegenteil, so manch hartnäckiger Kampf gegen Obrigkeit und Zeitgeist, hat sich im Nachhinein als beinahe prophetischer Weitblick erwiesen. So waren es zum Beispiel die Kalser Frauen die mit ihren Protesten vor dreißig Jahren ein gigantisches Kraftwerk verhinderten, bei dem das Dorfertal als Wanderparadies für immer hinter einer riesigen Staumauer und dazu gleich 17 sprudelnde Bäche verloren gegangen wäre. Inklusive der Isel, einer der letzten unverbauten Gletscherflüsse der Alpen.
Knapp ein Drittel von Osttirol gehört heute zum Nationalpark Hohe Tauern, was eine intakte Natur garantiert, mit der man aber jahrelang nicht so wirklich Geld machen konnte. Ein klein wenig neidisch schielte man nach Nord- und Südtirol oder Kärnten, wo riesige Skischaukeln entstanden und alle den großen Profit vor Augen hatten. Die Osttiroler aber waren schlau genug den sirenenhaften Einflüsterungen zu misstrauen. So gut wie nie maximiert schließlich ein fremder Investor seinen Gewinn vor Ort, auch die Verwandlung vom Bauern zum Liftburschen widersprach dem hier herrschenden Freigeist.
Natürlich krachten die Meinungen ordentlich aufeinander, sogar innerhalb von Familien wurde kräftig auf den Tisch gehaut. Den Ausverkauf ihrer Landschaft aber haben sich die Osttiroler erspart. Es gibt ein paar kleine, aber anspruchsvolle Skigebiete, so gut wie kein lärmendes Apres-Ski, es gibt nur Natur pur. Und das in einer unaufdringlichen Grandezza, die einem den Atem raubt. In solch beinahe klischeehaften Schönheit kennt man das Bergland sonst nur noch aus dem Heimatfilm. Kitsch in seiner edelsten Form also, aber echt und zum Angreifen.
Im Virgental zum Beispiel kleben uralte Gehöfte an den steilen Mähdern wie Adlerhorste und haben die Zeiten an sich vorüberziehen lassen. Unbeeindruckt und stolz, weil die Altvorderen schon wussten wo sie was hin bauen können ohne Lawinen- oder Hochwassergefahr. So wie einst wird in den Sommern das Bergheu hoch droben mit der Sense gemäht und gelagert, um im Winter auf Holzkufen gebündelt in waghalsigen Höllenritten ins Tal geführt zu werden. Fürs Vieh und weil es anders kaum gehen würde, auf keinen Fall aber als Attraktion für Touristen, die als Zaungäste unerwünscht sind.
Ansonsten wird der Gast aber auf Händen getragen, weil alle die diesen besonderen Flecken entdecken, das Besondere lieben. Das Ruhige, das Stille, das Unverbrauchte. Und das Ehrliche, in der eine ganz große Portion Herz steckt.

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