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Wipptal

Servus Gute Küche 2 / 2019
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AUF GUT TIROLERISCH

Ein Besuch hart an der Grenze zum Brenner. In den pittoresken Seitentälern des Wipptales, dem Gschnitz-, dem Valser- und dem Schmirntal wird das Bodenständige gepflegt und mit ein bisschen südlicher Leichtigkeit gewürzt. 

Fotos: Christof Wagner 

Wahrscheinlich bin ich Koch geworden, weil die Küchen immer die gemütlichsten und wärmsten Plätze waren.“ Wir stehen mit Arno Übergänger vorm Wienerhof in Trins im Gschnitztal und geben ihm insgeheim Recht. Obwohl bereits Mitte März hat es gestern gut einen halben Meter Neuschnee abgeworfen und die Minustemperaturen lassen uns scheppern. 

Gut, die Szenerie alleine könnte das Herz erwärmen. Strahlend weiß stechen die Gipfel der Stubaier und Ötztaler Alpen in den blitzblauen Himmel und Sonnenstrahlen knabbern an den bauschigen Bällchen, die wie Zuckerguss auf den Tannenzweigen kleben.

Noch regiert König Winter, aber sein naher Abschied läßt sich an den Schafen von Thomas Pranger erahnen. Die schnuppern bereits die große Freiheit der kommenden Monate und haben sich im weiten Tal einen Weg vom Stall zu den sonnigsten Stellen frei getrampelt.

Für sie beginnt jetzt die Sommerfrische, sagt Thomas Pranger, der im Hauptberuf Musiker ist und Klarinette und Dirigieren in der Musikschule in Stainach unterrichtet. Ebenso feinsinnig dirigiert er seine Herde, die in punkto Folgsamkeit wohl jedem Hund das Wasser reichen könnte.

Schon als Kind hat er bei seinem Opa gelernt mit Schafen und ihrem eigensinnigen Charakter umzugehen. Als dann 1992 das Braune Bergschaf vom Aussterben bedroht war, tat sich Thomas Pranger mit sieben anderen Idealisten, wie er sagt, zusammen und gründete einen Verein zur Rettung. Etwa 3.000 Braune Bergschafe gibt es mittlerweile wieder, 100 davon dürfen sich bei ihm im Winter im Stall über ungedüngtes Bergheu und im Sommer über saftige Gräser und Kräuter in luftigen Höhen freuen.

Sie sind robust, haben einen geländegängigen Körperbau und sind die Tiroler Ursprungsrasse, sagt Thomas Pranger, der jetzt auf einem Baumstamm sitzt, umringt von seinen Mädels, die so blöken, dass man das als Zustimmung interpretieren darf. Und weil sie es hier so gut haben, schmeckt dann auch ihr Fleisch besonders delikat.

Das Lammfleisch vom Thomas ist sensationell, sagt Arno Übergänger, der viel davon versteht. Sein Vater war Metzker in Matrei am Brenner und hat ihm von Klein auf alles gezeigt. Da Arnos Mutter verstarb als er sechs Jahre alt war, musste er den Vater auch bei den Auslieferungen von Gasthaus zu Gasthaus begleiten, wo er sich in den jeweiligen Küchen aufwärmte.

Vermutlich waren dann noch Vaters ausgezeichnete Kochkünste ausschlaggebend, dass Arno die Kochlehre antrat und derzeit als einer der besten Köche der Gegend gilt. Tiroler Küche mit südlichen Einflüssen, sagt Arno, so hat man im Schatten des Brennerpasses immer gekocht. Weil aber auch hier die Zeit nicht stehen geblieben ist, hat er dem Traditionellen eine Leichtigkeit verpasst. Also keine schweren Buttersaucen oder deftige Beilagen, lieber ein Saftl aus Gemüse, Rotwein und Suppe und feine Linsen zum Lamm.

Auch sein Sauerrahmmousse hat die Lockerheit von Pulverschnee und die Würzigkeit der Berge, woran die Kräuter aus der nahen Trinser Kräuterey einen großen Anteil haben. Fast alles was in der Küche des 39-Jährigen landet ist aus der unmittelbaren Umgebung und dass sich Brigitte Horn ums Eck auf den Anbau von Kräutern spezialisiert hat, ist für die ganze Region ein Glück. Sogar Basilikum schafft sie hin und wieder auf 1.600 Metern.

Es ist jetzt 14 Jahren her, dass Arno ein Hilferuf aus dem Wienerhof ereilte, wo knapp vor Weihnachten ein Koch ausfiel. Eine Saison wollte ich bleiben, sagt er und schmunzelt wie einer, der sich seinem Schicksal liebend gerne ergeben hat. Heute ist er mit Caroline, 31, der Tochter der einst hilferufenden Wirtin Roswitha Wallasch verheiratet.

Seit 300 Jahren gibt es das Wirtshaus, dass in den Annalen allerdings noch als Bierwirt erwähnt wird. Um 1870 herum ging ein Bierwirt-Koch nach Wien auf Saison und nach seiner Rückkehr hieß es im Gschnitztal nur mehr: „Wir gehen zum Wiener essen“, womit der neue Name besiegelt war.

Ich habe nur meine Uniform getauscht, sagt Caroline die früher Polizistin war und jetzt den Service schupft. Im Dirndl, so wie es sich gehört. Ansonsten haben Arno und Caroline als sie vor zwei Jahren übernommen haben, dem Haus einen frischen, jungen Stil verpasst. Optisch sind die 1980er Jahre aus den Zimmern aus-, und ipad und individuelle Gestaltung eingezogen. Zum Wirtshaus gibt es jetzt noch ein kleines Kaffeehaus und weil vor drei Jahren der letzte Nahversorger im Tal zusperrte, wurde ein kleiner Laden eingerichtet, wo es von Milch, Joghurt, Käse über Marmeladen bis zum Schulheft alles Nötige gibt. Kulinarisch schauen die beiden gerne über das Tal hinaus und lassen sich auf ihren Reisen in die weite Welt inspirieren, was sie später ins Tirolerische übertragen könnten.

Das Flair der weiten Welt verströmt auch ein paar Häuser weiter der Trinserhof. Ein bisschen abgeblattelt vielleicht, aber mit der Eleganz eines Hauses das einst für Großes konzipiert war und das sich mit seinem bezaubernden Charme der Vergänglichkeit widersetzt. Es war das erste richtige Hotel im Tal, mit Zentralheizung, Fließwasser in den Zimmern und einem Speisesaal für 100 Gäste samt Stuckdecke und Thonetsesseln. 1927 vom Trinser Lambert Volderauer errichtet, kam es durch die 1000-Mark-Sperre der Nazis nie als mondänes Urlaubsziel in Schwung. Das sollte sich erst ändern, als die Südtiroler Hotelier-Familie Covi, die ihrerseits 1941 vor dem italienischen Diktator Mussolini flüchten musste, das Haus übernahm.

Mir hat Omar Sharif die Hand geküsst, sagt Margit Covi, die mit ihren 90 Jahren rüstig durchs gediegene Ambiente schreitet und sich vor zehn Jahren zur Ruhe gesetzt hat. Nach eigenen Angaben, es ist aber gut vorstellbar, dass sie hie und da einen Stuhl gerade rückt und überhaupt nach dem Rechten sieht.

Mit 22 hat die Innsbruckerin den Covi-Sohn Harry geheiratet und stand sofort mit ihrer Schwiegermutter in der Küche. Die hat ihr die Klassiker der österreichischen Küche, vom Beuschl übers Gulasch bis zum Schnitzel, gelehrt, so richtig gerne aber hat sie Kuchen gebacken und Süßspeisen gemacht.

Stanitzel mit Schlag und Beeren, Apfelkuchen und –knödel mache ich alles nach dem Rezept der Mama, sagt Sohn Harry, 59, der heute in der Küche das Kommando führt. In jungen Jahren hat er in Hotels in ganz Europa gekocht, bis es ihn wieder in sein Heimathaus zurück zog. Ich koche nur mit Zutaten aus der Gegend, Saiblinge und Forellen kommen direkt aus dem Quellwasser drüben im Schmirntal, sagt Harry Covi während er sorgsam den Saibling in der Pfanne mit Bratbutter übergießt.

Und er nimmt am liebsten Äpfel und Birnen aus dem eigenen Garten, wo Obst, Gemüse und Salate sich nicht vom Klima einschüchtern lassen. Wir am Talanfang sind begünstigt, weil wir noch was vom Föhn abbekommen, sagt Bruder Jörg, 66, der sich um das Hotel an sich und mit Charissma um die Hotelbar im Speziellen kümmert, in der die glanzvollen Zeiten Mitte des vorigen Jahrhunderts noch immer ein bisschen durchblitzen.

1969 etwa machte Hollywood das Gschnitztal monatelang zur Filmkulisse durch die Omar Sharif und Michael Caine stapften. „Das vergessene Tal“ hiess der Schinken der zum sensationellen Flop wurde und in Vergessenheit geriet. Doch hier im Trinserhof, dem damaligen Zentrum des gesellschaftlichen Lebens jenseits der Kamera, wird die Erinnerung wohl noch lange weiterleben. Vor allem weil mit den Zwillingstöchtern von Jörg, Jessica und Jennifer, bereits die nächste Generation Covis eine Zukunft darauf aufbauen möchte.

 

Drüben im Valsertal wurde in der pittoresken Szenerie ebenfalls ein Film gedreht. „Vals“, ein moderner Heimatfilm mit Gerti Drassl hatte zwar nichts von Hollywood, war aber zumindest in Österreich ein veritabler Erfolg. Oben auf 1.600 Metern beim Gasthof Steckholzer hat man vom Dreh vermutlich kaum etwas mitbekommen, und wenn dann nur unter dem Motto „Filmleut‘ sind auch nur Leut‘.“

Ich wollte nie Bäuerin und Köchin werden, sagt Martina Wolf, die unten im Tal aufgewachsen ist. Aber die Liebe!, sagt sie dann mit einem herzlichen Lacher und verdreht dabei gottergeben die Augen gen Himmel. 44 ist sie heute und während ihr Mann Daniel sich um die große Bio-Landwirtschaft mit 35 Kühen und zwei Schweindln kümmert, ist die Gaststätte ganz zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden.

Seit sechs Generationen ist der Hof in Familienbesitz, als Gasthof wurde er bereits 1313 urkundlich erwähnt. Es sind die Knödel, weswegen man aus der ganzen Gegend zum Steckholzer pilgert. Und es war Oma Wolf, von der man noch heute ehrfürchtig als legendäre Knödel-Köchin spricht. Sie hat ihre Geheimnisse an ihre Schwiegertochter weitergegeben, dir ihrerseits wiederum geduldig Martina einweihte. Wobei die große Kunst in der Steckholzer-Küche der Umgang mit dem riesigen Holzherd ist. Ich könnte gar nicht mehr anders, sagt Martina, während sie den Schweinsbraten im Rohr, wieder näher zur Hitze schiebt. Es ist ein ewiges Hin- und Hergeschiebe, sagt sie noch und schaut dabei so fröhlich, wie alle die großen Spass bei ihrer Arbeit haben.

Im Hause Steckholzer wird übrigens seit immer nur mit Gefühl gekocht und nicht nach Rezept. Trotzdem hat sich Martina Wolf hingesetzt und für uns das Wichtigste notiert. Für den normalen Herd, weil für den Holzherd, würde man einen eigenen Wald benötigen. Und jahrelange Übung.

Im Laufe der Zeit hat Martina also ihre große Leidenschaft fürs Kochen entdeckt, deshalb stehen neben dem klassischen Knödel-Tris auch manchmal Eigen-Kreationen auf der Karte mit Kräutern aus den Gartl hinterm Haus, den noch die Oma angelegt hat. Wird ein Rind geschlachtet, wird erstens alles verwertet und zweitens nur so lange etwas davon da ist, dann ist halt Schluss mit Rindfleisch bis zum nächsten Mal.

Was beim Steckholzer nicht aus der eigenen Landwirtschaft stammt, kommt von den Nachbarn am Pflerscherhof. Wenn man so durch die Schneewände gleitet, die hier heroben besonders hoch sind, könnte man glauben, man ist am Ende der Welt angekommen. Da hinten irgendwo ist es aus, sagt Heidi Bacher und fuchtelt mit dem Arm in die Richtung, wo wir Süden vermuten. Da ist die Grenze, sagt sie, da ist Italien, da geht’s nicht weiter.

Einsam ist es hier, ja, aber das habe sie so gewollt, sagt Heidi. Und Bäuerin wollte sie auch immer werden. Aus dem nahen Navistal hat sie einst auf den Erbhof eingeheiratet, und so wie man es hier immer schon machte, verarbeitet auch sie die Milch ihrer Kühe und Ziegen weiter. Zu allem was man so zum Kochen braucht, vor allem aber zu Graukas.

Dafür wird gleich nach dem Melken die Milch zentrifugiert, der Rahm dann zu Butter gerührt und die restliche Magermilch läßt sie zwei Nächte lang sauer werden. Nach dem Erhitzen muss der Topfen abtropfen, wird nach Gefühl mit Salz und Pfeffer gewürzt, und muss dann abgefüllt sieben bis zehn Tage bei Zimmertemperatur reifen. Klingt einfach, ist es aber nicht, sagt Heidi. Sie hat Rezept und Prozedere von ihrer Schwiegermutter gelernt und dann einige Zeit und Erfahrung gebraucht, bis der Graukas gut gelungen ist. So gut, dass er rundum schon mehr als ein Geheimtipp ist.

Der Graukas hier in der Grenzregion unterscheidet sich auch in seiner Milde von anderen. In Salzburg etwa läßt man ihn länger reifen, drüben im Zillertal zieht man noch Schimmel durch. Am besten, sagt Heidi schmeckt er nach einer Wanderung mit Butterbrot, Zwiebel und Schnittlauch oder einfach zu Erdäpfeln.

 

Zum Wandern, Bergsteigen und Skitourengehen findet man sich auch im nebenan gelegenen Schmirntal ein. Vor allem der Olperer mit seinen 3.476 Metern wird von hier aus gerne erklommen. Wer es nicht ganz so sportlich mag, kann sich ganz einfach von der Terrasse des Gasthauses mit dem bezeichnenden Namen Olpererblick den Weg auf den markanten Gipfel illusionieren. Und sich dabei über das eine oder andere vom Almochsen freuen.

Drei bis vier Ochsen brauchen wir pro Jahr, sagt Wirtin Kathi Früh und dass sie sich erst daran gewöhnen musste, wirklich alles vom Tier zu verwerten. Vor ein paar Jahren hat sie damit begonnen sich in der Küche auf die Almochsen vom Tiroler Grauvieh zu spezialisieren, die erst dann zum Almochsen werden, wenn sie zweimal auf einer Alm waren. Die Edelteile gehen natürlich nach wie vor am Besten, aber es gibt hier jetzt auch Innereien, Faschiertes, Leberknödel, die Knochen kommen in die Suppe und der Metzker in St. Jodok verarbeitet noch so einiges zu Kaminwurzen.

Eigentlich ist Kathi ja eine Zugereiste. Weil sie aber aus dem nicht allzu fernen Rum bei Innsbruck stammt und dazu noch ein gewinnendes, offenes Wesen hat, ist sie für die Schmirntaler schon längst eine von ihnen. Heute wird im Tal hauptsächlich Viehzucht betrieben, früher wurden hier aber Kartoffeln für das gesamte Wipptal angebaut. Das riesige Kartoffellager baute man in den 1970er Jahren zu einem Wirtshaus um, das aber bald leer stand. Bis es Kathis Vater, ein Landwirt aus Rum vor 20 Jahren kaufte und ihm neues Leben einhauchte.

Ich wollte nie Wirtin werden, sagt Kathi und lächelt versonnen wie eine, die trotzdem angekommen ist. Es hat sich halt so ergeben, sagt sie noch und dass sie mittlerweile das Leben hier im Tal nicht missen möchte. Vor 13 Jahren sprang sie praktisch ins kalte Wasser und heute mit 36 Jahren ist sie für alle schlicht und einfach die Wirtin vom Olpererblick.

Nur einmal pro Woche muss sie raus, ein bisschen Stadtluft schnuppern und nach Innsbruck fahren. Dort in Rum hat mittlerweile ihr Bruder die Landwirtschaft übernommen und beliefert auch seine Schwester hinten in den Bergen mit Obst, Gemüse, Säften und Würsten. Ich kaufe keine Tomaten mehr aus Spanien, bei mir gibt es nur mehr was gerade Saison hat, jetzt zum Beispiel Wintersalate, sagt Kathi.

Das wollen nicht alle Gäste verstehen, aber im Wirtshaus nimmt man sich Zeit und erklärt geduldig, dass das in der Tiroler Küche schließlich immer schon Tradition war. Und dass das wohl der einzige Weg ist, der in die Zukunft führt. Oder?, sagt Kathi und meint das gar nicht als Frage, weil sie weiß, dass ihr die Zeit recht geben wird. Dann stellt sie auf der Terrasse die Sesseln auf den Tisch. Die Sonne ist weg, es ist wieder kalt geworden und wir gehen hinein. In die Küche, denn dort ist es schließlich am wärmsten.

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