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Achensee

Servus Magazin - November 2020

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HINTER DEN WOLKEN

Von sterbenden Riesen, braven Schafen und bodenständigen Küchen zum Niederknien.
Wenn sich Herbstnebel wie Vorhänge über die Landschaft rund um den Tiroler Achensee legen, wird es dort sehr gemütlich.

Foto © Christof Wagner

Es ist, als würden Himmel und Erde miteinander verschmelzen. Oben und Unten gehen nahtlos ineinander über, so als hätte sich ein blickdichter Vorhang am Boden festgesogen. Pause, signalisieren die Wolken, die dem bunten Treiben in der Tiroler Bergwelt ein Ende gesetzt haben. Jetzt wird einmal tief Luft geholt, jetzt wird im Hintergrund an der neuen Kulisse gearbeitet, die mit ihrem blendenden Farbenspiel – schneeweiße Gipfel im zartblauen Winterhimmel – bald wieder ein Leichtes haben wird, die Menschen zu betören.
Jetzt aber herrscht Stille und nur wer neugierig genug ist den herbstlichen Nebelvorhang zu lüpfen, findet eine Welt, in der alles weiter seinen Gang geht. Gemächlicher vielleicht, in gedämpften Farben und in mystisches Licht getaucht. Eine reizvolle Zauberwelt aus Felsen, Wäldern und Schluchten, in der das Pfffftsch des Wanderschuhs bei jedem Schritt im regensatten Almboden für Heiterkeit sorgt.
Hier muss er wohl in seinem Todeskampf vorbei getaumelt sein, der Riese Thyrsus, denkt man sich, während die Schatten der Häuser von Pertisau langsam hinter dem Schleier verblassen und sich die Karwendeltäler leise flüsternd öffnen. Sterbend war Thyrsus nach blutigem Kampf mit seinem Riesen-Widersacher ins Karwendel geflüchtet und hauchte sein Leben mit den Worten aus: Spritz Blut, sei für Viech und Menschen gut! Seither schwört man hier auf die heilsame Wirkung seines Blutes, dem Steinöl, für das Ölschiefer aus den Bergen abgebaut, zerkleinert, erhitzt und Öl daraus kondensiert wird. Riecht dann zwar nach Pech und Schwefel, soll aber bei Hautproblemen, Blutergüssen und gegen Rheuma helfen.
Vielleicht hat Thyrsus bei seinem Rückzug schnell noch seine wunden Füße zur Linderung in den Achensee getaucht. Groß und kalt genug wäre er, verlockend obendrein. In allen Schattierungen von Hellgrün über Türkis bis Blitzblau funkelt er auf knapp 1.000 Metern Höhe wie ein Edelstein kunstvoll eingefasst von den zackigen Gipfeln des Rofan und der Brandenberger Alpen im Osten und des Karwendels im Süden und Westen.
Ein Bergsee, in Urzeiten von Gletschern geformt, der einst so reich an Fischen war, dass sich die Kirche vor 700 Jahren die Pfründe mit gefälschten Urkunden sicherte um das naheliegende Benediktinerkloster Georgenberg zu versorgen. Davon blieb wenig übrig seit man 1927 den Abfluss zur Isar im Norden schloss und den See als Stausee für das Wasserkraftwerk in Jenbach nutzte. Bis zu 14 Meter wurde jeden Winter abgesenkt, damit verschwanden auch die Laichgründe. Erst seit 2014 darf dem natürliche Speichersee nur mehr bis zu maximal 5 Meter Wasser abgelassen werden, jetzt kommen langsam die Fische wieder zurück. Schnell wachsen ist im 133 Meter tiefen See sowieso nicht möglich, auch weil die Temperatur über frische 20 Grad selten hinauskommt.
Zum Fischen und zum Jagen kam bereits vor 500 Jahren Kaiser Maximilian I. an den See und in die Wälder. Er war so etwas wie der erste Tourist, dem der Adel gerne zur Sommerfrische folgte. Mit dem nötigen Luxus, versteht sich. So entstanden feudale Herbergen und Lusthäuser, im 16. Jahrhundert ließ Erzherzog Ferdinand II. sogar venezianische Schiffe zum Achensee transportieren, damit man standesgemäß herumschippern konnte. Der Glamour von einst mag zwar mittlerweile einer Zweckmäßigkeit zum Komfort des modernen Touristen gewichen sein, was blieb ist die natürliche Schönheit des Berglandes mit einem See, der rundum für jeden frei zugänglich und nur auf einer Seite befahrbar ist.
Einfach ein riesiger Abenteuer—Spielplatz, sagt Hannes Moser, der auf einer Alm in Steinberg gerade mit einem Trilili seine Schafherde zum Fototermin zusammen pfeift. Die sind echte Grenzgänger, sagt er, während sie sich brav um ihn scharen und in puncto Folgsamkeit wohl jedem Hund das Wasser reichen können. Zur Orientierung fuchtelt Hannes mit dem Arm in den tiefhängenden Wolkenvorhang, weil dahinter, nur etwa einen Kilometer entfernt, gleich die Grenze zu Bayern ist.
Obwohl in der Gegend traditionell Kühe gehalten werden, hat sein Vater Peter bereits vor 30 Jahren mit einer Schafzucht begonnen. Zuerst mit Steinschafen, erst später sind die Mosers auf Merinoschafe umgestiegen. Sind charakterlich ruhiger, nicht so hochgezüchtet und haben mehr Fleisch, sagt Vater Peter. Er hat gemeinsam mit seinem Freund Armin Gründler, der drüben in Achenkirch in seinem Hotel Kulinarik-Alpin eines der besten Restaurants der Gegend betreibt, an der Fleisch-Qualität herumgetüftelt. Sogar an einen geräucherten Schafspeck haben sich die Herren gewagt. Die Schafln verbringen ihr ganzes Leben bei uns, sagt Sohn Hannes und dass sie bei ihm am Kohlerhof stressfrei geschlachtet werden und das Fleisch zehn Tage reifen kann, bevor er es hergibt.
Noch ist der 27-Jährige KFZ-Mechaniker, Bauer im Nebenerwerb, bald möchte er sich aber nur mehr um den Hof kümmern. Gleich nach der Landwirtschaftsschule in Rotholz hat er sich eine zeitlang in Neuseeland umgesehen, wo er aufs Merinoschaf kam. Mit Schafen muss man können, sagt er, weil die können ganz schön bockig sein. Das ist aber spannender als bei Kühen, die haben mich nie interessiert, sagt er noch. Zur Bestätigung gibt es ein kräftiges Mäh seiner 85 Tiere mit denen er jetzt langsam hinterm Hügel und im weißen Nichts entschwindet.
Das sieht Sandra Stroobants komplett anders. Sie hatte immer ein Faible für Kühe und sich vor zehn Jahren einen Traum erfüllt. Ganz am Ende der einzigen Forststraße die hart an der Kante der tiefen Schlucht von Steinberg rüber ins Brandenbergertal führt, weckte sie mit ihrem Mann einen alten Bergbauernhof aus dem 18. Jahrhundert aus dem Dornröschenschlaf. Die „Gang“, so der Hofname, war bis in die 1960er Jahre auch eine Gastwirtschaft, in der die Holzarbeiter nach der gefährlichen Brandenberger Holztrifft aufs Überleben und die raue Natur anstießen.
Nach eigenen Entwürfen ließ sie sich im ehemaligen Schweinestall eine Käserei mit einer Holzfeuerstelle einrichten. Hier käst sie jetzt unter anderem Mutschli – schweizerisch für etwas kleines, rundes – wie sie es auf einer Alpe im Berner Oberland gelernt hat. Die Milch, die sie noch zu Joghurt und Schotten, also Topfen, verarbeitet kommt von Pria, Emma und Paulina, drei Schweizer Braunvieh-Damen, denen es auf der Gang besonders gut gefällt. Auch weil sie im Gegensatz zu vielen Artgenossen ihre Hörner behalten dürfen. Die gehören zu ihrem Körper, sagt Sandra, und außerdem ist die Milch von Horn-Kühen besser verträglich.
Für meine Nocken ist der Schotten von der Sandra ideal, sagt Alexandra Dalmonego, während sie die Erdäpfel-Topfenmasse kostet, kurz mit der Zunge schnalzt und mit einer Prise Muskatnuss nachwürzt. Rund geformt landen die Schottennocken gleich in der Pfanne um dann knusprig gebraten in der Stube vom Waldhäusl serviert zu werden. Das Rezept stammt aus einem alten Kochbuch, das der Vater der gebürtigen Pertisauerin einst von seiner Großmutter bekommen hat. Er war Kochlehrer in der Villa Blanka, der Innsbrucker Tourismusschule, was durchaus auf seine Tochter abfärbte.
Noch prägender allerdings war seine Zusammenarbeit mit Skisprung-Papst Baldur Preiml. Dieser ließ sich in den 1970er Jahren für seine später erfolgreichen Schüler wie etwa Toni Innauer oder Karl Schnabl ein spezielles Ernährungskonzept entwickeln. Die Experimente hat der Vater an unserer Familie daheim ausprobiert, sagt Alexandra und lacht dabei heiter, darum waren wir schon damals streckenweise Veganer. Gesund, leicht, und alles frisch lautet deshalb ihre Devise, mit der die 52-Jährige Tiroler Klassikern die Schwere nimmt. So kommt etwa in ihre Graukassuppe ein Hauch Zimt zur besseren Bekömmlichkeit rein und das Nussbrot wird ohne Mehl gebacken.
Seit 120 Jahren duckt sich das Waldhäusl an den Rand der an sich recht sonnigen Steinberger Hochebene. Die Großmutter von Alexandras Partner Robert Huber eröffnete dort einst eine kleine Pension mit Jausenstation. Roberts Vater, ein recht geselliger Kumpel und Musikant machte ein Wirtshaus draus, in dem die Einheimischen gerne die Zeit vergaßen.
Vor 26 Jahren übernahm dann Robert das Haus, sattelte von Tischler auf Koch um und versuchte mit seinen sechs Schwestern den etwas heruntergekommenen Nachtbetrieb auf seriöses Tagesgeschäft umzustellen. Das gelang so richtig als er vor zwanzig Jahren seine Alexandra traf. Seither ist die Wirtschaft ein gemütliches Schmuckstück mit alten Möbeln, viel Holz und einem lustigen Wirten, der sich mit seinen Gästen freut, dass seine Frau so gut und leidenschaftlich kocht.
Koch aus Leidenschaft ist auch Raimund Pranger oben am Rofan. Der Hüttenwirt der Erfurter Hütte auf über 1.800 Metern kommt aus dem Tiroler Gschnitztal und vereint gleich mehrere Talente der riesigen Pranger-Sippe in sich. Wie Cousin Manfred, der 2009 Slalom-Weltmeister war, ist er äußerst sportlich. Das Musikalische eint ihn mit Dirigent und Klarinettist Florian Pranger und gestandene Hüttenwirte finden sich auch so einige in der Verwandtschaft.
Bereits mit 14 Jahren hat Raimund auf den Hütten ausgeholfen und nach einer Koch-Lehre die Brennerhütte übernommen. Vor zehn Jahren ist er mit seiner Familie auf die alte Alpenvereinshütte hoch über dem Achensee übersiedelt. Wir haben gleich einmal die Selbstbedienung abgeschafft und auf Qualität in der Küche geschaut, sagt Raimund während er in einem Kupferpfandl eine Kalbsleber anröstet. Die macht er nach einem alten Familienrezept so wie seine Mama. Nicht dünsten, sagt er, nur kurz anbraten und dann in der Sauce garziehen lassen. Butterweich kommt sie auf den Tisch und ist ein Grund, warum die Hütte als kulinarischer Geheimtipp gilt.
Der zweite ist der Kaiserschmarren. 12.600 Portionen hat Raimund letztes Jahr zubereitet und dabei für jede einzelne den Teig frisch angerührt. Mit 39.800 Eiern, sagt er mit stolzem Unterton in der Stimme, und alle Bio von einem Hof im Gschnitztal. Wenn die Hütte voll ist, sagt er noch, brauchst Kraft für die Gusseisenpfannen. Und Nerven natürlich auch.
Zur Entspannung komponiert er ein bisschen, die Hüttengaudi-Polka zum Beispiel. Einmal pro Woche spielt er unten in Maurach mit der Musikkapelle und steigt dann mitten in der Nacht die zweieinhalb Stunden wieder rauf zur Hütte. Ansonsten ist nach einem schweren Sportunfall vor ein paar Jahren nur mehr Wandern drinnen. Aber da bin ich ja mitten im Paradies, sagt Raimund. Ein Paradies, das sich gerade versteckt hinter den Wolkenschleiern zurecht für die nächste Saison macht und seine Erhabenheit und Schönheit nur ab und zu probehalber durchblitzen läßt.
Schau da, der See, sagt Raimund jetzt. Und für ein paar Minuten zieht die Natur den Vorhang auf und der Achensee darf seine ganze Pracht ausspielen. Wie ein Alpenkönig liegt er uns zu Füssen und blinzelt uns kurz gnädig zu. Dann versinkt er hinter den Wolken in seiner Winterruhe.

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