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PORTRÄTS
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Hochkönig
Servus Magazin - Jänner 2023
DER KÖNIG ZU FÜSSEN
Wo es Sennerinnen allzu bunt trieben, man in alter Tradition Glas, Leder und Holz verarbeitet und sogar Karotten zu Schnaps gebrannt werden. Ein Streifzug von Dienten nach Maria Alm im Salzburger Pinzgau.
Foto © Bernhard Huber
Es gibt Berge, die beeindrucken mit ihrer Eleganz, mit der sie sich in die Höhe strecken. Es gibt Berge, die so imposant den Himmel beherrschen, dass es einem den Atem raubt. Und es gibt den Hochkönig. Egal von welcher Seite man sich nähert – ob von Norden vom pittoresken Berchtesgadener Land, von Westen entlang des Steinernen Meeres, ob von Osten, wo das Dachsteingebirge rüberwinkt oder von Süden aus den Hohen Tauern - der Hochkönig thront wie ein funkelnder Solitär anmutig und mächtig in ihrer Mitte. Ein Regent, an dem die Zeit keine erkennbaren Spuren hinterlassen hat, selbst wenn an seinem Fuße das Treiben der Menschen seit jeher munter seinen Lauf nimmt.
Jeden Tag schau ich aus dem Fenster, und jeden Tag schaut er anders aus, sagt Heinrich Rainer, der von seiner Grüneggalm hoch über Dienten einen wahrhaft prächtigen Blick von Süden auf das Bergmassiv hat. Mitte seiner Fünfziger ist er jetzt, hier heroben auf 1.190 Metern geboren und trotzdem hat er sich noch nicht satt gesehen. Selbst als er in jungen Jahren als Bariton und mit seiner Trompete mit dem Hochkönig-Quintett durch die Weltgeschichte tingelte, zog es ihn immer wieder zurück. Vor knapp dreißig Jahren blieb er dann endgültig daheim und übernahm die Landwirtschaft, die seit über 200 Jahren in Familienbesitz ist.
Seit 500 Jahren gibt es den Hof, der in seinen Anfängen den Bergleuten als Zwischenstation beim Transport der Erze diente. Damals, als Dienten noch ein reiches Bergbaudorf war, bevor die Hütten geschlossen wurden und der Ort in einen Dornröschenschlaf versank, aus dem ihn erst der Tourismus wieder weckte. Ich musste noch zu Fuß in die Schule, im Winter manchmal durch einen Meter Schnee stapfen, sagt Heinrich Rainer und dass ihn das irgendwie auch abgehärtet hat. Seine Besucher haben es heute bequemer. Erstens gibt es seit zwanzig Jahren eine Straße, die im Winter allerdings nur als Rodelbahn dient. Zweitens hat er die alte Materialseilbahn mit einer Gondel bestückt, in der er nach Anruf Hausgäste und ihr Gepäck transportieren kann. Alle anderen wandern oder touren mit Skiern durch tiefverschneite Wälder zur Hütte, die für ihre Bratln, Ripperln und Kaspressknödel rundum bekannt ist. Noch bekannter sind allerdings die Schnäpse, die auf der Grüneggalm gebrannt werden.
Ich habe mit Vogelbeere begonnen, dann Obst zugekauft, weil bei uns wächst ja nichts, sagt Heinrich Rainer und dass heute über 30 Brände im Sortiment sind. In der Brennerei ist mittlerweile Sohn Johannes der Chef. Er hat schon als Kind seine Leidenschaft fürs Schnapsbrennen entdeckt und war mit 15 Jahren der jüngste Brenner Österreichs. 24 ist er heute und heimst mit seinen Kreationen einen Preis nach dem anderen ein. Sogar an einen Karottenschnaps hat er sich gewagt, weil das Gemüse einmal irrtümlich tonnenweise geliefert wurde und die Rainers es nicht verrotten lassen wollten. Ist gar nicht so einfach, weil sie so viel Stärke haben, sagt Johannes, der mit dem Ergebnis jetzt äußerst zufrieden ist.
Gar nicht so einfach ist im Winter auch unten in Dienten der steile Aufstieg zur Nikolauskirche, die auf einem Hügel sitzt. Mit ihrem Zwiebelturm, der ihr nach einem Blitzeinschlag im 18. Jahrhundert aufgesetzt wurde, ist sie so etwas wie das Wahrzeichen der Region zwischen Mühlbach und Maria Alm am Fuße des Hochkönigs. Zur Einweihung der ursprünglich gotischen Kirche 1505 wurde daneben eine Linde gepflanzt, die mit ihrem dicken, alten Stamm allen Unbillen getrotzt hat. Die pompöse barocke Kirchenausstattung zeugt noch von der Zeit, in der hier wegen des Eisenbergwerkes Milch und Honig flossen.
Bereits in grauer Vorzeit, so die Legende, konnte man auch auf den Almen, über die der Hochkönig wacht, aus dem Vollen schöpfen. Auf einer sollen die Sennerinnen im Überfluß gelebt und die Nächte durchgefeiert und getrunken haben. Übermütig pflasterten sie die Wege mit Käselaiben, kleideten sie mit Butter aus und hatten für die Armen nur Hohn und Spott übrig. Bis es den Himmelsmächten zu viel wurde. Mit Geröll und Lawinen setzten sie dem freveligen Treiben ein Ende, zurück blieb die Übergossene Alm, die bis heute diesen Namen trägt.
Hier eröffnete der Dientner Skilehrer Alois Burschwaiger Anfang der 1960er Jahren eine kleine Pension mit Jausenstation, die sich zu einem ansehnlichen Hotel-Resort mitten in der Natur ausgewachsen hat. Mein Vater war eine Art Architekt mit Wirtsqualitäten, sagt Sohn Wolfgang, der das Haus im Jahr 2000 übernommen hat. Wo der Vater in Eigenregie immer etwas dazu gestückelt hat, ist unter der Führung des internationalen Hotelfachmannes eine Einheit entstanden, in der der Charme der Pionierzeit immer noch ein bisschen durchblitzt. Zwar sei er für sein Gefühl damals mit 23 Jahren zu früh heimgekehrt, gesteht Wolfgang Burgschwaiger, aber der Panoramablick auf den Hochkönig, entschädigt für so manches. Natürlich hat er seither schon ein paarmal auf der Route übers Arthurhaus den Gipfel erklommen. Als Dientner ist das Ehrensache.
Ein Stückchen weiter westlich Richtung Maria Alm ist es in Hinterthal Ehrensache kaum etwas über seine prominenten Bewohner zu verraten. Der kleine Ort ohne Vergangenheit aber mit großer Diskretion ist eine Fundgrube für Zweitwohnbesitzer. Mit Bilderbuchblick auf die Bergwelt und einem romantischen Winterwanderweg entlang der Urslau bis zum Triefen Wasserfall, der wie ein Perlvorhang über Felsen rieselt, hinter denen eine geheimnisvolle Welt verborgen sein könnte.
Ein Geheimnis wird es wohl immer bleiben, warum ein schlichtes Holzkreuz mit einem Marien-Gnadenbild ab dem 10. Jahrhundert so viele Menschen ins Saalfeldner Becken zog. Es stand an der Stelle, an der ein Bär einen Holzfäller getötet hatte und machte einen kleinen Ort zur Pilgerstätte, der nach seinen Burgherren Von der Almb, einfach Alm genannt wurde. So sagen auch noch die älteren Einheimischen, weil er erst vor 55 Jahren in Maria Alm umbenannt wurde. Unglaubliche 76 Meter ragt der Turm der Wallfahrtskirche spitz in die Höhe, postkartenkitschig umrahmt von den Felswänden des Hochkönigs. Fehlt nur noch, dass gerade Michael Perterer mit seiner Kutsche durchs Bild gleitet.
Der 27-Jährige Biobauer trainiert auf dem elterlichen Mitterstegengut seine Noriker-Pferde für zweispännige Fahrten. Bei der Schnalzergruppe, sagt er, sei er auf den Geschmack gekommen, weil dort nicht nur am Boden, sondern auch hoch zu Ross mit den Peitschen Achter in die Luft geschnalzt werden. Ab zwei Jahren müssen die Pferde mit Zaumzeug, das seit Jahrzehnten von Ross zu Ross weitervererbt wird, trainieren im Gleichschritt und auf Kommando, eine Kutsche zu ziehen. Erst wenn das einwandfrei klappt, dürfen auch Gäste Platz nehmen und beinahe lautlos durch den glitzernden Schnee gleiten. Nur begleitet vom dumpfen Stampfen der Hufe und hellem Glockengebimmel.
Als Wallfahrtsort ist Maria Alm im Laufe der Zeit zwar aus der Mode gekommen – es wird nur noch jährlich am 24. August zu Bartholomä hinüber zum bayerischen Königsee gepilgert – aber so mancher, der einmal hier im Schatten des großen Berges seine Wohnstatt aufgeschlagen hat, geht wieder weg. Wir kamen nur vorübergehend, weil wir uns in Krimml ein uraltes Bauernhaus renovieren wollten, sagt Andreas Merth. Das war vor 35 Jahren und heute ist der kleine Familienbetrieb, in dem Glaskunst per Hand gefertigt wird, fest in Maria Alm verankert.
Bereits Großvater und Vater waren sogenannte Kugler, also als Bleikristallschleifer für Rundformen zuständig. Andreas Merth hat sich dann mit seiner Frau Angelika, ebenfalls eine Kuglerin, auf Bleiverglasung und Glasmalerei spezialisiert. Nicht nur die Fenster mit Schutzheiligen oder Wappen in den unzähligen Hauskapellen rundum kommen aus ihrer Werkstatt. Die Merths wurden unter anderem auch für die Fenster in der Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf, in der Burg Hohenzollern in Baden-Württemberg oder im Stadtbahnwaggon von Kaiser Franz Josef im Technischen Museum in Wien geholt.
Bei uns ist soviel Erfahrung dabei, das kann man nur direkt von Generation zu Generation weitergeben, sagt Andreas Merth, während er ein Stück handbemaltes Antikglas in das Bild vom Hl. Leonhard einpasst. In seinem riesigen Fundus finden sich neben mundgeblasenen, färbigen Fenstern und Putzenscheiben von Lamberts, der letzten traditionellen Glashütte der Welt im bayerischen Waldsassen, auch 800 Jahre alte Gläser, die von einem untergegangenen Schiff in der Adria geborgen wurden. Eine Schönheit, und in ihrer Unebenheit so lebendig, sagt Andreas Merth, dem der Spruch von zerbrochenem Glas und sieben Jahre Pech nur ein mildes Lächeln abringt.
Obwohl er seinem Sohn Daniel abgeraten hatte, in seine Fußstapfen zu treten, ließ der sich nicht davon abbringen und machte ebenfalls den Glasermeister mit allem Pipapo in Kramsach. Jetzt stehen Vater und Sohn gemeinsam in der Werkstatt und brauchen nicht viele Worte, um ihre Handgriffe zu koordinieren.
Zwar nur auf winzigsten Raum, aber auch bei Handwerk Li.Be im Zentrum von Maria Alm teilt man sich eine Werkstatt. Lisa Anderson (das Li) und Bendedikt Brettfeld (das Be) trafen vor drei Jahren in einem Reitstall aufeinander. Seither sind die Ledersattelmacherin aus Bayern und der gelernte Möbelbauer aus Maria Alm nicht nur im Leben ein Paar. Sie beschlossen ihre beiden Handwerke zu verbinden und brachten vor ein paar Monaten ihre erste Kollektion an handgemachten Ledertaschen mit eingearbeitetem Holz heraus.
Lisa ist die Künstlerin, ich bin der, der mit den Händen arbeitet, sagt Benedikt und dass sie zusammen an den Entwürfen tüfteln. Weil sie unbedingt regional und nachhaltig arbeiten wollen, lassen sie sich jetzt Leder eigens gerben. Normalerweise weißt du nie woher das herkommt, sagt Lisa. Deshalb sammeln sie vorwiegend Ochsen-Rohhäute von den Bauern aus der Gegend ein, entziehen ihnen mit Salz die Flüssigkeit und bringen sie zu einem Sämischgerber rüber nach Scheffau in Tirol. Dieser nimmt zum Gerben Abfälle aus der Landwirtschaft, womit sich der Kreislauf schließt. In die von Lisa handgenähten Formen, klebt oder nagelt Benedikt dann Walnussholz ein.
Es ist auch die Liebe zur Natur, die die beiden verbindet. Eine Natur, in der sie sich beim Tourengehen und wandern Ideen holen und von der es hier am Fuße des Hochkönigs noch genügend unberührte Flecken gibt. Vielleicht auch, weil man mit zuviel buntem Treiben, den Zorn des steinernen Herrschers nicht provozieren will.