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Semmeringbahn

Servus Magazin - Mai 2022

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ÜBER DEN BERG

Die Ghega-Bahn war ein Wunder der Technik und krempelte eine ganze Landschaft um. Wer heute mit dem Zug über den Semmering fährt, kann sich der Nostalgie kaum entziehen, obwohl die Zukunft längst begonnen hat.

Foto © Christof Wagner

Steigen Sie ein, nehmen Sie Platz und begleiten Sie uns ein kurzes Stück auf einer Zug-Fahrt von Wien aus in den Süden. Bis an die Adria kommen Sie in wenigen Stunden, ab 2028 werden Sie noch schneller dort sein. Dann wird der 27 Kilometer lange Tunnel zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag für ein rasanteres Tempo auf der Südbahnstrecke sorgen und den legendären Abschnitt über den Semmering ersetzen.
Dann werden sich nur noch Ausflügler, Pendler und Nostalgiker auf der ersten Gebirgsstrecke der Welt gemächlich durch die Bilderbuch-Landschaft bewegen. Ein 42-kilometerlanges Spektakel mit kurzen Tunneln und Galerien, die wie riesige Fenster im Stakkato die Sicht auf vorüberflitzende Wälder und Felswände freigeben, über tiefe Gräben und Täler auf fragil wirkenden, steinernen Viadukten und Brücken, vorbei an einstmals stolzen Grand-Hotels und schmucken Jahrhundertwende-Villen und drüber über den Pass bis hinein ins Steirische.
Als unwirtlich und abweisend galt der Semmering in frühen Zeiten und immer stand er wie ein hinderlicher Klotz im Weg. Selbst als 1838 eine neue Straße auf den gerade einmal 984 Meter hohen Pass gebaut wurde, die in etwa der heutigen Bundesstraße entspricht, plagte man sich stundenlang mit Kutschen auf den Berg.
Da hatte der österreichische Bahn-Pionier Franz Laurenz Riepl schon längst seine Pläne für eine Südbahn von Wien über Graz und Laibach bis nach Triest vorgelegt. Auch er wollte lieber mit einem Tunnel durch den Berg als oben drüber, was damals so visionär war, dass keiner daran glaubte. Als dann 1844 Carl Ritter von Ghega seine Version einer Strecke entlang der Felswände vorlegte, konnte man bereits mit dem Zug von Mürzzuschlag nach Graz und von Wien nach Gloggnitz fahren. Über den Semmering hieß es aber nach wie vor: Umsteigen bitte, ab in die Kutsche.
100 Brücken, 15 Tunnels und 16 Viadukte, ohne Stahl nur aus Stein und Holz, konzipierte Ghega, wovon das längste mit 228 Metern das Schwarza-Viadukt knapp nach dem Bahnhof Payerbach ist. Von der Pracht des einst frequentiertesten Bahnhofs Österreichs ist kaum mehr etwas übrig, selbst der Kaiserliche Wartesaal fiel der Modernisierung zum Opfer. Einen ersten Eindruck, wie kunstvoll Ghega den Bahnbau angelegt hat, bekommt man unter den Stützen des Schwarza-Viaduktes. Grazil und schlank ragen sie 25 Meter in die Höhe und tragen trotzdem locker die 330 Tonnen eines aktuellen Railjets.
In einem dieser Pfeiler wurde vor 18 Jahren ein Vinodukt, sprich eine Vinothek, eingerichtet. Es hat da drinnen jahraus, jahrein ideale 12 bis 15 Grad und 70 Prozent Luftfeuchtigkeit, sagt Edith Dosztal vom Verein der Freunde der Semmeringbahn, die das Vinodukt als Hobby betreut. Es gibt hier nur Weine die den Zug pfeifen hören, sagt sie noch, also solche die entlang der mittlerweile reaktivierten alten Südbahnstrecke durch die Steiermark, Slowenien bis nach Triest wachsen. Sogar einen Gurgelkratzer kann man probieren, eine recht hantige Traube, die laut Urkunde 1604 in Payerbach angebaut wurde. Einen Rebstock davon hat Edith Dosztal im Garten stehen, die Trauben sind aber selbst den Amseln zu sauer. Deshalb wird dieser Wein ausnahmsweise von einem Winzer aus Fels am Wagram gekeltert.
Obwohl sich der Zug in langgestreckten Serpentinen stetig bergauf schlängelt und dabei 457 Höhenmeter überwindet, würde man heute nicht unbedingt von Steilheit reden. Genau darin lag aber eine Schwierigkeit des jetzigen UNESCO-Weltkulturerbe-Bauwerkes: Anstiege von bis zu 25 Promille auf relativ kurzen Strecken zu bewältigen, das mutete man zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Europa keiner Dampflok zu. Deshalb sah sich Ghega in Nordamerika um, wo Zugmaschinen mühelos über noch stärkere Steigungen dampften und veranstaltete 1851 eine Wettfahrt der vier besten Lokomotiven auf dem steilsten Stück zwischen Payerbach und Eichberg. Aus all diesen Modellen konstruierte Wilhelm Engerth den Prototypen einer Lok die mit 26 Stück für den Semmering in Serie ging und eine neue Ära für Gebirgsbahnen einläutete.
Mittendrin in der ärgsten Steigung liegt die Station Küb. Die Haltestelle haben sich die Küber 1899 erkämpft, sagt Christoph Rella und dass bis dahin der Zug achtlos an dem kleinen Sommerfrische-Ort vorbeigerollt ist. Verständlich, denn erstens ist bergauf Anfahren mühsam und zweitens gab es zu Ghegas Zeiten hier nur Wälder, ein paar Bauernhöfe und sonst nichts. Die Verwandlung von einer Naturlandschaft in eine Kulturlandschaft entstand am gesamten Semmering erst mit dem Bau der Bahn. Echte Natur war es natürlich auch nicht ganz. Ein Großteil des Gebietes gehörte dem Fürsten von Liechtenstein, der sich hier einst einen riesigen Landschaftspark errichten ließ, in dem sogar ein Loch in die Weinzettlwand gebohrt und ein künstlicher Wasserfall angelegt wurde.
Küb erlebte seinen Aufstieg ab den 1870er Jahren, als Erzherzog Karl bei Reichenau im Schloss Wartholz seine Sommer verbrachte und mit ihm die Wiener Gesellschaft den Semmering entdeckte. Mein Urgroßvater Attilio war Baumeister aus dem Trentino und errichte hier eine stattliche Hotelkolonie, sagt Christoph Rella. Binnen weniger Jahre entwickelte sich das Kuhdorf zu einem Ort mit neun Villen, zwanzig Hotels und etlichen Sommerwohnungen.
1902 dann wurde ein Postamt im Haus Nummer 7 errichtet, in dem Besitzer Alois Lechner als Postmeister fungierte. Heute ist das einzige historische Postamt Österreichs ein Museum, das von Christoph Rella geleitet wird. Durch die kleinen Räume weht der Hauch der Jahrhundertwende, weil man vor vierzig Jahren den Großteil des stillgelegten Südbahnhotel-Postamtes hierher verlegte. Samt Holzböden und einer prachtvollen Jugendstil-Schalterwand. Küb selbst scheint mittlerweile in eine Art Dornröschenschlaf versunken zu sein. Die beiden Greißler haben geschlossen, die Rodelbahn ist längst Geschichte, in den vielen Zweitwohnsitzen lebt man lieber zurückgezogen. Einzig die Kapelle der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Eisenbahner, streckt ihr hölzernes Schwalbendach stolz in den Himmel.
Wie eine Perlenkette reihten sich einst 55 Bahnwärterhäuser über den Berg aneinander, in denen jeweils zwei Familien für Ordnung auf der Strecke sorgten. Sie waren aus Bruchstein, unverputzt und in Sichtweite gebaut. Es gab meistens ein kleines Gärtlein und eine Ziege, die sogenannte Eisenbahnerkuh, sagt Georg Zwickl und tritt vor die Türe, um zu lauschen, ob ein Zug heranrauscht. Fahrplan braucht er keinen, das Rattern hört man kilometerweit. Vor zwölf Jahren hat Georg Zwickl ein stillgelegtes Wärterhaus ergattert, noch dazu eines der wenigen mit Strom und Wasser und direkt am Kalte-Rinne-Viadukt gelegen. Doppelstöckig, mit fünf Bögen unten und zehn oben, umspannt es das gleichnamige Tal. Mitsamt der Polleros-Wand, dem Krausel-Klause-Viadukt und dem lediglich 13,55 Meter kurzen Krausel-Tunnel schmückte es später den Zwanzig-Schillingschein und wurde zur Legende.
Natürlich war Georg Zwickl immer schon ein Bahn-Fan, vor allem der Blau Blitz aus den 1950er Jahren hatte es ihm angetan, zum Experten wurde er erst hier. Fasziniert begab er sich auf Spurensuche über Carl Ritter von Ghega und richtete ihm ein kleines Museum ein. Sogar einen Originalbrief des Ingenieurs konnte er ergattern.
Bereits zu Lebzeiten war über den Venezianer, der zunächst Hochgebirgsstraßen in Südtirol baute, bevor er zur Eisenbahn wechselte, wenig privates bekannt. Mit 17 Jahren war er Doktor der Mathematik, er war nie verheiratet, ein ernster Typ und starb 1860 nur sechs Jahre nach Eröffnung seines Meisterwerkes an Schwindsucht. Erst neun Jahre später rang sich der Österreichische Ingenieurverein, der sich mit einer hartnäckigen Ablehnung des Projektes blamiert hatte, eine Ehrung ab und errichtete ihm ein riesiges Marmor-Denkmal am Bahnhof Semmering.
Der damals höchstgelegene Bahnhof der Welt blieb beim Publikum zu Beginn eher links liegen. Die Wiener fuhren zum Schauen über den Berg, es gab keinen Grund im Dschungel des Semmeringer Hochwaldes auszusteigen. Erst Ende der 1870er Jahre entdeckten drei Männer den Platz als ideale Spielwiese. Der Wiener Hofbildhauer Franz Schönthaler begeisterte Südbahn-Direktor Friedrich Schüler für die alpine Schönheit der Gegend. Dieser kaufte den Bauern ihre Gründe für die Bahngesellschaft zum Bauen ab, stellte das Hotel Semmering, das spätere Südbahnhotel, mit besten Panoramablick samt ein paar Touristenhäusern für Speis und Trank ins Gelände und eröffnete direkt dort die zusätzliche Station Wolfsbergkogel. Auch Franz Schönthaler bekam einen Grund und engagierte für seine Villa Franz Neumann. Der Ringstraßen-Architekt entwickelte eine Art malerischen Schweizerhausstil mit Holz und Bruchsteinen, der als Neumann- oder Semmering-Stil in die Geschichte einging, weil er für die Wiener Hautevolee noch etliche ähnliche Villen baute.
Hier die Villa Edita war die letzte von Neumann für die Familie Mauthner, sagt Horst Schröttner und dass sich die Tochter in Koloman Moser verliebte, der dann vom Balkon aus viele Abendstimmungen auf der Rax gezeichnet hat. Horst Schröttner war bis vor kurzem Bürgermeister von Semmering und kennt hier jeden Stein und jede Geschichte. Seine Ahnen zogen vor 350 Jahren in die Gegend, er selbst ist praktisch im Südbahnhotel aufgewachsen, wo seine Mutter Zimmermädchen war. Ein Hotel das selbst jetzt, wo es aus der Zeit gefallen still vor sich hindämmert, seinen Zauber verströmt. Mit einem alten Ballsaal, knarrenden Parkettböden, einem Hallenbad dessen riesige Fensterfront zum Garten geöffnet werden konnte, einer Eishalle und dem ersten 9-Loch Golfplatz von Österreich.
So wie das Panhans mit dem ersten Casino des Landes oder das Kurhotel mit seinem Otto-Wagner-Stiegenhaus ist es Zeuge einer Zeit, in der das Urbane die Natur formte und der technische Fortschritt die Bequemlichkeiten von heute ermöglichte. Die Hochstraße, die Bahnhofstraße, die Südbahnstraße, sie alle wurden so wie die Bahn einst in eine wilde Landschaft geschnitzt, von der sich der Städter Erholung erwartete, ohne auf Komfort verzichten zu müssen. Im nostalgischen Blick zurück wird über hundert Jahre später die seinerzeitige Unschuld verklärt und eine Sehnsucht geweckt, die dem Ort nach langer Durststrecke zu neuer Attraktivität verhilft.
Das Gestern und das Morgen treffen heute in Mürzzuschlag aufeinander. Hier kommt der Tunnel aus dem Berg, durch den man bald in ein paar Minuten brausen wird. Hier endet auch die Ghega-Bahn am Bahnhof Mürzzuschlag aus dem Jahr 1844, der gerade renoviert wird. In den angeschlossenen alten Werkstättenhallen wurde ein richtiges Zug-El Dorado eingerichtet, in dem ein großer Teil dem Bau der Semmeringbahn gewidmet ist. Wir wollten auch all die gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen zeigen, sagt Kunsthistorikerin Kerstin Ogris, die die Dauer-Ausstellung mitkonzipiert hat. Bei diesem Rundgang durch die Bahn-Geschichte begreift man was die Eisenbahn mit der Entstehung der mitteleuropäischen Zeit zu tun hat und wie sie die Menschen in Europa näher zusammenbrachte. Ein Rückblick, der erahnen läßt, dass sentimentales Romantisieren der Natur zwar reizvoll ist, die Schrauben der Zeit aber niemals zurückgedreht werden können. Schließlich hat jede Zeit ihre Zukunft.

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