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Stainz

Servus Magazin - Oktober 2020

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STAINZER G´SCHICHTEN

Von einer Landschaft, durch die man sich am besten treiben lässt. Und von Menschen hier im Steirischen, die mit Leidenschaft den Fortschritt pflegen, ohne dabei auf ihre Wurzeln zu vergessen.

Foto © Christof Wagner

Es kann einem leicht passieren, dass man sich hier verliert. Zunächst einmal im Ghockten, wie meine steirischen Freunde gerne sagen, also im Gehackten. Damit meinen sie die schmalen Straßen, die sich Hügel rauf und Hügel runter, einmal links herum und gleich wieder rechts herum durchs Gelände südwestlich von Graz bis ins Slowenische winden. Orientierung? Chancenlos. Wer aber das Navi ausgeschaltet läßt und neugierig bleibt, kommt schön langsam in die richtige Stimmung fürs Stainzerland.
Man läßt sich treiben, vorbei an alten Marterln, kleinen Kapellen, versteckten Weinstöckeln, über schmale Weinberge und durch dunkle Wälder, die Unberührtheit suggerieren. Wenn man dann hoch droben auf einer Lichtung stehen bleibt, machen einem die sanften Hügeln, die sich wie aquarellierte Linien im weiten Horizont auflösen, glauben, es würde immer so weiter gehen.
Spätestens hier kann man sich ein zweites Mal verlieren. In seiner Fantasie, in seinen Gedanken, die ungehindert, aber frohen Mutes in die Unendlichkeit davonkugeln und einen leicht und unbeschwert zurück lassen.
Es ist eine liebliche Landschaft, soll Erzherzog Johann einst gesagt und sich auch gleich über die Zugänglichkeit der Bevölkerung gefreut haben. 1813 hatte man den Bruder von Kaiser Franz I. aus Tirol verbannt, worauf der umtriebige Modernisierer mit seinen fortschrittlichen Ideen die Steiermark beackerte. Unendlich die Wohltaten des Reformers, dem die dankbaren Steirer nicht nur einen eigenen Jodler sondern mindestens drei Dutzend Lieder widmeten.
1840 kaufte der Habsburger, der sich im Steirischen nur als Privatmann engagierte, das Schloss in Stainz, wo ihn die Bewohner 1850 zu ihrem ersten Bürgermeister wählten. Er wollte den Stainzern näher sein, so erzählt man heute, und dass er in den acht Jahren seiner Amtszeit die Infrastruktur verbesserte, Wasserleitungen und eine Poststation bauen ließ. Er machte aus Wilderern Berufsjäger, die nun keine Not mehr litten, aber in der Gegend jedes Tier, jeden Stein, jeden Baum kannten. Und er brachte die Blaue Wildbacher-Traube in die Gegend, die sich als Schilcher heute langsam vom Ruf einer hantigen Rabiatperle erholt.
Hoch droben auf einem Hügel mitten in Stainz und rundum gut sichtbar thront das Schloss und ehemalige Augustiner Chorherrenstift aus dem 13. Jahrhundert, das von den Nachfahren des Erzherzogs, den Grafen von Meran, bewohnt und bewirtschaftet wird. In einem Teil der riesigen Anlage hat das Grazer Joanneum ein Landwirtschafts- und ein Jagdmuseum eingerichtet. Hier sieht man nicht nur Historisches, wie die Kohlheimerplatte aus 1589 mit einer der ältesten Jagddarstellungen oder einen Original-Festtagsrock des „steirischen Prinzen“, man kann auch multimedial 110 Tiere an ihren Lauten erraten.
Einer meiner Lieblingsplätze ist der Bründlwald neben dem Schloss, sagt Annamaria Klug, die gerade in atemberaubender Schnelligkeit und Präzision einen typischen Mostkrug auf ihrer Töpferscheibe hochgezogen hat. Steinzeugton aus Deutschland ist ideal für Gartenkeramik, sagt sie noch, weil man den mit 1.240 Grad höher brennen kann, als zum Beispiel Ton aus dem Burgenland.
Gelernt hat die Stainzerin ihr Handwerk in der Kunsttöpferei Löcker-Welek drüben in Bad Gams, die einst in der ganzen Gegend für bemaltes Keramik-Geschirr berühmt war. Auch in ihrer eigenen Werkstatt in Stainz konnte sie bis vor zwanzig Jahren gut von Steingut-Geschirr leben. Doch plötzlich flaute das Interesse ab und Annamaria Klug stieg auf Figuren und Skulpturen für den Garten um. Es war wie eine Befreiung. Zum einen ist ihr riesiger Garten mit den alten Obstsorten ihre zweite Leidenschaft. Zum anderen konnte sie nun kreativer gestalten und zum dritten viele andere Techniken ausprobieren.
Als Keramikerin brauchst drei Leben, wenn du alles auskosten willst, sagt sie und rückt eine ihrer ausdruckstarken Keramikdamen am Brunnenrand zurecht. Diese sind aus Steinzeug geformt und werden roh mit Porzellan bearbeitet. Sieht fertig aus wie japanisches Raku, das allerdings im Freien in die Brüche gehen würde.
Ich besuche auf der ganzen Welt Keramiker, bin offen und neugierig für Neues, sagt Annamaria Klug. Sie kommt aber immer wieder gerne nach Stainz zurück. Wegen der Natur, wegen des milden Klimas. Und wenn sie dann auf den Rosenkogel wandert, passt einfach alles gut zusammen, so wie ihre Figuren in den Garten.
Ein paar Kurven weiter vom Rosenkogel, am Reinischkogel schlug auch Stefan Klug vor zehn Jahren ein bisschen einen anderen Weg ein. Seit 1627 ist die Land- und Forstwirtschaft auf 1.060 Metern Höhe in Familienbesitz, alle waren leidenschaftliche Bauern. Viel Aufwand, wenig Ertrag, sagte Stefans Vater dann und beschloss die Viehwirtschaft komplett aufzugeben. Doch der Sohn wollte noch etwas ausprobieren und legte sich eine Herde Hochlandrinder zu. Ein voller Erfolg, sagt der 38-Jährige. Sie sind pflegeleicht, passen in die Landschaft, schauen gut aus und die Gäste sehen, was später auf den Teller kommt.
Seit 90 Jahren gehört ein Gasthof zum Gehöft, um den rundherum kleine Gästehäuser gebaut wurden. Vorwiegend aus Holz aus dem eigenen Wald, der sich über den ganzen Kogel zieht, in einem satten Dunkelgrün, das wie die bildliche Umsetzung der „grünen Mark“ wirkt. Wer hier durch wandert fühlt sich in den Märchenwald seiner Kindheitsfantasien zurück versetzt. Hier ist es dunkel, unaufgeräumt und großteils so wie von der Natur hingestreut.
Mein Opa, sagt Stefan Klug, der alte Klugbauer hat einst mit naturnaher Holzwirtschaft begonnen. Da wird nicht aufgeforstet, Tannen, Fichten und Lärchen werden nur einzeln herausgeschnitten und die ältesten sind bereits 200 Jahre alt. Das Thema hat mich immer brennend interessiert, sagt der junge Klugbauer, denn der Wald ist ein starker Rückzugsort. Zwar chaotisch, sagt er noch, aber in sich stabiler, sogar der Borkenkäfer hielt sich bislang fern.
Mitten drin in diesem Naturreservoir wurden vor elf Jahren unter einem Steinhaufen drei frühzeitliche Glasschmelzöfen entdeckt und freigelegt. Sie entpuppten sich als Denkmäler einer legendären Glasmacherkunst in der Steiermark Mitte des 17. Jahrhunderts und wurden einst von den Chorherren im Stift Stainz betrieben. Schaut aus, wie wenn plötzlich einer der Öfen explodiert wäre, sagt Stefan Klug. Er hat die Ausgrabungsstätte mittlerweile überdacht und dazu ein kleines Museum mit Fundstücken eingerichtet.
Ebenfalls nach Legende klingt die Buschenschank Höllerhansl in St. Stefan ob Stainz. Vor hundert Jahren ordinierte in der Gegend der Autodidakt Johann Reinbacher alias der Höllerhansl. Er galt als Wunderdoktor, zu dem Kranke von überall her pilgerten, um ausgerüstet mit einem Sackerl Höllerhansl-Tee angeblich gesund wieder abzufahren. Hat nichts mit uns zu tun, sagt Jungwinzer Stephan Hiden, während seine Mutter Maria in der Küche die Teigstreifen für die Strauben schwungvoll zusammenfaltet, die es später in der Buschenschank geben wird. 1820 haben die Vorfahren der Familie die gemischte Landwirtschaft mit ein paar Weinhügeln von einem Johann Höller gekauft und den eingeführten Hof- und Vulgonamen „Höllerhansl“ behalten.
Mehr Qualität – das war schon die Devise von Vater Franz Hiden, die der 29-Jährige Stephan konsequent fortsetzt. Nach Besuch der steirischen Weinbauschmiede Silberberg schaute er sich auf Weingütern in Neuseeland und Südafrika um und kam mit einem Rucksack voller Ideen wieder nach Hause. Bereits 2011 hat mir der Vater die Kellerarbeit allein überlassen, sagt Stephan Hiden und da schwingt ganz schön viel Stolz in der Stimme mit. Auch auf den Vater, weil Übergaben im Familienbetrieb laufen ja nicht immer reibungslos ab. Neben den typischen steirischen Weißweinsorten vom Muskateller bis zum Sämling ist natürlich der Blaue Wildbacher vulgo Schilcher die Hauptrebe im Hiden-Weingarten.
Hochgrail ist unsere beste Lage, sagt Stephan Hiden, dem wir jetzt auf einem der steilsten Weinhügel der Weststeiermark hinterher hecheln. Nicht nur einmal mussten die Hidens ihre Traktoren mit der Seilwinde da heraus holen, weil es am regenrutschigen Boden kein Weiterkommen mehr gab. Der Schilcher jedenfalls aus dieser Toplage hat so eine feine ausbalancierte Säure und markante mineralische Note, dass er nicht nur unter Weinkennern immer beliebter wird.
Eine andere Spezialität der Gegend ist die Edelkastanie, die hier wild in den Wäldern wächst. Sag nie Maroni zu ihr, sagt Markus Klug, weil die gibt es nur in veredelter und niemals in Wildform. Der Weinbauer muss es wissen, denn er hat vor dreißig Jahren begonnen sowohl Edelkastanien als auch Maroni anzupflanzen und gilt mittlerweile weit über die Grenzen hinaus als Spezialist. Was als Hobby begann ist längst zur Leidenschaft geworden, denn immerhin dauert es zehn Jahre bis so ein Kastanienbaum einen Kübel Früchte abwirft.
An die 400 Bäume stehen heute am Kastanienhof, alle ungespritzt und in Bio-Qualität, obwohl auch ihnen so wie überall auf der Welt ein Pilz, der Kastanienringelkrebs, zu schaffen macht. Weil Markus Klug aber ein Tüftler ist, der versucht die Tücken der Natur zu verstehen und sie zu nutzen, arbeitet er mit dem Forschungszentrum Seibersdorf an einer naturnahen Lösung des Problems.
Ich fahre auf Urlaub nur dort hin, wo es Wein und Kastanien gibt, sagt Markus Klug, der damit klar seine Interessen umreißt. Dass er auch als Winzer eine anerkannte Koryphäe ist, beweist die Tatsache, dass der bekannteste Sohn der Gegend, Schauspieler und Schriftsteller August Schmölzer, seinen Wein, einen Sauvignon, von ihm machen läßt.
Vor vierzig Jahren ist der Gustl, wie sie ihn hier rufen, hinaus in die Welt gezogen, vor zehn Jahren kehrte er wieder heim. Es ist mir wohl damals mit 21 nicht gelungen meine Wurzeln radikal auszureißen, sagt August Schmölzer und dass die Landschaft und die Menschen hier für ihn ein Lebensmittel sind. Und weil er auch einer ist, der sich gern einmischt, hat er mit dem alten Stieglerhaus in St. Stefan ob Stainz einen Ort der Aufklärung initiiert, also ein Kunst- und Kulturzentrum für die Einheimischen, das begeistern, aufrütteln und neugierig machen soll. Natürlich auch unterhalten mit Theateraufführungen, Konzerten und dem einzigen Freilicht-Kino weit und breit.
Einer er ebenfalls wieder heimkam ist Willi Rauch. Weil ich die Gegend so lieb hab, sagt der Wirt vom Rauch-Hof in Marhof mit dem Lächeln jener im Gesicht, die glücklich mit ihrem Platz in dieser Welt sind. Gleich nach der HAK ist er einst ausgezogen, hat sich in Asien mit Gastro-Jobs über die Runden gebracht bis ihn sein Vater Ende der achtziger Jahre zurückholte.
Der Vater war ein Tausendsassa, sagt Willi Rauch. Der gelernte Gärtner heiratete von Graz auf den Rauch-Hof ein, begann mit Gemüseanbau, betrieb eine Hühnerfarm in den USA und beschloss in den 60er Jahren hier ein Wirtshaus her zu stellen.
Zwanzig Jahre hat er im Alleingang daran herumgebastelt bis er 1983 endlich aufsperrte. Ein Chaos, sagt Willi Rauch, weil er ja keine Ahnung hatte. Auch Willi hatte nicht wirklich eine, aber er entwickelte einen sportlichen Ehrgeiz. Zunächst baute er Zimmer aus, weil neben der Südsteiermark langsam auch das Schilcherland von den Gästen entdeckt wurde. Mit seiner Frau Karin, einer gelernten Köchin aus dem nahen Mooskirchen, begann endlich auch gastronomisch etwas Ruhe in die Hütte einzukehren.
Im Lauf der Jahre haben wir gelernt das Schiff über hohe Wellen zu manövrieren, sagt Willi Rauch. Was ein bisschen untertrieben ist. Mit seinem Badeteich, dem wildromantischen Garten, einem Knusperhäuschen das aus alten Zuhäuseln zusammenzimmert wurde und den liebevoll eingerichteten Zimmern, gilt der Rauch-Hof neben dem Essen schon lange als Anziehungspunkt. Auch kulturell. Reinhard P. Gruber lud hier oftmals zu seinen Literatursommern, auch Musik- und Kabarettgrößen von Karl Ratzer bis Otto Grünmandl traten gerne auf.
Ich bin ruhiger geworden, was das Veranstalten betrifft, sagt Willi Rauch, während die Herbstsonne den wilden Wein am Haus Gold bepinselt. Wir tun leben, und feinschleifen und schauen, dass wir die Freude behalten, sagt er noch. Klingt ganz nach gemütlichem Sich-treiben-lassen. Was ja am besten ist hier in dieser Landschaft, in der man sich gut und gerne verlieren kann, aber niemals verloren geht.

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