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Trieste

Servus Magazin - März 2024

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AUF'S MEER SCHAUN

Wer sich Zeit nimmt für die einstige Hafenstadt der Monarchie, kann in Triest einiges entdecken. Ein Spaziergang zwischen alter Kaffeehauskultur, kleinen Manufakturen und wiederbelebten Traditionen.

Foto © Philipp Horak

Sie ist der Anfang und das Ende der Adria. Wie ein funkelnder Solitär schmiegt sie sich um die gleichnamige Bucht, wo die Meereswellen aufschlagen, um sofort wieder zurückzurollen in die Weiten des Ozeans. Ein Schauspiel, dem man bis ans Ende seiner Zeit zuschauen möchte, das niemals langweilig wird und den Blick öffnet, während sich die Gedanken in der Unendlichkeit verlieren. Gut beschützt durch die steilen Wände des Karsts, die die Stadt umzingeln und ihr im Rücken eine natürliche Grenze setzen. Zwischen Wasser und Berg eingebettet und mit 536 Jahren Habsburger Monarchie am Buckel hat Trieste seinen ganz eigenen Charme entwickelt. Es ist nicht vordergründig liebreizend, wie das nahe Venedig oder das einst venezianische Muggia, das wie ein Vorort im Osten an der großen Hafenstadt klebt.
Triest muss man sich erobern, sagt Dizzi Alfons und bürstet in seinem Café Sacher ein paar Bröseln von der rotsamtenen Sitzbank. Er muss es wissen, denn der Entrepreneur hat sich vor fünf Jahren hier niedergelassen. Nach insgesamt 35 Jahren in Rom und in der Toskana hatte es den Wiener wieder zurück in seine Heimatstadt verschlagen, wo ihm aber bald klar wurde, dass er ohne sein Italien nicht mehr leben möchte. Dass es dann ausgerechnet Trieste wurde hat nur ein bisschen mit der Nähe zu Wien zu tun. Mir gefiel diese fast schlampige Leichtigkeit, sagt Dizzi Alfons, und dass es eine italienische Stadt ist, aber gleichzeitig auch nicht. Während hundert Kilometer südlich eine handvoll Italiener ohrenbetäubenden Lärm erzeugen können, wird es hier selten laut. Dazu können die Triestiner mit der sehr, sehr distanzierten Wiener Freundlichkeit durchaus mithalten. Wenn sie aber einmal warmgelaufen sind, überströmen sie einen mit Herzlichkeit.
Vor nicht ganz einem Jahr hat Dizzi Alfons im denkmalgeschützten Ambiente eines ehemaligen Schuhgeschäftes aus 1913 das Café Sacher eröffnet und damit eine ausklingende Kaffeehauskultur mit Zeitungen und gemütlichem Sitzenbleiben wiederbelebt. Man findet nur mehr wenige dieser traditionellen Stätten, wie etwa das bohemianhafte Café San Marco, dafür haben sich allerorts Cafebars für den schnellen Stehkaffee etabliert. Wir sind rasch zu einem Fixpunkt geworden, sagt Dizzi Alfons, weil ein Sacher in Triest war ja irgendwie logisch.
Es war eine spannende Aufgabe, sagt Claudia Ragazzoni, die im Sacher für die Restaurierung der hölzernen Balustraden und Dekorationen zuständig war. Eigentlich hatten sie nur einen Kern aus Holz, ummantelt mit einem künstlichen Materialmix, der das Hölzerne vortäuscht und den man formen konnte. Das war typisch für den Stile Liberty, der italienischen Variante des Jugendstils, den man einst auch in der einzigen Kunstgewerbeschule der Gegend unterrichtete, die mit Ende der Monarchie 1918 geschlossen wurde. Es waren wohl Studenten von dort, die das ehemalige Schuhgeschäft und heutige Sacher ausgestattet haben, vermutet Claudia Ragazzoni.
Die Triestinerin studierte Technik und Methodik historischer Kunstwerke, die chemische Zusammensetzung von Farben und Materialien und ist eigentlich auf die Restaurierung von Fresken spezialisiert. Ihre bekanntesten Arbeiten sind ein Tiepolo in Massanzago bei Padua und ein Il Pordenone im Dom von Cremona, sowie die Mitarbeit an römischen Fresken und Mosaiken in Aquilea. In Triest, wo es architektonisch so gut wie keine Renaissance und nur einige wenige Fresken aus dem Mittelalter gibt, dafür aber viele Gebäude mit Statuen, Reliefs und floralen Verzierungen im Stile Liberty, sind sie und ihr 14-köpfiges Team mehr bei solchen Fassaden im Einsatz. Alles aus künstlichem Stein, eine Mischung aus Zement, Sand und Steinfragmenten, sagt Claudia Ragazzoni, sogar bei der Synagoge und dem Teatro Rossini. Ich liebe meine Stadt mit ihrer architektonischen Mischung, der Cittàvecchia (Altstadt) mit den engen Gassen, dem Stile Liberty und der Moderne aus den 1930er Jahren, sagt sie mit einem zärtlichen Lächeln.
Das sehen viele Triestiner so, die nach dem Restaurierungs-Boom der letzten Jahre stolz auf ihre herausgeputzte Stadt blicken. Auch Barbara Franquin, die quirlige Direktorin des nagelneuen Modemuseums „ITS Arcademy“ kommt gar nicht aus dem Schwärmen, wenn sie über ihr Trieste spricht. Wie Claudia Ragazzoni liebt sie das Gefühl der Freiheit, das man hier überall spürt, vor allem draußen auf der alten Molo Audace, die direkt vor der Piazza Unità 200 Meter ins Wasser ragt. Da stehst du mitten im Meer, bist aber trotzdem mit der Stadt verbunden, sagt Barbara Franquin und räumt in der riesigen Museums-Bibliothek einen Katalog ins Regal. Hier lagern für jedermann zugänglich die Werke, die einst junge, unbekannte Modedesigner aus aller Welt bei einem jährlichen Wettbewerb eingereicht haben, den sie seit 22 Jahren veranstaltet. So mancher Gewinner wurde danach zum Fixstern der Modeszene, wie etwa Matthew Blazy von Bottega Veneta oder Demna Gvasalia von Balenciaga.
Ich wollte an eine Tradition anknüpfen, zu Zeiten der Habsburger war Triest ein modisches Zentrum, sagt Barbara Franquin. Hier landeten mit den Schiffen die feinsten Stoffe aus aller Welt, es gab eine Modeschule, exquisite Modisten und Friseure, die den Damen für Bälle und Gesellschaften die Haare kunstvoll richteten. Mit Ende der Monarchie war das alles Geschichte. Heute gibt es im Museum nicht nur wechselnde Ausstellungen der phantasievollen Wettbewerbs-Kollektionen, es wird auch in Kursen für Kinder und Hobbyschneider Kreativität und modisches Gespür gefördert.
Ich habe bereits angefragt, ob ich einmal einen Kurs halten kann, sagt Marco Cernogoraz und kramt alte Siebdruckrahmen hervor. Dezen Dezen – ein am Westbalkan häufig verwendetes Wort für Muster – heißt sein kleiner Laden, in dem er Tücher, T-Shirts, Pullover und Accessoires verkauft, die er in der angeschlossenen Mini-Werkstatt bedruckt. Mit traditionellen Designs, wie schon vor knapp hundert Jahren seine Großmutter in Zagreb, die damals die herkömmlichen Kopftücher für Frauen herstellte.
Der 39-Jährige hat als Kind noch beide Seiten des Eisernen Vorhangs kennengelernt. Als seine Eltern die Manufaktur der Oma in den 1960er Jahren übernahmen holten sie monatlich Farben und Stoffe aus dem italienischen Como. Außerdem war mein Vater Triestiner, sagt Marco Cernogoraz, daher blieben wir immer ein paar Tage bei Verwandten. Triest war ein Paradies für Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, sagt er, die haben sich hier mit Jeans, Kaffee, Nutella, Pasta und all den kleinen Wundern der westlichen Kaufwelt eingedeckt. Er selbst liebte die Frappés in allen Geschmacksrichtungen im Cremcaffé auf der Piazza Goldoni, einem 50er Jahre Juwel mit automatischen Förderbändern, die das schmutzige Geschirr in die Küche transportierten. Leider hat es vor kurzem für immer geschlossen.
Vor zehn Jahren beschloss der studierte Politikwissenschaftler die Familientradition wieder aufleben zu lassen, holte die alten Muster und Rahmen hervor und begann sie zeitgemäß einzusetzen. Heute bedruckt er nicht nur Baumwolle und Leinen, sondern auch Seide und Kaschmir im alten Siebdruckverfahren oder mit der neuen Injet-Methode. Außerdem belebt er immer wieder für Folklore-Gruppen vom Balkan jahrhundertealte Muster, die teilweise in den Familien von Generation zu Generation weitergegeben wurden.
Auch Franco Zerial hat seine Welt auf 50 Quadratmeter konzentriert. Es ist die Welt des Kaffees, den er in seiner Torrefazione Guatemala röstet und verkauft. Die Rösterei lag auf meinem Schulweg und der Geruch hat mich magisch angezogen, sagt er und stellt uns einen Nero in B, also einen Espresso im Glas (Bicchiere) hin, weil auch uns der Duft ein unwiderstehliches Verlangen ins Gesicht zeichnet. Franco Zerial studierte später Politikwissenschaft blieb aber beim Thema. Er verfasste erstens eine Dissertation über Kaffeeländer, bei der es teilweise um die Wichtigkeit des Kaffees im soziologischen Umfeld ging. Es läßt sich gerade in Triest überall beobachten, wie leicht man bei einem Espresso mit anderen ins Gespräch kommt. Auch Jugendliche verabreden sich lieber beim ersten Tete-a-tete zum Cappucchino als zu einem Glas Wein.
Zweitens begann Franco Zerial nebenbei in der Torrefazione zu arbeiten. Als der Besitzer 1980 in Pension ging, beschloss er seine Leidenschaft zum Beruf zu machen und übernahm den Laden mitsamt dem Namen. Vor sechzig Jahren war es in Trieste sehr schick seine Manufaktur nach einem Kaffeeland zu nennen, sagt er und weil es bei der Übergabe noch jede Menge bedruckter Packungen gab, beließ er es einfach dabei. Ansonsten probierte er neue Wege. Neben den gängigen Kaffees, die er mit viel Gespür herstellt, kann man sich bei ihm auch seine eigene Kaffeemischung zusammenstellen. Das beginnt bei den Rohkaffeesorten und geht bis zum Rösten. In nördlichen Ländern wie auch Österreich hat man lieber hellere Röstungen, sagt Franco Zerial, im Süden hat man es lieber bitter, darum röstet man länger. Bis in die USA schickt er seine Bohnen, die meisten Kunden sind aber in Italien und Triestiner Cafébars, die er selbst beliefert. Wie schnell die Zeit vergeht, sagt er jetzt mit einem jugendlichen Spitzbubenlächeln und wundert sich, dass er schon 65 ist. Mit 70 ist Schluß, sagt er dann und dass er keine Säcke mehr schleppen möchte. Aber wer weiß, vielleicht geht ja schon ein kleiner Bub auf seinem Schulweg vorbei und schnuppert den Duft der großen Welt des Kaffees.
Von den alten Vorbesitzern übernommen haben auch Marco Munari und seine Frau Valentina ihre kleine Osteria Salvagente. Das war vor neun Jahren und mittlerweile ist das Lokal mit der einfachen und feinen Fischküche zu einer Triestiner Institution geworden. Gleichermaßen beliebt bei Einheimischen wie Besuchern. Es war die richtige Entscheidung nach Trieste zu gehen, sagt Marco Munari und bedeckt einen Teller Spaghetti mit kleinen Muscheln, den Caparozzoli, quasi ein Muschelwildfang aus der nördlichen Adria. Bereits mit zwölf Jahren versuchte er in seiner Heimatstadt Vizenza seine Freunde zu bekochen und wurde dann in der renommierten Hotelfachschule von Recoaro Terme zum Koch ausgebildet. Sein anschließendes Wirtschaftsstudium in Venedig finanzierte er sich in den Küchen der Lagunenstadt. Ich kochte dort vermutlich in jedem Lokal und lernte vor allem eines: mit Fischen und Meerestieren umzugehen, sagt Marco Munari. Nach zwanzig Jahren mitten im Touristentrubel hatte er aber genug und er zog mit seiner Familie weiter in die ruhigere, gediegenere ehemalige Habsburgerstadt.
Auch wenn die Triestiner Esskultur zum Teil österreichisch fleischlastig geprägt ist, ist die Fischküche dominant. Besonders stolz ist man auf die Sardoni Panati, große Sardellen die in Barcola gefangen werden, dem kleine Bade-Vorort von Triest. Die mache ich noch nach einem Rezept der Vorbesitzer, sagt Marco Munari und dass er sich sonst auf die Tradition der nord-adriatischen Küche spezialisiert hat. Deswegen stehen auf seiner handgeschriebenen Karte auch Baccalà Vincentin (Stockfisch in Milch gekocht), Sarde in Sour oder Fettucine alla Busara auf denen ein großer Kaisergranat thront.
Einen großen Fischmarkt wird man in Triest vergeblich suchen. Was die wenigen Profi-Fischer aus dem Wasser holen, bekommt man nur in versteckten kleinen Läden. Und das nicht immer. Wenn die berüchtigte Bora mit 100 kmh vom Karst runter über die Stadt fegt, treibt es die Fische aus der Bucht raus aufs offene Meer. Dann bleiben auch die federleichten Boote im Club Adria, dem ältesten Ruderclub der Stadt, in ihren Gestellen hängen, weil sie ansonsten ins Unendliche verblasen würden. Hamburger Kaufleute brachten den Sport Mitte des 19. Jahrhunderts in die Hafenstadt, wo er seither ungebrochen populär ist. Vermutlich weil die Kulisse so besonders schön ist. Gerudert wird vom Club mitten in der Stadt weg immer in Sichtweite der Küste vorbei am Zentrum, dem alten Hafen und der Costiera bei Barcola bis zum Schloß Miramare. Vor allem vormittags oder vor Sonnenuntergang sieht man schmale Einser, Zweier, Vierer oder Achter mit gleichmäßigen Bewegungen in der geschützten Bucht leise dahinziehen. Nur manchmal macht sich der Club auf eine zweitägige Tour auf, die nach Montfalcone durchs Kanalnetz des Isonzo bis nach Grado führt. Wenn man an klaren Tagen von dort Richtung Norden schaut, kann man sie funkeln sehen, die alte Stadt Trieste. Da drüben, wo die Adria anfängt und endet.

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