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Villgratental

Servus Magazin - Jänner 2021

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EIN TAL MIT WEITBLICK

Schon vor zehn Jahren waren wir im Villgratental. Für die Geburtstags-Ausgabe von Servus machten wir uns noch einmal auf den Weg ins Osttiroler Tal und trafen einige der Einheimischen wieder. Eine Momentaufnahme im Vertrauten, mit kleinen Veränderungen, die angenehm und leise spürbar sind.

Foto © Christof Wagner

Zehn Jahre können im Leben eines Menschen viel verändern. Der Minderjährige schafft den Sprung zum Erwachsenen, es wird Zweisamkeit aufgebaut und oftmals wieder gebrochen, es werden Ansichten über Bord geworfen und Philosophien verändert, so manch persönliche Kämpfe gewonnen und andere verloren. Schlicht, es wird gelebt und all das geht nicht spurlos an einem vorüber.
Welche Spuren hinterlässt so eine Zeitspanne aber in einer Region? Schwierig zu beantworten, hängt vieles doch von den gesellschaftlichen und politischen Umständen ab, vom Zeitgeist der einer Epoche seinen Stempel aufdrückt. Ganze Landstriche haben dabei ihr Gesicht verändert, wandelten sich zuweilen langsam und zum Wohle aller in eine gefällige Kulturlandschaft. Man ließ Gras über Wunden wachsen, arrangierte sich mit einer neuen, aber doch vertrauten Umwelt und integrierte sie in den Alltag. Nur dort, wo man der Schimäre des schnellen Profits folgte, sich entwurzelte und keinen Stein auf dem anderen ließ, blieb nichts als eine leere Fratze übrig.

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Als wir im Winter 2011 ins Villgratental kamen, fiel es uns nicht sofort auf. Wenn etwas nicht da ist, sickert sein Fehlen ja erst langsam ins Bewußtsein. Als erstes breitete sich ein wohliges Gefühl aus. Das Tal, das sich sanfthügelig auf 1.400 Metern Höhe im hintersten Winkel des Landes Richtung Südtirol streckt, wird eingerahmt von den hohen Bergspitzen der Villgrater Berge und der Lienzer Dolomiten. Sie ragen jedoch nicht so nahe und apokalyptisch in den Himmel, dass sie lange, dunkle Schatten werfen können. Sogar im Winter kommt man hier auf fünf bis sechs Sonnenstunden, was eindeutig das Gemüt erhellt. Wir passierten uralte, vom Wetter schwarz gefärbte Holzhäuser, freuten uns über jungfräulich verschneite Hänge, die weiter oben von Fichten- und Lärchenwäldern gesäumt waren, schlenderten den Stallerbach entlang, atmeten tief ein – und plötzlich wußten wir was fehlt: Hier gab es keine Bettenburgen, keine dröhnenden Schirmbars und keine Liftstation, weil es keinen Lift gab.
Natürlich hätten die Villgrater vor vier Jahrzehnten auch gerne am aufkeimenden Skitourismus mitgenascht, sagte damals Alois Mühlmann, der Wirt vom Gannerhof. Es wollte aber niemand investieren, also nahmen es die Einheimischen so, wie es ihrem Phlegma immer schon entsprach. ’S isch, wie’s isch, sagten sie und das Leben nahm einfach weiter seinen Gang.
So wie vor hundert Jahren als mit dem Vertrag von Saint-Germain die Staatsgrenze von Österreich und Italien genau zwischen dem Gsieser- und dem Villgratental gezogen wurde und die einen plötzlich Südtiroler und die anderen Osttiroler waren. Der Warenaustausch zwischen den Verwandten und Bekannten hieß dann zwar Schmuggel, war verboten, ging aber fröhlich weiter, weil sich die Bauern moralisch im Recht sahen. Da die kontrollierenden Finanzer gerne und schnell zur Waffe griffen, ging es in den Bergen oft ganz schön laut zu, erzählten uns damals Zeitzeugen. Auch später als in den 1960er Jahren Südtirol-Aktivisten die Staatsgewalt im unwegsamen Gelände auf Trab hielten, ließen sich die Villgrater nicht wirklich aus der Ruhe bringen. Der Lauf der Zeit gab ihnen Recht, auch dieser Spuk fand einmal sein Ende.
Selbst als in den 1980er Jahren das Wildererdrama um Pius Walder einen internationalen Medienrummel lostrat, reagierten die Einheimischen bodenständig und gelassen. Mit Erstaunen registrierten sie die Busladungen voll Touristen, die auf einmal zum Walder-Grab in Kalkstein pilgerten, und so schnell wieder abrauschten, dass sie keinen Cent hier liegen ließen. Über den Hergang des Geschehens im finsteren Wald hat jeder Einheimische sowieso seine eigene Version.
Irgendwann klopften doch noch Finanziers wegen des Ausbaus einer Hochpustertaler Skischaukel an, aber da waren die Villgrater dann stur. Zum einen hatte man anderswo gesehen, dass das Geld selten, wie versprochen, im Tal bleibt. Zum anderen begann sich der Wind langsam zugunsten naturnahen und sanften Tourismus zu drehen. Nicht, dass nicht heftig darüber gestritten wurde. Man besann sich aber auf die jahrhundertealte bäuerliche Kultur, die hier in der Abgeschiedenheit der Berge stark von Autarkie und Nachbarschaftshilfe geprägt ist und bewahrte so das größte Kapital: eine nahezu unverwundete Naturlandschaft, seit Jahrhunderten von Bauersleuten so kultiviert, als hätte es sie seit Urzeiten gegeben.
Auch über ein eigenes kleines Talkraftwerk wurde vor zehn Jahren heftig gestritten. Dieses hat man in der Zwischenzeit am Villgratenbach errichtet. Es bringt Unabhängigkeit in der Energieversorgung und ist so klein dimensioniert, dass es weder die Umwelt zer- noch die Winterlandschaft stört.
Es hatte leicht geschneit, als wir jetzt wieder ins Tal kamen, das still dalag und ein idyllische Bild bot, an dem die letzten zehn Jahre kaum etwas zerkratzt haben. Sofort war es wieder da, das wohlige Gefühl, diesmal mischte sich noch ein bisschen Sentimentalität und Glückseligkeit dazu, die man nur spürt wenn man vertrautes Terrain betritt.
Die Veränderungen fanden leise aber doch hinter den Kulissen statt. Den Gannerhof zum Beispiel hat Alois Mühlmann, kurz der Lois genannt, an seinen Sohn Josef übergeben. Auf den ersten Blick könnten die beiden unterschiedlicher nicht sein. Da der Alte, der Ruhige, der lieber im Hintergrund steht, dort der Junge, der Impulsive, dessen Präsenz wuchtig einen Raum ausfüllt. Und doch sind sich die beiden ähnlicher, als es scheint. Geradlinig, ehrlich, mit einem ordentlichen Sturschädel und einer noch ordentlicheren Portion Herz ausgestattet – so wie viele Villgrater, denen wir damals wie heute begegnet sind.
Mit Fünfzehn hat der Lois den Hof von seinem Großvater geerbt, da war sein Vater schon längst in die weite Welt entfleucht. Auch den Lois hielt es zunächst nicht im Tal, bis er heimwehgeplagt zurückkehrte und sich eher wenig erfolgreich als Bauer versuchte. Also beschloss er mit seiner Frau Monika das beste Wirtshaus der Gegend zu machen. Modern, aber mit all dem Guten, das die Gegend zu bieten hat. Allein im großen Gastraum erzählt das Holz von fünf Almhütten, die keiner mehr wollte, weiter seine Geschichten. Jede einzelne der vier zusätzlichen Stuben läßt stolz ihre Vergangenheit in uralten Höfen spüren und flüstert: Komm, setz di her da! Kein Lederhosenschick, sagt Sohn Josef, nur echte bäuerliche Architektur, die hier weiterlebt.
Viele aus dem Tal halfen vor vierzig Jahren beim Umbau des Gannerhofes mit, der heute so dasteht, als gehörte er immer schon zum Ortsbild. Um das Schmiedeeisene kümmerten sich die Steidl-Brüder Alfons und Anton. Wer als Steidl auf die Welt kommt, sagt Alfons der Ältere und der Chef, wird Schmied und das seit 200 Jahren. Also schmieden die beiden in ihrer Werkstatt metallene Juwele von archaischer Schönheit, die zuerst durchs Feuer gehen, danach werden die Strukturen eingehämmert. Ihre handgearbeiteten Türgriffe, Scharniere und Lampenschirme sind im Gannerhof originäre und doch erdige Hingucker.
Alles beim Alten denken wir, während wie vor zehn Jahren Alfons am Amboss ein heißes Stück Eisen bearbeitet und Anton eine Schüssel in Form hämmert. Erst in zehn oder zwanzig Jahren wird die Steidl-Schmiede vielleicht Geschichte sein, da keiner der Nachfahren sie übernehmen will. Haben auch kein Talent, sagt Alfons und hämmert stoisch weiter, weil sowas läßt sich schließlich nicht ändern.
Die Zukunft der europaweit einzigartigen Schafwollverarbeitung „Villgrater Natur“ hingegen ist gesichert. Ursprünglich stellte Josef Schett die Landwirtschaft seiner Vorfahren wegen Fleisch, Joghurt und Käse auf Schafe um, die Wolle war nur ein Nebenprodukt. Doch dann entwickelte er erstens Matratzen und Bettwaren für einen natürlichen, gesunden Schlaf und zweitens Dämmstoffe und Trittschallfilze für den ökologischen Häuserbau. Meine Philosophie „alles bleibt im Tal“ ist voll aufgegangen, sagt Josef Schett und schaut recht zufrieden drein. Seine 18 Mitarbeiter aus der Gegend verarbeiten ein Drittel der heimischen Schafwolle, eine seiner fünf Töchter, die 33-jährige Rebecca, übernimmt gerade die Firma. Ich habe drei Leben da reingesteckt, sagt Josef Schett, von dem wir nicht annehmen, dass er sich still zurückziehen wird. Zur Not wird er sich wieder was Neues einfallen lassen.
Natürlich schläft man auch im Gannerhof auf Schett’schen Wollprodukten und das Bio-Schupferhaus, das die Mühlmanns vor fünfzehn Jahren als Zimmer-Dependance dazu bauten, wurde damit isoliert. Damals war der Gannerhof bereits das beste Wirtshaus im Tal, ja in ganz Osttirol, und Sohn Josef ein ausgebildeter Koch. Meine Mutter war Autodidaktin, sagt Josef, und sie konnte aus allem etwas machen, das habe ich von ihr gelernt. Auch ihn zog es zunächst raus aus dem Tal in fremde Küchen, in denen luxuriös und aufwändig gekocht wurde. Überall das Gleiche, langweilig, sagt Josef, schließlich die Sehnsucht wieder heimtrieb. Hier packte er die alte Mama-Küche aus und revolutionierte sie mit neuen Techniken. Jetzt schmeckt alles nach dem, was es ist, ohne Chichi, aber so gut, dass man ihm 2018 Österreichs höchste Auszeichnung, die Trophee Gourmet A la Carte verlieh.
Wir haben es aufgebaut, jetzt bringt der Josef seinen Stil hinein, sagt der Lois. Und weil Vater und Sohn zwar miteinander können, die Gefahr aber groß ist, dass sie ordentlich zusammenkrachen, ist der Lois nach der Übergabe des Gannerhofes vor drei Jahren ausgezogen. Ganz in der Nähe hat er sich den alten Unterwirt aus 1865 zu seinem neuen Heim hergerichtet. Mit viel Begeisterung, sagt er. Schießlich s’isch wie’s isch und das Leben geht ja weiter seinen Gang.

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