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Weissensee

Servus Magazin 1/2022

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EIN SEE, SO WEISS WIE SCHNEE

Der Kärntner Weißensee ist ein Geschenk für alle Sinne. Zu Besuch bei kreativen, kunstsinnigen und bodenständigen Menschen, die hier ihre Ideen verwirklichen. Dank ihrer Vorfahren in einer nahezu intakten Natur.

Foto: Julia Rotter

Es ist als würde die Natur mit dem Zaunpfahl winken. Himmel und Erde verschmelzen weiß in weiß, dicke Flocken verbinden sich zu einem kristallenen Gewebe. Zerbrechlich und dennoch wie eine flauschige Daunendecke überzieht das feine Gespinst den See, der in diesem Moment seinem Namen alle Ehre macht. Einen Großteil des Jahres schimmert der Weißensee smaragdgrün inmitten der bewaldeten Bergkuppen rundum. So kräftig, dass selbst die 40 cm dicke Eisschicht, die ihn von Dezember bis März bedeckt, das Farbspiel nicht zur Gänze verschlucken kann. Zarte Türkisnoten locken dann die Menschen aufs spiegelglatte Winterparkett. Wie kleine bunte Pünktchen tanzen sie über die monochrome Fläche und ziehen ihre Bahnen über das 6,5 Quadratkilometer große Natureis. Aber jetzt ist der Weißensee wirklich weiß. Schneeweiß und menschenleer.

So wie in meiner Kindheit, sagt Hannes Müller, Chef vom Hotel samt Restaurant „Die Forelle“, das direkt am Seeufer in Techendorf liegt. Damals, als im Winter hier total tote Hose war, sagt der 43-Jährige und blinzelt geblendet in die weiße Pracht, die sich vor seinem Fenster schier unendlich in die Weite zieht.
Damals – das war bis Mitte der 1980er Jahre, als das Naturjuwel auf 930 Meter Höhe, vorwiegend von Sommerfrischlern frequentiert wurde und unter den Kärntner Badeseen als Geheimtipp galt. Hier kommt man nicht zufällig vorbei, hier muss man gezielt her wollen, da die einzige Zufahrt als Sackgasse endet. Zwar kann man sowohl von Hermagor als auch von Greifenburg anreisen, aber nur über enge Passstraßen, für die man im Winter Schneeketten braucht. Bis heute. Damals aber gab es wenig Grund sich das anzutun. Da hätte man hier auf der Straße übernachten können, sagt Hannes Müller. Kein Verkehr, nur Stille.

Aus heutiger Sicht war es ein Glück, dass man sich am Weißensee recht eigensinnig dem Tourismus nur sanft öffnete und rechtzeitig erkannte, dass die Natur ein Kapital für die Zukunft ist. Selbst als es 1987 mit der Stille im Winter vorbei war, blieb es trotzdem recht ruhig. Niemand geringer als James Bond (gespielt von Timothy Dalton) fetzte zuvor für „Der Hauch des Todes“ mit seinem Aston Martin über den zugefrorenen See, der danach auch dem Rest der Welt bekannt war. Diese vergisst zwar recht schnell, das Potential Natureis ging jedoch vor allem den Holländern nicht mehr aus dem Kopf. Sie entdeckten den Weißensee als Trainings- und Wettkampfgebiet für Eisschnellläufer und pilgern nun verlässlich jeden Winter an den See, der von einem eigenen Eismeister zu einem riesigen glatten Eislaufplatz poliert wird.
Seither kommen bei uns die Kinder mit Kufen auf die Welt, sagt Hannes Müller, den als Jugendlicher selbst das Fieber packte. Zweimal war er Eisschnelllauf-Staatsmeister im Marathon, seine 17-jährige Tochter Hanna trainiert im Nachwuchskader. Seine wahre Leidenschaft aber ist das Kochen. Nicht gleich von Beginn weg, räumt Hannes Müller ein, der zunächst einmal raus musste um gerne wieder heimzukehren. Er kochte in Salzburg, in Wien bei Reinhard Gerer im Korso, ging ein Jahr nach Sun Valley in die USA, war Wanderführer und DJ. Erst als er vor knapp zwanzig Jahren im elterlichen Betrieb Verantwortung übernahm, wurde langsam klarer, wo er hin wollte.
Ich will auf dem Teller zeigen, was der Weißensee kann, sagt Hannes Müller und drapiert die hauchdünnen Scheiben vom Winterrettich rund um den Seesaibling, den ihm sein Freund, der Fischer Martin Müller (nicht verwandt!) täglich liefert.

Zu einer Zeit, als Regionalität in vielen Küchen noch ein Fremdwort war, besann sich der begabte Koch auf kulinarische Traditionen, die er kreativ ins Heute holt. Streng nach Saison, selbstverständlich.
Er baute sich im nahen Umfeld ein Netz an Lieferanten auf, denen die Natur, das Tierwohl und die Qualität wichtig ist. In der Forelle wird eingelegt, eingekocht, fermentiert und auf Vorrat haltbar gemacht, so wie man es auf dem Hof, den man vulgo Ziarar nennt, 400 Jahre lang praktiziert hat. Der Großvater hatte noch Kühe, sagt Hannes Müller. Heute halten er und seine Frau Monika an die 40 Bio-Schafe, deren Fleisch in der Küche verarbeitet wird. Vom Nasen- bis zum Schwanzspitzel, weil wirklich nichts als Abfall verkommt. Selbst die Apfelschalen landen getrocknet beim Frühstück.

Noch ein bisschen älter ist der Gralhof in Neusach, der seit 550 Jahren in Besitz der Familie Knaller ist. Genau vor 110 Jahren wurden hier die ersten Gäste beherbergt, die bequem mit dem Zug direkt von Wien nach Greifenburg reisen konnten und mit der Pferdekutsche abgeholt wurden. Das geht bis heute so, sagt Corinna Knaller, nur statt der Kutsche gibt es einen Bus.

Vor 15 Jahren ist sie mit ihrem Mann Michael heimgekehrt, um den Gralhof zu übernehmen. Etwas überraschend, betonen die beiden unisono, da sie sich ihr Leben bereits in Wien eingerichtet hatten. Corinna war als Grafikerin in der Kunst- und Kulturszene verankert, Michael stand am Beginn einer Karriere als Jazz-Bassist. Nachdem es seinen älteren Bruder aber vom Hof weggezogenen hatte und es auch Schwester Almut in die Welt hinaus trieb, beschloss das Paar Landwirtschaft und Hotel in die Hand zu nehmen.

Die Umstellung hat etwas gebraucht, sagt Corinna und zieht wie zum Schutz die Strickweste ein bisschen enger um den Körper. Dafür kann man jetzt wohl behaupten, die beiden sind nicht ganz unschuldig daran, dass die Weißensee-Gäste immer jünger werden. Sie veranstalten Konzerte, Theaterabende, Kabaretts und Lesungen und sie haben das Hotel so umgebaut, dass man am liebsten für immer dableiben möchte. Nichts beleidigt den Blick, jeder Gegenstand ist von so zeitloser Schönheit, als stünde er schon immer da. Selbst das Geschirr lassen die Knallers von einer Keramikern herstellen, mit einer eigenen Gralhof-Glasur. Wie die Weißenseemuschel, sagt Corinna, außen rau und innen schillernder Perlmutt.

Wir wollten es so machen, dass es auch die nächsten Generationen noch mögen, sagt sie noch. Deshalb ist der Gralhof zu 100 Prozent, also vom Fußboden bis zur Decke, vom Getränk bis zum Sackerl, Bio zertifiziert und seit zwei Jahren auch gänzlich klimaneutral. Dafür wurde das Hotel total auseinandergenommen, ohne ihm seinen Charakter zu rauben. Von außen sieht der Gralhof so aus, als wären soeben die allerersten Weißensee-Urlauber abgestiegen. Die Zukunft hat ihr Herz in der Tradition, sagt Corinna, schnappt Michael an der Hand und stapft mit ihm durch den meterhohen Schnee Richtung Saunahäuschen am See. Mehr Wärme, als bei diesem Anblick, kriegt selbst der Sommer nicht hin.
Ein paar Meter weiter leuchtet ein buntes Pünktchen in der weißen Unendlichkeit. Hier bahnt sich Michaels Schwester Almut Knaller ihren Weg zum frisch eröffneten Neusacherhof. Das alte Wirtshaus und einstige Dorfzentrum wurde in letzter Sekunde von der Kärntner Familie Rauter gerettet, wobei der renommierte Architekt Günther Domenig – ein gebürtiger Weißenseer, der in Paris lebt und arbeitet – den Bau bis auf die Grundmauern neu aufsetzte. Aus Lärchenholz, Glas und Stein, innen mit viel Loden und Wolle ausgestattet, schmiegt sich das Haus ans Ufer, läßt seine Vergangenheit hinter sich und zeigt wie durchdachte moderne Architektur eine Dorfstruktur bereichern kann.

Kurz vor der Eröffnung wurde Almut Knaller von den neuen Besitzern als Beraterin und quasi Mädchen für alles geholt. Wie lange sie bleiben wird, steht in den Sternen, denn Almut ist eher eine, die gerne weiterzieht, sich neuen Aufgaben stellt und Stillstand so gar nicht mag. Als Thema immer begleitet haben sie dabei die Landwirtschaft und die Gastronomie.

Im Herzen bin ich eine Bäuerin, sagt Almut, deren Leben bisher so bunt wie ihr Pullover war. Volksschullehrerin wollte sie werden, landete dann in einem Hotel und als ihr ältester Bruder den Gralhof verließ, folgte sie dem Ruf ihres Vaters sich um die Landwirtschaft zu kümmern. Zwei Jahre wollte ich bleiben, sagt Almut, sieben sind es geworden, dann musste ich raus. Nach einem Jahr Weltreise kehrte sie mit jeder Menge Ideen wieder zurück und wurde Wirtin auf der Naggler Alm, der Gemeinschaftsalm der Naggler Bauern.

Außer Bio-Qualität kam für mich nichts in Frage, sagt Almut, und dass das bei 600 frisch gemachten Essen pro Tag am Anfang eine Herausforderung war. Am Ende kannte sie alle Bio-Bauern persönlich, wurde zur Tourismus-Obfau gewählt und kümmerte sich sechs Jahre lang in er Gegend um einen nachhaltigen Zugang in allen Belangen.

Bereits seit fünfzehn Jahren ist das Gebiet ein Naturpark auch weil man sehr früh begann den See vor Abwässern zu schützen und man seit knapp 30 Jahren frei von Pestiziden ist. Kein Motorboot zersägt die Stille und wenn sich abends die Nebelschleier wie ein seidenes Netz über den See spannen, glaubt man sie förmlich zu sehen, die Feen, die Elfen, die Saligen Frauen, die ungestört durch die Zauberwelt huschen. Dann sieht man vielleicht auch Naturpark-Ranger Robert Röbl im Fakelschein mit einer kleinen Gruppe über den vereisten See und durch verschneite Wälder ziehen.

Es gibt hier so viel zu entdecken, sagt Robert Röbl, der erstens wissbegierig und zweitens eine Art Tausendsassa ist. Er beherrscht altes Handwerk mit Leder, macht Pferde-Zaumzeuge und -Geläute, kreiiert Kunstwerke aus Schwemmholz, ist Natur- und Wanderführer und kennt sich mit Flora und Fauna bestens aus. Auch Fährten- und Spurenlesen kann man sich von ihm zeigen lassen, seit Neuestem haben es ihm noch Fossilien angetan. Da drinnen hat man 232 Millionen Jahre alte, versteinerte Abdrücke von Sauriern gefunden, sagt er und zeigt begeistert auf eine Felswand, die den Weg hinauf zur Alm hintern Brunn säumt. Ein Weg, der einen immer wieder mit einem Blick auf den See belohnt, und oben bei Schönwetter die Sicht bis aufs Drautal freigibt.

In der alten Holzknechthütte auf der Alm verköstigt seit kurzem Stefan Rindler auch im Winter Schneeschuh- und sonstige Wanderer. An den Holzherd habe ich mich erst gewöhnen müssen, sagt der gelernte Koch, und stellt einen sensationell saftigen, knusprigen Schweinsbraten auf den Tisch. Perfekter kriegt das kein normaler Ofen hin.

Den perfekten Fisch wiederum bekommt man unten am See bei Martin Müller. Der gebürtige Techendorfer ist nicht einfach nur Fischer. Er hat in Wien Limnologie, also die Ökologie der Binnengewässer studiert und seine Diplomarbeit über die Weißensee-Reinanken geschrieben. Dabei gab es als Kind bei uns zu Hause außer Fischstäbchen keinen Fisch, sagt Martin, während er flink wie ein Sushi-Meister einen fangfrischen Seekarpfen filettiert, der einem roh schier auf der Zunge schmilzt.
Vor zwanzig Jahren hat er die Weißenseer Agrargemeinschaft von der Sinnhaftigkeit eines ganzheitlichen Fischereibetriebes am See überzeugt. Seither habe ich mehrere Hüte auf, sagt Martin Müller und streicht mit der Hand über sein blankes Haupt. Als Berufsfischer fischt er mit Netz, als begeisterter Angler zeigt er den Gästen gute Plätze, er verarbeitet seine Fische selbst und als Wissenschaftler untersucht er permanent den See. Und der ist immer für Überraschungen gut. Vor drei Jahren hatten die Forscher plötzlich einen Edelkrebs in der Reusse, der eigentlich in den 1980er Jahren von einer eingeschleppten Krebspest ausgerottet worden war. Vierzig Stück hat man seither gefunden und versucht dem Rätsel ihrer Wiederauferstehung auf die Spur zu kommen.

Die Lebensqualität hier ist einfach großartig, sagt Martin Müller, wer will da nicht wiederkehren? Erneut streicht er über sein Haupt, dann schnappt er sich eine Motorsäge und eine Angel, winkt uns kurz zu und verschwindet im unendlichen Weiß auf dem See. Irgendwo dort draußen wird er Robert Röbl treffen. Gemeinsam werden sie ein Loch in den See schneiden, ihre Angeln darin versenken und in aller Stille die Ruhe genießen.

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