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Kulinarisches Mariazellerland

Servus Gute Küche Herbst/Winter 2017
EINE KLEINE PILGERREISE

Wir machten uns auf ins Mariazellerland, wo man sich geschmacklich wieder auf seine Wurzeln besinnt. Auf Geheiß eines Übervaters, der den Weg vorgab.

Fotos: Christof Wagner

„Der Pilger belohnt sich für seine Strapazen mit gutem Essen.“ Ein Satz, den Peter Kroneis I, der Senior-Wirt vom Mariazeller Traditions-Wirtshaus „Drei Hasen“ voller Verständnis und mit aufrichtiger Bewunderung durch seinen Gastraum schickt. Hier ist es noch still und leer. Erstens ist es früh am vormittag, zweitens ist Winter. Vor den Fenstern machen sich die Schneehaufen so richtig wichtig, damit sich jeder daran erinnert, dass das Mariazellerland noch immer als Schneeloch gilt. Es ist Februar und wenn zu dieser Zeit jemand hierher pilgert, dann der Wiener Wintersportler. Auch der belohnt sich gerne mit gutem Essen.

Das Pilgern hat heute eine andere Bedeutung als noch vor 20 Jahren, sagt Peter Kroneis II, der das Haus gerade Schritt für Schritt von den Eltern übernimmt. Wer sich heute auf den Pilgerweg macht, wird weniger von religiösen mehr von spirituellen Gedanken geleitet. Die Suche nach sich selbst treibt den modernen Menschen in Scharen auf den spanischen Jakobsweg, in Österreich kann er sich auf dem Weg nach Mariazell genauso gut finden.

Vermutlich trifft er dabei noch auf eine andere Pilgergruppe: den kulinarischen Wallfahrer, der den obersteirischen Flecken, an dem man dauernd mit einem Fuß in Niederösterreich steht, vor etwa zehn Jahren entdeckt hat. Aufgrund eines Fingerzeiges von höchster Ebene. Heinz Reitbauer Sen., so etwas wie der Gottvater der österreichischen Gastronomie, hat von seinem Himmelreich am nahe Pogusch, das Gebot gepredigt, dass sich Bauern und Wirte zusammentun sollen, um gemeinsam Gutes zu bewirken und es in die Welt zu posaunen.

Durch seine Initiative entstanden zum Beispiel die „Wilden Wirte“ mit 25 Gaststätten in der Region, sagt Vater Kroneis, ein passionierter Jäger. Er hat in das „Drei Hasen“-Wirtshaus eingeheiratet, das schon immer für seine Wildspezialitäten berühmt war. Was hier auf dem Teller landet bringen heute hauptsächlich die Jäger vorbei. Reh und Mufflon kommen von der Bürgeralpe, Hoch- und Gamswild aus dem Hochschwab. Im Gegensatz zu früher werden die Wildschnitzel nicht nur einfach links-rechts abgebraten sondern raffiniert in eine Kürbiskernpanier gesteckt.

Wir entwickeln uns weiter, sagt Sohn Peter, 35, der immer den Weg, vielleicht aber nicht immer das Ziel klar vor Augen hatte. Nach der Hotelfachschule in Wien zog es ihn öfters ins Ausland, vor allem nach Schottland. Dort habe ich die Gastro-Konzernwelt kennengelernt, sagt Peter Kroneis II und dass er dann gewusst hat, wie gut selbstbestimmtes arbeiten tut und dass er in 6. Generation das Mariazeller Wirtshaus weiterführen möchte. Aus dem schottischen Hochland mitgebracht hat er – in eigenen Worten – einen „Whisky-Vogel“, mit dem er auch seinen Vater angesteckt hat. Jetzt kann man bei den „Drei Hasen“ kosten wie superb Dry-Aged-Rind oder Maronisuppe angereichert mit einem Schuss rauchigen Whisky schmecken und als Begleitung einen Schluck davon nehmen.

 

Auch für Erwin Filzwieser vom gleichnamigen Gasthaus in St. Sebastian war von klein auf klar, wo die Reise hingehen wird. Er ist praktisch im Wirtshaus aufgewachsen das sein Opa hier aufgebaut hatte. Dass er dann aber schon mit 21 Jahren durch den Tod seines Vaters das Haus übernehmen musste war nicht im Plan. Ich wollte ursprünglich in die Küche, sagt Erwin Filzwieser, aber das war der Platz seiner Mutter, also machte er den Wirten.

Wir dürfen hier anmerken, dass Erwin Filzwieser ein eher unruhiger Geist ist, der auf der Suche nach Qualität nicht beim Guten stehen bleibt sondern das noch Bessere sucht. Zu einer Zeit etwa als rundum Spargel aus Spanien oder Übersee als Delikatesse galt, setzte er sich in der Saison jeden morgen um 4 Uhr früh ins Auto und holte die weißen Stangen persönlich von den Bauern im Marchfeld ab. Das war vor 30 Jahren und da war das Land gerade vom Weinskandal gebeutelt. Aber genau dann ging Erwin Filzwieser mutig daran gute österreichische Bouteillenweine glasweise auszuschenken, was ihm zuerst einen recht-teuer-Ruf bald aber Hochachtung einbrachte.

 

Es war ein harter Weg, sagt er heute, aber es war der richtige. In der Küche hatte sich seine Frau Gerlinde von Mama Filzwieser in die traditionelle Mariazellerlandküche einweihen lassen und sie zum Teil von ihrer Deftigkeit befreit. Heute steht ihr 38-Jähriger Sohn Martin neben ihr am Herd, der vor acht Jahren aus Wien heim kehrte. Dort hatte er bei diversen Gastro-Jobs seine Leidenschaft fürs Kochen entdeckt jetzt geht er daran die Küchenlinie vom Filzwieser sanft zu verändern.

Meine Vorbilder sind Andreas Döllerer und Richard Rauch, sagt Martin Filzwieser und dass er vermehrt auf Vegetarisches setzt. Mutters Kasnudeln waren mir zu wenig, sagt er, da verarbeitet er lieber gradlinig und ohne Schnickschnack das Gemüse der Steiermark, jetzt im Winter Rote Rüben, Kürbisse und Pastinaken. Wir sind die Drei-Meter-Steirer, sagt er noch geheimnisvoll bevor er leise in die Küche verschwindet. Von unseren Fragezeichen im Gesicht befreit uns Vater Erwin. Da ist die Landesgrenze, sagt er und zeigt aus dem Fenster beinahe senkrecht nach unten, wo die Erlauf fließt.

 

Gleich ums Eck, aber bereits stolze 350 Meter von der Landesgrenze entfernt liegt der Lurgbauer. Idyllisch auf 900 Metern Höhe inmitten dunkler Wälder aber das ganze Jahr von der Sonne verwöhnt. Bis ins Jahr 963 läßt sich der Bauernhof urkundlich zurückverfolgen den Max Leodolter, 36, jetzt in 3. Generation führt. Gemeinsam mit seinem Vater Andreas und seinem Bruder Josef, die für die Haltung der Angus-Rinder zuständig sind, die Max dann in der Küche verarbeitet.

Bereits vor 40 Jahren haben die Leodolters auf Bio-betrieb umgestellt und vor 20 Jahren aus der Jausenstation ein Wirtshaus gemacht. Meine Mutter war Autodidaktin und ist rasch immer besser geworden, sagt Max Leodolter, der als kleiner Gsteamel zwischen den Gästen herum wuselte. Von seiner Mama Brigitte hat Max die Leidenschaft fürs Kochen geerbt, der Vater lehrte ihm die Ehrfurcht vor den Tieren, den Küchenfeinschliff holte er sich im Steirereck am Pogusch.

Heute pilgern alle zum Lurgbauer die feine Rindfleischküche schätzen. Der Respekt gebietet mir den ganzen Ochsen zu verarbeiten, sagt Max Leodolter. Einzig Hufe, Ohrenspitzel und die Knochen landen nicht in seiner Küche, weil er die Suppe mit Fleisch und Sehnen anstatt wie üblich mit Knochen ansetzt.

Ich adaptiere Klassiker und bringe sie auf eine neue Ebene, sagt Max Leodolter, während er in seiner hellen Küche bedächtig Butterschmalz in einer Pfanne zerlässt. Gleich werden darin die Rostbratenstücke brutzeln, denn das gesottene Beinfleisch, das er gerne für uns zubereitet hätte, war leider schon aus. Da müssten wir auf den nächsten Ochsen warten.

 

Auf den richtigen Zeitpunkt warten können – eine Eigenschaft, die wir Max Leodolter nicht nur als Koch zuschreiben wollen, auch im restlichen Leben scheint er von Besonnenheit geprägt zu sein. Vier Jahre lang überlegte er den Umbau der Küche, als er 2015 damit begann musste man zuerst das WC verlegen, in Folge die Schank umbauen und damit den gesamten Gastraum. Ein Totalumbau also, den er mit den Materialien der Gegend, Eschen- und Lärchenholz und Eisen von der Eisenstraße in Angriff nahm. Auch die Koch-Zutaten stammen nur aus der Gegend, vom eigenen Garten, aus den Wäldern und weil auch ein paar Birken auf der Lichtung herumstehen, gibt es bei Lurgbauern jetzt ein Eis aus getrockneten Birkenblättern.

Mit dem Wasser der Gegend, dem Mariazeller Hochschwabwasser, wird im Braugasthof Girrer das Bier gebraut und das genaugenommen seit 1673. Damit gilt der Girrer als älteste Wirtshausbrauerei der Steiermark, obwohl die Brauerei 1888 stillgelegt und erst 1996 von Johannes Girrer wiederbelebt wurde. Unser Vater hat sich damit einen Traum verwirklicht, sagen Silvia, 29, und Johannes jun., 31, die schön langsam in den Betrieb hineinwachsen. Bierzapfen kann ich, mein erstes Bier hab ich mit zehn gezapft, sagt Silvia stolz. Letztes Jahr hat sie erstmals mit dem Vater einen Sud angesetzt, obwohl der das Brauen davor als reine Männersache deklariert hatte. Trinkt sich gut, hat er es gelobt, sagt Silvia und so wie sie dabei begeistert lacht, wäre demnächst eine Braumeisterin beim Girrer durchaus denkbar.

Neben einem hellen obergärigen Gerstenbier, werden hier immer wieder dunkle Biere nach alten Rezepturen gebraut. Die Zusammensetzung des „Mariazeller Alt“ etwa aus dunkel geröstetem Malz und obergäriger Hefe wurde bereits im 17. Jahrhundert notiert. Schon damals stärkte es die Pilger.

 

Zur selben Zeit nämlich 1674 wird der Scherfler nebenan erstmals urkundlich als Gastwirtschaft, Lebzelterei und Wachszieherei erwähnt. Übrig geblieben davon sind die alten Gemäuer und das Wirtshaus, obendrauf wurde vor über 100 Jahren ein Hotel gesetzt. Dann hat es mein Großvater übernommen, sagt Andreas Scherfler, 54, der mit seiner Frau Maria versucht das Traditionshaus behutsam durch die neuen Zeiten zu bringen. Hier kehrte einst die Aristokratie ein, die sich ringsum auf ihren Jagdgründen erholte. Auch geistliche Würdenträger trugen sich in die Stammbücher des Scherfler ein und bekamen ihr Lieblingsessen an ihrem Lieblingsplatz serviert. Obwohl der wunderbare alte Festsaal für 250 Leute jetzt nicht mehr betrieben wird und verpachtet ist, gehört es in der Gegend nach wie vor zum guten Ton für Familienfeste und Hochzeiten zum Scherfler zu gehen. Hier weiß man was man kriegt: gutbürgerliche Küche nach Rezepten die schon die Großeltern hier kochten. Holler, Äpfel und Birnen kommen aus dem eigenen Garten, das Styria Beef vom Eiblbauern und die Forellen aus der Salza.

Hier an der Salza hab ich meinen ersten Fisch gefangen, sagt Alexander Quester, 49, als wir bei Gußwerk Richtung Fallenstein tiefer in die Steiermark eintauchen. Mit seinem Vater, dem Rennfahrer Dieter Quester, ging er überall in der Gegend Fliegenfischen. Der Geruch von Moos, klarem Bachwasser und frischem Fisch prägte sich fest in seinem Gedächtnis ein, wurde aber zunächst vom Benzingeruch übertüncht. Natürlich wollte auch Alexander Rennen fahren, aber die Fußstapfen des Vaters waren zu groß. Was blieb war ein großes Herz für die Fischerei und das Mariazellerland.

 

Der Schnee knirscht fröhlich unter unseren Sohlen, im Wasser tanzen die Sonnenstrahlen während wird die Teich-Anlagen für Saiblinge und Forellen entlang wandern, die Alexander vor 12 Jahren hier angelegt hat. Das Wasser kommt aus dem Hochschwab, ist mit viel Sauerstoff angereichert und hat hohe Stromfließigkeit, sagt er und dass dadurch die Fische sportlich bleiben und ein festes Fleisch haben. Bio ist sowieso klar, weil die Natur völlig bio ist, sagt Alexander. Und weil er bemerkt hat, dass sich seine Fische unwohl fühlten als die Wassertemperatur auf über 12 Grad stieg, hat er zur Beschattung an den Rändern jetzt Weiden gepflanzt.

Der Geruch des Mariazellerlandes, so könnte man sagen, hat Alexander eine zeitlang Glück gebracht. Seine Fische standen bei vielen Wirtshäusern bis nach Wien auf der Karte, seine gebeizten und geräucherten Fische, der Saiblingskaviar und die Fischaufstriche galten als Delikatessen. Leider kam er bald nach unserem Besuch finanziell ins Trudeln, wie es mit dem Betrieb weitergehen wird, steht in den Sternen.

Der Geschmack des Mariazellerlandes mag sich im Laufe der Zeit verfeinert haben, begründet auf alter Holzfällerkost und beeinflußt vom rauen Klima bleibt er aber immer ein bißchen rustikal. Da kommts her, hier spielt die Musik, winkt uns fröhlich Siegi Fritz, von allen nur die Mooshubenwirtin gerufen, von einer Blockhütte hinter ihrem Wirtshaus herbei. Hier brutzeln gerade Erdäpfelspatzen, die Vater Siegfried Fritz in einer Gußeisernen über offenem Feuer schupft. Das traditionelle Holzknecht essen könnte eine ganze Truppe ernähren und wird nicht mehr oft zubereitet. Auch bei der Mooshubenwirtin nicht, die das Wirtshaus vor 30 Jahren gekauft hat. Anfangs stand ihre Mama am Herd und bereitete bäuerliche steierische Kost wie Flecksuppe, Kasspatzen, Gröstl und Bratln zu. Berühmt wurde das Wirtshaus am Mariazeller Pilgerweg aber wegen der Forellen.

Auch die bereiten wir klassisch und traditionell zu, sagt die Mooshubenwirtin. Mit Rollgerste zum Beispiel, weil die in der Gegend angebaut wird. Zwei Forellenteiche gibt es hinterm Haus die von einem Bächlein gespeist werden. Ich hol die Forellen direkt vom Wasser in die Pfanne, sagt die Mooshubenwirtin, die auch privat eine leidenschaftliche Anglerin ist. Am liebsten ist sie aber unter Menschen, da packt Siegi Fritz ihren Schmäh und Charme aus und kann aus dem Stehgreif das ganze Wirtshaus unterhalten.

Nur manchmal erlaubt sie sich stille Momente, so wie jetzt, wo wir mit vollgefüllten Bäuchen vor der Hütte ins Land rein schauen. Weißt, sagt sie, früher war alles ein bissl gemütlicher, ein bissl langsamer, sogar die Pilger sind heute gestresster. Mag sein, aber die haben ja immerhin noch eineinhalb Stunden von hier bis zum ihrem Ziel, dem Dom von Mariazell. Hocken bleiben immer nur die kulinarischen Wallfahrer. Kein Wunder, auch der Geschmack des Mariazellerlandes macht glücklich und zufrieden.

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