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Kaffee aus Triest

Servus Triest - Juli 2020

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EINE KLEINE TRIESTINER KAFFEEGESCHICHTE

Nirgendwo sonst wird so viel Kult um die braunen Bohnen betrieben. In Triest trifft Tradition auf Enthusiasmus und auf eine unbändige Liebe. So betörend wie ein Schluck kräftiger Espresso.

Foto © Michael Reidinger

Es wäre eine Schande gewesen, dieses Juwel verfallen zu lassen.“ Alexandros Delithanassis rückt einen Thonetsessel zurecht und streicht mit der Handfläche über das Mamortischchen. Nicht so, wie man das macht, wenn man ein paar Brösel wegfegen möchte, der Tisch ist sowieso blitzblank sauber. Es ist vielmehr eine Geste des Respektes, voll Liebe und Ehrfurcht vor der Geschichte des altehrwürdigen Caffé San Marco, das er 2013 gerade noch rechtzeitig aus dem Dornröschenschlaf geweckt hat.
Aus reiner Leidenschaft, denn eigentlich führt er mit seinem Vater, einem eingewanderten Griechen, und seiner Schwester einen Verlag und hatte ein paar Meter entfernt eine kleine Buchhandlung. Von dort aus und als einer der wenigen, letzten Stammgäste sah er zu, wie der Glanz des Jugendstil-Ensembles langsam und stetig verblasste. Es schien auch niemanden zu scheren als schließlich die Rollbalken für immer unten blieben. Also beschloss ich mich als Cafetier zu versuchen, sagt Alexandros Delithanassis und drückt uns einen Espresso, einen Nero, wie sie hier in Triest dazu sagen, aus einer riesigen kupfernen Maschine, die einer Ikone gleich die Bar ziert. Sie gehört wohl zu den ersten ihrer Art und hat sämtliche Tohuwabohus in den hohen Räumen überlebt.
1914 ließ sich der Istrianer Marco Lovrinovich das Caffé im Stil der alten klassizistischen Wiener Kaffeehäuser erbauen, allerdings mit einem kleinen italienischen Anstrich: zu den weißen Wänden wählte er grüne Blätter und rote Kaffeebohnen als Dekor. Unter den Farben der Tricolore trafen sich alsbald die Irredentisten, die weg von der Habsburger-Monarchie und zu Italien gehören wollten. 1915 zerstörten österreichische Geheimdienstler das Caffé, das erst nach dem I. Weltkrieg wieder aufsperrte und zum Treffpunk der Künstler- und Intellektuellenszene wurde. Die Faschisten unter Mussolini billigten das zwar argwöhnisch, mussten aber zumindest optisch ihrem Sinn für Zucht und Ordnung Ausdruck verleihen.
Die Wandmedaillons mit den halbnackten Damen waren ihnen zu freizügig, sagt Alexandros Delithanassis und grinst sich eins, weil der Mensch von heute sich nur darüber wundern kann. Die Malereien wurden 1934 durch Fratzen im Stil von „Signor Bonaventura“, einer damals populären italienischen Comic-Figur, ersetzt.
Heute haben die Nackten und die Fratzen einträchtig Platz hier nebeneinander. Heute kommen auch die Triestiner wieder gerne hierher, blättern in den Zeitungen oder schnappen sich ein Buch. Obwohl Alexandros Delithanassis Einrichtung und Atmosphäre ziemlich originalgetreu wiederherstellte, eine Neuerung gibt es: die verlotterten Billardtische wurden durch Büchertische ersetzt, die stimmig ins Ambiente passen. Denn im San Marco wurde schließlich mehr als ein Buch verfasst. Die Chance zum Beispiel den italienischen Dichter Claudio Magris beim Schreiben anzutreffen ist groß. Früher hingen hier Italo Svevo, Franz Kafka und Rainer Maria Rilke ihren Gedanken nach, und natürlich der irische Schriftsteller James Joyce. Er schrieb einige Kapiteln seines Meisterwerkes „Ulysees“ im San Marco, saß aber auch gerne in den beiden anderen Traditions-Kaffees dem Caffe degli Specchi und dem Tommaseo. In letzterem trafen sich nach seiner Eröffnung 1830 die Freunde des Risorgimento, und verbreiteten von hier aus die Bewegung für ein freies, vereinigtes Italien. Noch heute kann man unter altem Stuck im ursprünglichen Dekor seinen Espresso nehmen, einen Aperitiv kippen oder sogar essen.
Auch im liebevoll Specchi – sprich Schpeki – gerufenen Kaffeehaus auf der Piazza Unità bekommt man wieder einen Espresso mit einer herrlichen Crema und bestellt vielleicht etwas Süßes dazu. Als das Lokal 2011 Konkurs anmeldete und zusperrte war das eine Tragödie für die Triestiner. Es gibt wohl kaum einen besseren Platz zum Sehen und Gesehen werden als unter dem Sonnen-Baldachin der ehrwürdigen Institution, die vor 180 Jahren ebenfalls nach wienerischem Vorbild eingerichtet wurde. Nach sechs Monaten sperrte das Caffé unter Leitung der italienischen Konditorenfamilie Peratoner wieder auf und das Aufatmen war spür- ja beinahe hörbar.
In Triest, so sagt man, wird doppelt so viel Kaffee getrunken als irgendwo anders in Italien. Und irgendwie hat man das Gefühl als hätten hier alle Kaffee im Blut. Edi Bieker etwa, der vermutlich jede der 2.000 Aroma in einer Tasse Kaffee herausschmecken kann. Nur zum Vergleich: in einem Wein sind knapp 700 Aromen enthalten. Crutista nennen sie hier das was der 72-Jährige Zeit eines Lebens macht: Er reist um die Welt, sucht und besucht Kaffeebauern die nach seinen Vorstellungen anbauen, achtet auf die Qualität und darauf, dass die grünen Bohnen im Hafen gut gelagert sind. Vor allem aber stellt er Kaffee-Mischungen zusammen. Neben individuellen Mischungen für seine weltweit 800 Kunden, gibt es bei ihm noch 16 Standards, die der Opernfan nach italienischen Musikern wie Caruso, Verdi, Toscanini, Puccini usw. benannt hat. Ob Arabica-Bohnen oder Robusta ist Geschmackssache, sagt Edi Bieker, der selbst Arabica mit dem geringeren Koffeinanteil bevorzugt. Für sich ganz privat stellt er daraus eine sehr kosmopolitische Mischung zusammen: Die Basis aus Brasilien, ein bisschen Äthiopien, dazu was indisches eigentlich aus einer Kakaoplantage und noch einen Schuss Costa Rica.
Bei Edi Bieker lässt auch Franco Zerial von der kleinen Rösterei Guatemala einen Teil seiner Rohkaffee-Mischungen zusammenstellen. Die röstet er dann ebenfalls nach Wunsch. Zumeist heller, weil man das in den nördlicheren Gefilden, auch in Österreich bevorzugt. Im Süden haben sie ihn lieber bitter, also röstet man dort länger, sagt Franco Zerial, während wir betört vom Duft der röstfrischen Bohnen auf der Stelle einen Nero in B, einen Espresso im Glas (Bicchiere), brauchen.
Eigentlich hat der Triestiner ja Politologie studiert und seine Diplomarbeit über Kaffeeländer geschrieben. Als er dann keinen Job fand und die Rösterei zum Kauf stand, schlug er zu. Man braucht ein Gespür, sagt Franco Zerial und dass er selbst heute nach knapp 30 Jahren noch an seiner Perfektion arbeitet. Ob gewaschene oder getrocknete Bohnen, ob Filterkaffee oder Espresso, beim Kaffee ist alles eine Frage der Philosophie, sagt er noch und füllt die noch warmen Bohnen sorgsam in die Behälter.
Auf zwei Philosophien traf vor 100 Jahren auch Francesco Illy aus Timisoara. Der Buchhalter tauchte zunächst in Wien in die Welt der Kaffeehäuser ein, wo man Kaffee als Heißgetränk zelebrierte. In Triest, wo er sich später niederließ, pflegte man mehr die Venezianische Kultur des schnellen Stehkaffees mit einem Konzentrat, dem Espresso. Mein Großvater war ein Geschäftsmann und ein Tüftler, sagt Andrea Illy, 55, der das Kaffee-Imperium heute führt, zu dem Opa Francesco mitten im Zentrum des Kaffeehandels einst den Grundstein legte.
Er baute auch 1935 mit der Illeta die erste Maschine durch die der Kaffee mit 90 Grad und 9 bar durchgedrückt wird und so seine unwiderstehliche Crema bekommt. Eine Formel, die den Baristas dieser Welt heute so geläufig ist, wie dem Schulkind a2+b2=c2. Enkel Andrea Illy ist jedenfalls auch einer, in dessen Adern Kaffee fließt, immerhin trank er bereits mit zwei Jahren seine erste Tasse. Damals, als seine Mutter täglich nach dem Mittagsessen trickreich an einer Maschine herumhantierte, bis endlich ein ordentlicher Kaffee auf dem Tisch stand. Es war wunderbar, ihr zuzusehen und das Aroma einzuatmen, sagt Andrea Illy. Ein Duft, der ihn prägte und der eine Liebe zum Kaffee entfachte, die das Traditionshaus noch heute mit viel Enthusiasmus und Einsatz von Triest aus in der ganzen Welt verbreitet.

Kasten
Folgen Sie dem Kaffeeduft

Antico Caffé San Marco, Via Cesare Battisti 18, caffesanmarco.com
Original Jugendstileinrichtung mit Mahagoniholz, Mamortische und Thonetsesseln. In der Herberge der Intellektuellen, Künstler und Schreiber wird heute auch exzellentes Essen und guter Wein serviert.

Caffé degli Specchi, Piazza Unità d’Italia 7, caffespecchi.it
Mit Blick aufs Meer und dem großzügigen Platz einer der Fixpunkte eines Triest-Besuches. Sitzen und Schauen bei einem Nero und hausgemachten Süßigkeiten

Caffé Tommaseo, Piazza Nicolò Tommaseo 4, caffetommaseo.it
Im hergerichteten Originalambiente von 1830 läßt sich der Geist von Freiheit und Revolution nur mehr erahnen. Ein Aperitiv hilft der Nostalgie auf die Sprünge.

Sandalj, Via Rosini 14, Tel.: +39/040/676 79 25, sandalj.com
Beim Kaffee-Importeur kümmern sich Crutista Edi Bieker, seine Tochter Francesca und Maurizio Stocco um Qualität und Mischung von Rohkaffee.

Torrefazione Guatemala, Via G. Padovan 4, Tel.: +39/040/944 228, caffeguatemala.com
Im Familienbetrieb werden Spezialmischung für Kaffeebars und Privatkunden geröstet

Illy, Via Flavia 110, illy.com
Das Kaffee-Imperium ist einer der größten Arbeitgeber der Stadt und eine kleine Welt für sich. Hier gibt es ein Forschungslabor, eine Kaffee-Universität, hier wird kreiert, erfunden und probiert. Seit ein paar Jahren werden sogar die Abgase vom Rösten im Winter für heißes und im Sommer für kaltes Wasser eingesetzt. Wer Kaffee sagt, sagt Triest. Wer Triest sagt, sagt Illy.

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