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Kitzbühler Land

Servus Gute Küche - Herbst/Winter 2018

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DER GESCHMACK DER NÄCHSTEN GENERATION

In den Kitzbüheler Alpen schmeckt’s vielerorts wie überall. Aber nicht überall sind die alten Traditionen verloren gegangen. Darauf baut eine junge Generation auf. Mit Elan und frischem Geschmack.

Foto © Christoph Wagner

Ich trenn mich schwer, aber ich werde mich umstellen müssen.“ Wir stehen mit Michael Grafl in der gar nicht so kleinen Küche seines Berggasthofes Steinberg, in deren Mitte ein langer Herd dominiert. Mit einer Hand schnappt sich der Koch gerade ein Holzscheitel vom Stapel, der fein säuberlich davor aufgeschlichtet ist. Flink öffnet er das Türl unter der Herdplatte, schiebt das Holz rein und rührt gleichzeitig mit der anderen Hand oben im Reindl, damit das Beuschl nicht anbrennt.
Eine Choreographie, die schon seine Oma und seine Mama genauso praktiziert haben und bei der wir wohl eine der letzten sind, die diesen nostalgiebehafteten Moment miterleben durften. Gleich nach unserem Besuch ist der alte Herd Geschichte, muss einem nigelnagelneuen Modell weichen, das glänzt, voller neuer Technologien strotzt und dem Zwei-Mann-Team das Leben und das Kochen um einiges erleichtern wird.
Natürlich weiß Michael Grafl das im Kopf, auch dass nach ein paar Anfangs-Hoppalas in einigen Monaten das alte Trum in der Erinnerung verblasst sein wird. Doch jetzt steht ihm die Angst des Koches vorm neuen Herd ein bissl ins Gesicht geschrieben, gepaart mit einer ordentlichen Portion Sentimentalität.
Was wurde hier nicht alles gekocht seit seine Großeltern in der alten Jagdhütte im hintersten Winkel des Windautales eine kleine Sommerfrische einrichteten und die Gäste bewirteten. Brodakrapfen zum Beispiel, den Brixentaler Klassiker für den man selbstgemachten Sauerkäse, eine Art Bröseltopfen (Broda), mit Schnittlauch würzt. Dann wird ein Teig aus Wasser mit Roggen- und Weizenmehl im Verhältnis 1:1 mit etwas Salz und Kümmel angerührt. In diesen wickelt man Batzerln vom Sauerkäse und bäckt die Krapfen schwimmend im heißen Fett heraus. Das mach ich noch ab und zu für die Einheimischen, sagt Michael Grafl, den Touristen ist das schwer zu erklären.
Seit es Alpintourismus gibt, also seit über 150 Jahren, hat man hier südlich vom Wilden Kaiser den Gästen die Wünsche von den Augen abgelesen. Vielerorts so sehr, dass man vor lauter Anpassung auf die eigenen Wurzeln vergessen hat. Wer sich vom trügerischen Kitsch nicht blenden lässt, findet aber selbst im Schatten des Hahnenkamms noch Authentizität und den Geschmack der Kitzbüheler Alpen. Vor allem aber findet er eine junge Generation, die auf alte Traditionen setzt und sie behutsam den modernen Zeiten anpasst.
Herz und Seele für Gäste ist uns in die Wiege gelegt, sagt Michael Grafl. Selbst wenn dieser Satz etwas schief daherkommt, spürt man genau was er meint. Er sagt auch mit einer Selbstverständlichkeit Pfifferlinge, Eierschwammerln kennt er nur vom Hörensagen, außerdem ist ihm diese Art von Sprachfetischismus herzlich egal. Wichtig ist, was er damit kocht, dass Lamm, Rind, Schwein, Obst und Gemüse von Menschen kommen, die er kennt. Menschen die ihre Landwirtschaft so betreiben, wie er sich das vorstellt. Nachhaltig, umweltschonend und ohne Chemie. Dafür brauch ich kein Bio-Zertifikat, sagt Michael Grafl, bei uns gilt die Handschlagqualität.
Den Sinn fürs Regionale hat der 39-Jährige daheim und in seiner Lehrzeit bei Alfons Schuhbeck eingeprägt bekommen. Damals in den 1990er Jahren, als dieser im bayerischen Waging am See noch ehrliche Küche praktizierte und noch nicht weißwurschtmäßig prominent war. Viel hat er damals gelernt, sagt Michael Grafl und als er 2006 zurückkam und den Gasthof übernahm, hat er das mit dem Geschmack und den Rezepten aus seiner Kindheit gekreuzt.
Geschmortes, so wie man es früher am Sonntag hier rundum gegessen hat, findet man auf der Steinberg-Karte, dazu Bauernbratln und ganz was Seltenes, nämlich ein Osso Bucco vom Wild. Man braucht nicht viel in einem Wirtshaus verändern, sagt Michael Grafl. Er kocht jetzt nur mit mehr Gemüse und leichter als früher. Trotzdem nimmt er am liebsten Schweineschmalz. Das gehört zu uns, sagt er und klopft sich auf seinen kaum vorhandenen Bauch. Die Aromatik von so einem Schmalz ist einfach unübertroffen.
Für seine Bergheusuppe geht Michael Grafl übrigens nur auf die Wiese hinterm Haus. Dort wird nicht gedüngt, nicht gespritzt und die Blumen können auswachsen. Gleich daneben hat er auch einen Kräutergarten angelegt in dem Ringelblume, Melisse, Malve und Co trotz einer Höhenlage von 800 Metern prächtig wachsen. Da hat mir der Baierl Hans sehr geholfen, sagt Michael Grafl.
Hans Baierl wohnt mit seiner Frau Lisi auf der Sonnenseite hoch über Brixen am Obertreichlhof. Die beiden haben das enorme Wissen ihrer Vorfahren über Kräuter und Pflanzen auf den steilen Wiesen auf 1.100 Metern kultiviert. Neben den Alpenpflanzen die sie nach phytotherapeutischem Wissen zu Salben, Gelen und Tinkturen verarbeiten, mischen sie Wildkräuterwürzungen und –salze. Auch auf Spezial-Wunsch, so wie von den Gebrüdern Winkler drüben in Aurach, die sich von den Baierls Kräuter für Salate, Fisch und Geflügel zusammenmischen lassen.
Wächst alles vor der Tür, sagt der 68-Jährige, der mit seinen markanten Zügen im Film locker den Hexenmeister geben könnte. Den guten, natürlich. Vogelmiere, Gundelrebe, Blutwurz, Wildknoblauch, Wildkarotten und noch viel mehr, als dass man es aufzählen könnte, gedeiht hier unter seiner Obhut prächtig. Der leidenschaftliche Gärtner hat alles ausgetüftelt in Mischkultur angesetzt, da steht auch der Petersil weit weg vom Schnittlauch, weil sich die beiden so gar nicht vertragen. Gedüngt wird mit Brennnesselsud und Steinmehl, geerntet und verarbeitet in Handarbeit und das nach jahrhundertealtem Wissen.
Auf das Wissen seines Opas hätte auch Dennis Aschenwald in Westendorf gerne mehr zurückgegriffen. Schon als Kind interessierte sich der heute 27-Jährige für die familiäre Landwirtschaft und Fleischerei und verbrachte seine Sommer mit dem Opa und den Schafen auf der Alm ganz hinten im Windautal. Doch drei Tage nachdem er mit der Schule fertig war, verstarb der alte Bauer und Dennis sprang ins kalte Wasser. Das mit dem Fleischermeister musste er auf die lange Bank schieben, die Schafe zieht er jetzt im Nebenerwerb.
Obwohl Schafe in der Gegend eher Exoten sind, haben sie auf dem Hof der Aschenwalder Tradition, die Dennis fortsetzt. Zunächst probierte er es mit einer fleischintensiven französischen Rasse, der aber das Klima in den Tiroler Bergen nicht passte. Also kam er auf das Krainer Steinschaf. Klein, robust, geländegängig und mit einem zartfaserigen Fleisch, sagt Dennis mit so einer Begeisterung, dass wir die wuscheligen Tiere am liebsten umarmen würden. Seine vollkommen mit natürlicher Heufütterung aufwachsenden Tiere gelten rundum als Geheimtipp. Alle Teile vom Schaf schmecken großartig, nicht nur Rücken und Schlögel sind super, sagt Dennis, zieht sich die Mütze tiefer ins Gesicht und treibt die Herde zurück in den warmen Stall. Kalt ist es geworden, da pfeifen selbst die Lämmer auf frische Luft.
Lammhaxen stehen heute auf der Karte vom Bichlhof auf der Sonnenseite von Kitzbühel. Zwei Stunden braten sie dort schon unter Aufsicht von Küchenchef Karl Aichholzer und seinem Team. Wird butterweich auf der Zunge zergehen, sagt der gebürtige Villacher, der das Fleisch jetzt noch einmal mit dem eigenen Saft übergießt bevor er es raus aus der geräumigen Küche schickt. Vor 25 Jahren haben Andrea, 57, und Walter Hopfner, 61, das Haus von Andreas Eltern übernommen, es zu einer kleinen Oase umgebaut und dabei großen Wert auf Essen und Trinken gelegt. Regional natürlich, denn nur so kann man die Qualität kontrollieren.
Immer mittendrin im Geschehen: die Töchter Julia, 30, und Lisa, 27. Die beiden mischen jetzt ordentlich mit im Betrieb, sagen die stolzen Eltern und dass sie sich schon vor ein paar Jahren mit ihrer Zurück-zu den-Wurzel-Philosophie durchgesetzt haben. Deswegen werden am Bichlhof heute Saiblinge und Lachsforellen in Teichen gezogen, die von den eigenen Quellen gespeist werden und auf der zugehörigen Bichlalm macht Senner Peter Kreidl, 84, den Bergkäse so wie eh und je selber. In Gärten und auf Feldern wächst alles von Kartoffeln, Tomaten bis zu Kraut und Kräutern.
Zweimal die Woche bäckt Walter Sauerteigbrot, deshalb würde er gerne noch Roggen, Gerste und Hafer anbauen. Das war einst hier üblich, sagt er, jetzt gibt es nur mehr Grünland. Unter einer glitzernden weißen Schneedecke breiten sich die steilen Wiesen rundum auf den Hängen aus. Unschuldig, so als wüßten sie nichts mehr vom mühevollen Getreide-Anbau und der Ernte in alten Zeiten.
Die Bauersfrauen haben früher einfach kochen können, die mussten ja alles verarbeiten, sagt Doris Zehetner, 50, vom Berggasthof Hagstein. Seit 1793 steht der stolze Hof mit Viehwirtschaft ebenfalls auf der Sonnseite über der Gamsstadt, in dem ihre Oma und Mutter nach dem II. Weltkrieg eine Jausenstation eröffneten. Die beiden waren Autodidakten, sagt Doris, und sie servierten Bauernomelettes, Schmalz- und Speckbrote.
Weil das so gut schmeckte wurde bald ein richtiges Gasthaus mit Kaiserschmarren, Bratln und Schnitzeln daraus. Eine Linie, die auch Doris Ehemann Franz, ein gelernter Koch aus Leogang, weiterführt. Unsere Stammgäste wollen nichts anderes, sagt Doris und Tochter Christina, 24, nickt zustimmend. Für sie und ihre Schwester Franziska, 21, die schon beim Döllerer in Going in die Feinheiten der Alpinküche eingeweiht wurde, war immer klar, das sie dereinst den Familienbetrieb übernehmen werden.
Das stand auch für die Schwestern Sonja, 21, und Sabrina Horngacher, 24, vom Ruetzenhof in Kirchberg irgendwie nie außer Frage. Ich bin ja praktisch in der Küche aufgewachsen, sagt Sonja und schwenkt beherzt die schwere Pfanne voll heißen Öls, in dem die Apfelkiachl schwimmen. Papa Thomas Horngacher, 50, beobachtet es aus den Augenwinkeln, und man merkt ihm an, dass er gerne helfend eingreifen würde. Er muss sich erst dran gewöhnen, dass seine Töchter – Sonja in der Küche, Sabrina im Service – immer mehr das Kommando übernehmen.
Ihren Kopf durchgesetzt haben die beiden ja schon als Dreikäsehochs. Laut Familienanekdote mussten die Eltern einmal kurzfristig zum Heuen auf den Berg bevor der große Regen kam. Serviert’s in der Zwischenzeit nur kalte Brote, lautete die Anweisung an die Kleinen. Heut gibt’s nur Warmes, offerierten die aber den Gästen und schon stand Sonja am Herd und brutzelte einen Kaiserschmarren.
Nur ein wenig hat sie geändert als sie nach ihrer Lehrzeit im Kitzbüheler Kitzhof heimkam. Davor war es eine reine Bauernküche, sagt Sonja, jetzt gibt es dazu auch Bachsaibling, etwas Vegetarisches und ein paar leichtere Desserts. Creme Brûlée zum Beispiel – so wie das meiste auf der Karte, aus den Zutaten vom eigenen Bauernhof zubereitet.
Mit neuen Ideen am Betrieb der Eltern andocken und damit ein weiteres Standbein schaffen – diesen Weg gehen einige hier in diesem Teil der Kitzbüheler Alpen. Auch die Brüder Thomas, 27, und Markus, 25, vom Rehaberhof, einem Erbhof bei Hopfgarten. Unsere Mädels, sagen sie zu den 18 Milchkühen, deren Biomilch sie seit zwei Jahren in ihrer kleinen Hofkäserei verarbeiten. Und weil es in der Region genug Berg-, Senn- oder Almkäse gibt, spezialisierten sie sich auf Camembert.
Alles, vom Bau der Käserei bis zur Vermarktung, machten und machen die „Milchbuben“, wie sie sich nennen, selbst. Auch der Camembert wird nach 10 Tagen Reife händisch in eine eigens gefertigte Verpackung ohne Plastik gewickelt. Und weil ihnen die Natur und ihr Kreislauf ein großes Anliegen ist, bauen sie gerade einen Stall für Schweine, an die sie die übriggebliebene Molke vom Käsen verfüttern möchten.
Während die Milchbuben also noch eifrig an ihrer Zukunft schrauben, sind die Gebrüder Winkler im Auwirt in Aurach bereits angekommen. In einem alten Wirtshaus, an dem vorne die Bundesstrasse und hinten die Kitzbüheler Ache vorbei rauscht, und dem Besitzerin Susanne Porsche eine moderne, kühle Optik im alten, warmen Ambiente verpassen ließ. Das harmoniert richtig gelungen mit dem Küchenstil von Christian, 44, und dem unprätentiösen Service unter Markus Winkler, 37, dass man im Nu so beglückt dreinschaut, als hätte man gerade die Abfahrt auf der Streif gewonnen.
Wir haben einen großen kulinarischen Horizont, sagt Christian und rührt noch schnell das Reisfleisch um, das jetzt 15 Minuten garen muss. Wobei der Grundstein bereits in der Kindheit gelegt wurde. Noch heute sind einerseits die Rezepte der steirischen Oma und Mutter die Winklerische Basis, andererseits der leicht französische Küchenstil, den der Vater gepflegt hat. Nach einer Lehre bei den Obauers (Christian) und den Eselböcks im Taubenkobel (Markus) standen sie im Schindlerhaus in Söll vor 16 Jahren erstmals gemeinsam in der Küche, bevor Markus in den Service wechselte. Damals haben wir uns eine Stammklientel erkocht, sagt Christian, die uns über die Schwedenkapelle bis hierher gefolgt ist.
Kein Wunder, hier passt einfach alles. Von der Präzision in der Küche über die Leichtigkeit der Zubereitung, der Qualität der regionalen Zutaten bis zur Weinkarte auf der natürlich auch Naturweine zu finden sind. Die beiden Brüder sind übrigens die 4. Generation Köche in der Familie und die 5. wächst bereits nach. Christians Sohn Julian, 19, probierte sich zwar zunächst als Schmied, schmiss aber bald hin und steht jetzt ebenfalls im Auwirt in der Küche. Der hat ja schon als Kind bei mir in der Küche mitgeschnipselt, sagt der Vater mit stolzem Glanz in den Augen und gibt dem Junior jetzt Anleitung wie genau Paprikaspalten, Parmesan und Majoran auf dem Reisfleisch platziert werden sollen.
Eher skeptisch, aber dennoch mit zunehmenden Stolz, beobachtet Vater Baldauf in Kirchdorf, was sein Sohn am Hüttschaderhof da so treibt. Toni, 33, studierte in Wien Agrarwissenschaft an der Boku und arbeitete nebenbei als Erntehelfer auf Gemüsefarmen rund um den Erdball. Vor acht Jahren kehrte er heim und legte seinen erstes Feld in Permakultur an, mittlerweile reißen sich Gastronmie und Hobbyköche um sein Biogemüse und –obst, das er in Fruchtfolge und teilweise mit alten Sorten anbaut. Permakultur, sagt Toni, heißt, dass du deinen Boden permanent fruchtbar hältst. Nichts wird ausgebeutet. Der Boden nicht, die Luft und auch die Menschen nicht.
Wobei er durchaus auch mit ausländischen Obst und Gemüsesamen experimentiert, sonst würde sich sein Sortiment streng regional gesehen ja auf Rüben, Fisselbohnen und Kartoffeln beschränken. Alte Wassermelonensamen aus Alaska hat er jetzt bekommen, die müssten auch im Tiroler Klima wachsen. Beim Gärtner gibt es keine Formel, nix is fix, sagt Toni und zieht die Daunenjacke über den Overall. Er muss jetzt nach seinem Winterportulak, dem Rucola und Mangoldspinat im Gewächshaus schauen. Das ist unbeheizt, alles andere wäre Ausbeutung der Natur. Und die will er seinen Kindern möglichst unbelastet hinterlassen. Auch wenn man sich dafür von manch alter Tradition trennen und sich umstellen muss.

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