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Kleinwalsertal

Servus Gute Küche - Februar 2022

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IM TAL DER INDIVIDUALISTEN

Im Kleinwalsertal ging man immer schon seinen eigenen Weg. Auch kulinarisch. Mustergültig preschen hier einige Köche und Produzenten in punkto Bio, Umwelt und Tierwohl vor.

Fotos © Bernhard Huber

Ich suche immer mehr die Einfachheit, sagt Jeremias Riezler und zieht sich die schwarze Zipfelmütze ein bisschen fester über die Ohren. Es ist kalt hier heroben im Kleinwalsertal und während wir über den freigeschaufelten Weg hinter der Walserstuba in Riezlern stapfen riecht es schon nach neuem Schnee. Nur kurz, denn gleich riecht es nach Jeremias neuester Leidenschaft, seiner kleinen Alpenschweinezucht.
Eine bereits ausgestorbene Rasse, die 2016 im norditalienischen Veltlin wieder entdeckt wurde, sagt Jeremias während er behende über die Holzbrüstung ins Gehege springt und sofort von kleinen, quiekenden Ferkeln umringt wird. Im Kobel daneben recken die Muttersäue Madonna und Jacky neugierig ihre Rüssel in die Luft, während Eber Elvis ein Abteil weiter den Trubel gelangweilt aus der Ferne beobachtet. Die Mini-Truppe, die das ganze Jahr im Freien verbringt, und sich zum Teil im steilen Gelände ihr Futter selber sucht, ist ein Unikat im Tal, wo Rinder die Alpen beherrschen und über Schweine gerne die Nase gerümpft wird.
Ich habe lange nach gutem Schweinefleisch gesucht, sagt Jeremias und dass er jetzt endlich mit seinen Ferkeln, die langsam wachsen dürfen und erst mit 24 Monaten geschlachtet werden, ziemlich autark in seiner Küche ist. Mit ihren langen Beinen sind sie geländegängig, werden nicht sehr groß, haben ein zartes Fleisch und nur eine 10-Zentimeter dicke Fettschicht, die beim Garen kernig bissfest wird.
Als Geselchtes sorgt ihr Fleisch in der Diigenen Suppa, der traditionellen Walser Gerstensuppe, für den charakteristischen Geschmack. Die gab es früher immer am Samstag, sagt Jeremias, weil dann gleich das Fleisch für Sonntag gekocht war und die Bäuerin Zeit zum Kirchgang hatte.
Die Überlieferung solcher Rezepte ist Adam Ortwin zu verdanken, dem früheren Chefkoch des Ifenhotels drüben in Hirschegg, der vor 40 Jahren die alten Walser Bäuerinnen im Tal abklapperte, alles aufzeichnete und in Eigenregie ein Büchlein herausbrachte. Als Jeremias durch Zufall darauf stieß, war das als würde er einen Schatz heben. Zu Beginn modernisierte und verfeinerte er die Gerichte leicht, mittlerweile hat sich sein Stil radikal regionalisiert.
Ich nehme nur mehr heimische Zutaten, sagt er. Also kein Wasabi, wenn es doch Kren gibt, auch keine Schokolade, keine Vanille, mache nur noch ehrliche alpine Nachspeisen, mit allem was rundum wächst. Aus Mädesüß oder Bergbasilikum wird dann Eis, zubereitet auf der Basis von Molkezucker, den er stundenlang zu Karamell einkocht, was für die nötige Süße sorgt.
Auch Kaffee gibt es so wie bei den alten Walsern nicht, die sich im 13. Jahrhundert hier ansiedelten und der rauen Gebirgsgegend landwirtschaftliche Flächen zum Überleben abtrotzten. Sie bauten Gerste und Roggen an und brauten daraus u.a. Getränke, die als Muckefuck oder Ersatzkaffee in der Walserstuba zu einem Dessert werden, bei dem man sich zart nostalgische Gefühle erlauben darf, weil es so pur und ohne jegliche zuckersüße Verkitschung das frühere Leben im alpinen Raum transportiert.
Nur bei Obst muss Jeremias seinen Lieferantenkreis bis an den Bodensee ausweiten, selbst Zwetschken wachsen im Hochtal auf 1.000 Metern vielleicht nur alle zehn Jahre einmal. Dass sich auch exotische Gewürze wie Pfeffer bei den Zutaten finden, läßt sich wiederum aus der Geschichte erklären. Die alten Walser wanderten über den Widderstein (1.971 m) rüber ins Lechtal und weiter bis nach Venedig, wo sie ihren Käse gegen Gewürze, Stoffe und edle Steine tauschten. Deshalb hat sich in die traditionelle Kleinwalsertalertracht auch eine Korallenkette geschmuggelt.
Achtzig Kilometer im Umkreis, wenn man sich dort am Widderstein um die eigene Achse dreht, sagt Jürgen Beck und zeigt durchs Fenster auf den markanten Gipfel. Hier in seinem Gasthaus Hoheneck in Mittelberg, wo das Tal bald seinen felsigen Abschluss findet, hat man einen prächtigen Blick auf die Bergkulisse. Wer, so wie der Koch und Wirt seine Lebensmittel nur innerhalb des erwähnten Radius auswählt, kommt bis in den Bregenzerwald, an den Bodensee, aber auch ins bayerische Allgäu, von wo es die einzige Zufahrtsstrasse ins Kleinwalsertal gibt.
Dort im Allgäu bin ich geboren, sagt Jürgen. Vor 45 Jahren übernahmen seine Eltern das alte Wirtshaus, deshalb ist er in Mittelberg und mitten in der Gaststätte aufgewachsen. Ich habe immer mitgeholfen, sagt Jürgen und dass sich für ihn, genauso wie für seinen Freund Jeremias Riezler nie die Frage gestellt hat, ob er etwas anderes als Koch werden wollte. Zehn Jahre zog er nach der Lehre durch die europäische Spitzengastronomie, dann konnte er zwar ein Salzwiesenlamm aus der Bretagne perfekt zubereiten, hatte aber keine Ahnung wie man ein gutes Gulasch kocht.
Vor 25 Jahren bin ich zurückgekommen und habe das Haus mit der Küchen-Prämisse übernommen: saisonal und regional, sagt Jürgen und dass das damals noch recht außergewöhnlich war. Vor allem in einem Tal, wo man den vorwiegend deutschen Gästen kulinarisch die Welt zu Füßen legen wollte. Schnörkellos habe er gekocht, sagt Jürgen, beim Einkauf aber war es immer irgendwie ein wiglwogl. Vor elf Jahren dann entschloss er sich für den kompromisslosen Weg. Seither gibt es im Hoheneck auch keine Cola, keinen Martini oder Ramazotti sondern Säfte, Bier und Kräuterliköre aus der Gegend.
Nur beim Wein geht sich das nicht ganz aus. Dieser kommt zu 80 Prozent aus Österreich und jedes Jahr keltert ein anderer heimischer Winzer eigens eine Cuvee namens 7 für die Kleinwalsertaler. Es waren sieben Sommeliers aus dem Tal, die sich vor knapp 20 Jahren für dieses Projekt zusammengeschlossen hatten, mit dabei Jürgens Frau Kirsten und Jeremias Riezler. Bei vielem aber hat man es leicht hier, allen voran beim Fleisch. Die Kälber etwa, die Jürgen genauso wie die Rinder im Ganzen kauft und noch reifen läßt, müssen Hörner haben und mindestens 24 Monate alt und zweimal auf der Alpe gewesen sein. Da hier jeder jeden kennt, läßt sich das gut überprüfen. Mittlerweile hat er ein feines Netzwerk an kleinen Bauern und Produzenten gesponnen, einer baut ihm sogar Safran in Vorarlberg an. Von Frühjahr bis Herbst verarbeitet Jürgen dazu noch alles was die Natur so bietet. Da werden dann junge fermentierte Ahornblätter als Ahornkraut serviert, Huflattich, Löwenzahn und Buchenblättern zu Pesto verrührt und junge Zirben- oder Latschenkieferzapfen in Honig eingelegt. Aromatische Petitessen, die einem ein Essen im Hoheneck länger in Erinnerung behalten lassen. So wie auch die Heublumensuppe, für die der Koch noch einen Tipp hat: Kalt ansetzen und 30 Minuten nur ziehen und nicht kochen lassen. So bleiben die ätherischen Öle optimal erhalten.
Zwar wurde im Alpenraum immer auch ein wenig mit Heu gekocht, in erster Linie ist es aber ein Futtermittel. Unsere Kühe fressen ausschließlich Heu von unseren Wiesen und wir sind seit 15 Jahren biozertifiziert, sagt Bernhard Heim und schiebt seinen Tiroler Braunen noch eine Ladung Heu unter die Schnauze. Der Gemstelhof ist einer der ältesten im Tal, im 500 Jahre alten Walserhaus gleich nebenan hat Bernhards Bruder Stefan als Dorfchronist ein kleines Museum eingerichtet. Ich bin leidenschaftlicher Landwirt, sagt Bernhard und dass er auch Sennen gelernt hat, um die Milch von seinen Tieren gleich direkt zu verarbeiten. Jeden 2. Tag käst er Frisch-, Schnitt- und Bergkäse, die direkt im kleinen Hofladen verkauft werden. Butter gibt es dort keine, da Bernhard die Milch nicht entrahmt. Das sei eher unüblich, sagt er, weil entrahmter Käse länger hält und besser aussehe. Dafür zergeht sein Gemstler äußerst geschmeidig auf der Zunge und – Hand aufs Herz – er sieht proper und nach ehrlichem Handwerk aus.
Seinen eigenen Weg geht auch Christian Beck mit seiner Räucherkammer in Riezlern. An sich hatte er Koch gelernt, weil er dafür aber mehr von Fleisch verstehen wollte machte er den Metzgermeister dazu. Das hat mir dann viel mehr Spass gemacht, sagt Christian und schneidet eine Landjäger zum Probieren auf. Sie besteht zur Hälfte aus reinem Rindfleisch, dazu mageres Schweinefleisch plus Rückenspeck, pökelt 1 Nacht vor sich hin bevor sie kurz im Rauch hängen und dann langsam Nachreifen darf.
Ein Geheimnis der Beck’schen Würste – von der Kaminwurz über die Bratwurst bis zur Salami – ist unter anderem ihre jeweilige Würzung. Ich habe Rezepte gesammelt, sagt Christian, und herumgetüftelt bis es gepasst hat. Weil er seinen Wurstwaren genug Zeit zum Reifen gibt, hat er alle Angebote von Großhändlern abgelehnt und verkauft nur im Laden und an die hiesige Gastronomie. In seine Fleischerei kommen ausschließlich Tiere aus dem Tal, die er unten in Oberstdorf schlachten läßt. Das liegt zwar in Bayern, ist aber der kürzeste Weg hin und zurück.
In der geografischen Abgeschiedenheit zum eigenen Staat waren Grenzen hier nie ein Thema. Lange bevor ein gesamteuropäischer Wirtschaftsraum angedacht war, hatten die Talbewohner ihren eigenen kleinen mit Deutschland. Lange bevor Europa den Versuch startete sich zusammenzuraufen, hatte man hier österreichische und deutsche Postleitzahlen, durften sich eingeheiratete Deutsche aussuchen, ob sie ihren Pass behalten wollen. Ins Gymnasium fahren die Kinder bis heute nach Oberstdorf und wer oben beim Alpengasthof Hörnlepass spazieren geht, steht immer wieder mit einem Fuß hüben und dem anderen drüben.
Die Großeltern haben mit einer Alm begonnen, die Eltern haben in den 60er Jahren ausgebaut und ich habe mich vor sieben Jahren entschlossen, ihr Lebenswerk fortzuführen, sagt Gregor Keck und läßt seinen Blick über das winterliche Panorama streifen. Ein wenig auch zur Beruhigung, gleich ist es mittag und die urlaubenden Freizeitsportler werden den Alpengasthof stürmen. Obwohl Gregor seine Lehr- und Wanderjahre in internationalen Sterneküchen verbrachte, wird hier gutbürgerlich gekocht. Das passt zur Lage, schließlich marschieren immer wieder die Hochlandrinder von Cousin Benjamin Felder durchs Bild von denen zehn pro Jahr in Gregors Küche zerlegt und komplett verarbeitet werden. Die verlassen die Schwende nie, sagt Gregor, legen gerade einmal 4 Kilometer von der Weide zum Schlachter und zu mir zurück.
Für Braten nimmt Gregor die dicke oder dünne Schulter, den Schlegel oder die Nuss und gart sie sous vide 14 Stunden bei 18 °C. Da bleibt das Fleisch saftig, zart, man kann es kalt aufschneiden und in der Sauce wärmen, sagt Gregor, der dazu noch mit Thymian und Rosmarin aus dem Kräutergarten seiner Mutter Christine würzt. Seit zwanzig Jahren pflegt sie das kleine Paradies auf 1.160 Metern gleich neben einem Gebirgshochmoor, einem einzigartigen Biotop für Tiere und Pflanzen.
Ein Platz, der auch Gebirgsimker Achim Schneider gut gefällt. Ab April ist er mit seinen 400 Carnica-Bienenvölkern unterwegs und wandert im ganzen Tal den Blumen hinterher. Man kriegt mit den Jahren ein Auge, wo es gut ist, sagt er und dass er jeden Standort drei Jahre lang testet. Bis auf 1.700 Meter geht er hinauf und erntet hauptsächlich naturreine Blüten- und eher selten Waldhonige, die es allesamt nur bei ihm oder am Wochenmarkt zu kaufen gibt. Ich kämpfe immer mit dem Wetter, sagt Achim, in kalten, nassen Jahren gibt es nur 3,5 Kilo pro Volk, in guten können es schon 20 Kilo werden.
20 von Achims Bienenstöcken stehen auf den Wiesen der Familie Kessler, die mit ihrem Naturhotel Chesa Valisa (= Haus der Walser) einen Vorzeigebetrieb in punkto Bio und Nachhaltigkeit führt. Die Grundmauern stehen seit 515 Jahren, sagt Magdalena Kessler, die mit ihrem Bruder David, in 14. Generation das Haus letztes Jahr übernommen hat. Bereits 1985, in einer Zeit als man lieber betonierte statt auf die Umwelt zu achten, haben ihre Eltern Sieglinde und Klaus ein Naturhotel aufgebaut, das seit 20 Jahren komplett Bio und seit drei Jahren dazu noch klimaneutral ist. Heimisches Holz, Glas und Steine sind die Materialien mit denen hier gebaut wurde, geputzt wird mit effektiven Mikroorganismen und der Strom kommt aus der Solar- und Fotovoltaik-Anlage.
Dafür, dass es in Küche so gut wie keinen Abfall und gesundes Essen gibt, das schmeckt, sorgt Bernhard Schneider. Der ehemalige Küchenchef der Walserstuba, bei dem einst Jeremias Riezler gelernt hat, kam vor über zwanzig Jahren ins Haus und stellte komplett auf Bio um. Eine harte Zeit, sagt er, weil es damals kaum Bio-Bauern hier gab. Heute ist das leichter, aber weil man ja immer gerne dazulernt, hat er in den letzten Jahren noch auf regional-ayurvedisch umgestellt. Das heißt, vereinfacht gesagt, die Haupt-Zutaten kommen wie beim Berglinsen-Curry aus der Gegend, nur gewürzt wird indisch-exotisch, so dass es dem Körper gut tut.
Alles was in die Küche kommt, wird bis auf Putz und Stingl verarbeitet, keine Verschwendung, keine Abfälle. 2,3 kg CO2 verbrauchen wir pro Gast und Übernachtung, sagt Magdalena Kessler, die einzige Schwäche ist die Gäste-Anreise mit dem Auto. Wer aber seinen Autoschlüssel beim Einchecken abgibt, bekommt ein Fahrrad oder eine Langlauf-Ausrüstung geliehen, wer überhaupt mit dem Zug kommt, wird mit Bergkäse belohnt.
Regionalität ist auch für Liane und Gerd Hammerer mehr als nur ein Etikett. Nur wenn es gar nicht anders geht, schauen wir zumindest, dass es Bio ist, sagt Gerd, während Liane das Blech mit den Haferlaible in den Ofen schiebt. Ihre Delikatessenmanufaktur „Gerd am Herd“, in der man sich Frischgemachtes wie Suppen, Eintöpfe, Ragouts und Braten auch nach Hause mitnehmen kann, ist eher durch Zufall entstanden. Die beiden Köche, die in namhaften Häusern am Herd standen, erfüllten sich vor ein paar Jahren mit einem großen Lokal samt Biergarten in Bregenz den Traum der Selbstständigkeit, den ihnen die Pandemie zerstörte. Zurück im Kleinwalsertal erkannten sie, dass die Menschen in den Lockdowns zwar nicht ausgehen konnten, aber trotzdem gut essen wollten. Heute ist ihr Laden in Riezlern ein genussvoller Treffpunkt, in dem von Brot und Keksen über sauer und süß Eingelegtes bis zum zoogner Fladen alles in der kleinen Küche der Hammerers zubereitet wird. Wir können Leute bewirten und sind unsere eigenen Chefs, sagt Gerd und der breite Grinser in seinem Gesicht verrät, wie sehr ihn das freut.

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