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Lungau

Servus Gute Küche 2/2021

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WO DAS GUTE LIEGT SO NAH

Am Salzburger Lungau rauscht der Lärm der Zeit weitgehend vorbei. Deshalb konnte sich in den letzten Jahren eine Kulinarik entwickeln, die auf alten Traditionen wandelt, und dabei ausgesprochen zeitgemäß ist.

Foto: Christof Wagner

Seit meinem 15. Lebensjahr war ich in der Weltgeschichte unterwegs, mit 26 war es Zeit sesshaft zu werden. – Josef Steffner, mittlerweile 43 Jahre alt, sitzt mitten in Mauterndorf auf uralten Steinstufen und blinzelt in die Sonne. Rundherum atmet alles Geschichte. Der verwinkelte Ortskern, die gepflasterten Straßen, die alte Burg und auch Josef Steffners Mesnerhaus, das seit 1420 sämtlichen Unbillen der Zeit inklusive Feuersbrünsten trotzte bevor es vor 30 Jahren ein kulinarisch affiner Baumeister vor dem Ruin bewahrte.

Respektvoll näherte sich Architekt Volkmar Burgstaller dem historisch gewachsenen Haus, und baute hinter der denkmalgeschützten Fassade ein Restaurant, in dem Tradition und Eleganz eine Symbiose bilden ohne dabei altbacken zu wirken. Hier passt jedes Detail. Die alten Kastenfenster zum Holzboden für den eine ganze Ulme verarbeitet wurde, die dunkle Decke aus alten Tramen zu den Bildern von jungen Künstlern.

Wer hier erfolgreich sein will, sollte zunächst einmal fit sein. Immerhin muss das Essen von der Küche im Erdgeschoss über eine nicht ganz unsteile Treppe in die Stuben in den 1. Stock getragen werden. Und er muss einiges an Kreativität mitbringen um die Erfolgsgeschichte des Mesnerhauses nach den beiden Spitzenköchen Franz Fuiko und Gerhard Gugg weiterzuschreiben. Beides hatten Maria und Josef Steffner im Gepäck als sie vor 15 Jahren in ihre Heimat zurückkehrten.

Wir hatten damals auch ein Angebot in der Schweiz, sagt Josef. Aber dann erinnerten sie sich an die Berge, die Wälder, den Himmel und den Geschmack ihrer Jugend. Maria hatte einst hier im Mesnerhaus eine Kochlehre absolviert, während Josef zunächst bei Toni Fritzenwallner in Köstendorf von der Pike auf lernte, alles in der Küche selbst zu machen. Doch das Land und das Leben waren zu eng und die feinen Küchen in fernen Ländern zogen ihn an. Trotzdem, selbst als er im besternten Tristan auf Mallorca mit den besten Luxusprodukten dieser Welt hantierte, musste jeder Freund, der ihn besuchen kam, Speck und Käse aus dem Lungau mitbringen.

Heute gibt es nichts Besseres für mich, sagt Josef, während er die in Molke marinierten Forellenfilets sorgsam auf dem Teller einrollt. Es gibt also heute nichts Besseres, sagt er, als mit Brot und Butter im Rucksack auf den Berg zu gehen. Da ist keine Enge mehr, da liegt ihm jetzt das Leben zu Füssen und er ist zurück zu seinen Wurzeln gekehrt. Auch in der Küche.

Zwei Jahre lang hat er sich abgeplagt und versucht den gehobenen, aber doch recht internationalen Stil seiner Vorgänger fortzusetzen. Dann schärfte er seinen Blick für das Naheliegende. Er grub alte Familienkochbücher aus und setzte sich mit den kulinarischen Lungauer Spezialitäten auseinander. Die Natur ist unser bester Lieferant, sagt Josef, der aus Nackthafer, Eachtling, Pilzen, Beeren und sogar Flechten eine frische moderne Küche kreiert, die auf uralten Traditionen basiert.
Seine Lieferanten kennt Josef Steffner mittlerweile alle persönlich. Auch Birgit und David Gruber vom Ottinggut aus Tamsweg, von denen er die Molke bekommt. Minimolk heißt die kleine Molkerei, für die sich ursprünglich vor 25 Jahren vier Bauern zusammenschlossen, um bessere Schulmilch von den eigenen Höfen anzubieten. Durch diverse Generationswechsel sind jetzt nur noch die Grubers übrig, die aus der Bio-Milch ihrer Kühe in Handarbeit noch Joghurt, Butter und Topfen herstellen. Eine besondere Delikatesse ist das Dinkeljoghurt, für das nur eigenes Getreide genommen wird.

Gleich nebenan vom alten Hof aus 1249 betreibt Bruder Martin Gruber die Ottingmühle in 4. Generation. Bis vor dreißig Jahren gab es noch mehrere Mühlen im Lungau, jetzt ist nur mehr hier die Anlaufstelle für die ganze Region. Bei uns gibt es Qualität, sagt Martin Gruber, und neben den klassischen auch Biomehle aus Dinkel, Roggen und Urgetreide. Außerdem kann man im Mühlenladen noch eigene Mehl-Mischungen für Brot, Palatschinken, Pizza, Kuchen oder Nudeln kaufen, die davor von der ganzen Familie tagelang ausgetüftelt und probiert wurden. Das Getreide kommt ausschließlich aus Österreich aber nur zum Teil aus dem Lungau, weil hier außer Tauernroggen, nur wenig davon angebaut wird.
Hier bestimmt der Erdäpfel – Eachtling genannt – die Landwirtschaft, und das seit über 200 Jahren. Er fühlt sich im Klima zwischen Tamsweg und Mauterndorf besonders wohl. Umrahmt von den Gipfeln der Nockberge im Süden, der Radstädter Tauern im Nordwesten und der Niederen Tauern im Nordosten gilt der Lungau im Winter als Kältepol Österreichs. Die Bergketten sorgen aber nur im Hintergrund für alpine Stimmung, davor liegt die Hochebene auf 1.000 Metern Höhe und zählt zu den sonnenreichsten Gebieten des Landes.

Super für unsere Eachtling, sagt Rupert Kocher vom Schoberhof in Mariapfarr. Seit 1710 ein Erbhof, wurde die Landwirtschaft bereits 1985 von Ruperts Eltern auf Bio umgestellt. Von den zehn Sorten, die als Lungauer Eachtling angebaut werden dürfen, hat er sich auf die beiden vorwiegend festkochenden Ditta und Laura spezialisiert. Die Ditta ist gut für Salat und Erdäpfelpuffer, sagt Ruperts Frau Roswitha. Der Eachtlingkas nach altem Familienrezept wird wiederum besser mit der Laura gemacht. Einfach Sauerrahm mit zerdrückten, gekochten Eachtling, Salz und feingehackter Schalotte cremig verrühren, Winterhecke oder Schnittlauch obendrauf, dazu ein Roggenbrot – da ist schon vieles drin, das den Lungau geschmacklich ausmacht.

Zum Geschmack der Gegend gehört ganz sicher auch Wild. Wenn man sich umhört, wo es denn am besten zubereitet wird, schickt einem hier jeder, wirklich jeder, ins Häuserl im Wald. Das liegt zwar tatsächlich im Wald im Mariapfarrer Ortsteil Niederrain, aber auf einer Anhöhe mit einem atemberaubenden Panoramablick, gegen den jede Postkarte verliert. Hier regiert Familie Miedl, allen voran Barbara Miedl, eine Wirtin mit Herz und Seele. Da in der Stube bin ich aufgewachsen und habe schon mit vier Jahren jedem erzählt, dass ich Wirtin werden will, sagt sie und hinter ihrem warmen Lächeln spürt man ein wenig, mit welch Disziplin sie das Haus zum Schmuckstück gemacht hat.
Begonnen haben ihre Eltern in den 1960er Jahren mit einer Jausenstation. Dann kam die Gaststube dazu, es wurde aufgestockt und als Barbara mit ihrem Mann Bernhard, einem Tamsweger Baumeister, übernahm, wurde ein Restaurant mit 17 Zimmern daraus. Charmant verwinkelt, so wie vieles im Lungau, wo man nicht schnell etwas Neues in die Gegend klotzt, sondern lieber auf alten Substanzen aufbaut. Das wird auch Miedl-Sohn Robert so machen, der nach seinen Lehr- und Wanderjahren in der internationalen Gastronomie heuer zurückkehrte und gleich einmal den Terrassenbereich blick- und schattenfreundlich umgestalten wird.

Nichts ändern wird sich in der Küche. Da werden weiterhin Reh, Hirsch und Gams klassisch zubereitet, die entweder Bernhard Miedl von seiner Jagd mitbringt oder die seine Jagersfreunde liefern. Auch der Zwiebelrostbraten, der Lungauer Rahmkoch und die Schwarzbeerdatschi werden weiterhin so zubereitet, wie es einst Barbara Miedl von ihrer Mutter gelernt hat.

Stück für Stück das eine aufs andere ergeben hat sich auch bei Michael Bogensperger in Pichl, das ebenfalls zu Mariapfarr gehört. Aus 1842 stammt sein Elternhaus, in dem vor zwanzig Jahren sein Vater mit einem Weinhandel begann. Aus Zeitvertreib, damit ihm nicht langweilig wird in der Pension. Dann brauchten die Gäste zum Weinverkosten eine kleine Unterlage, die Bauernstube wurde hergerichtet, und schön langsam wurde aus ein bisschen Sitzenbleiben eine handfeste Kocherei. Weils dem Vater dann doch zuviel wurde, holte er Sohn Michael zurück.

Ich bin kein typischer Landmensch, sagt Michael, der ruhig und gefestigt wirkt, weil er sich trotzdem hier seinen Platz erobert hat. Der Stadt Salzburg gehört irgendwie sein Herz, wo er einst im Pfefferschiff gelernt hatte. Und wo er nach Gastspielen unter anderem im Zürserhof oder im Wiener Novelli, gerade im Stiftskeller Festspiel-Stars wie Anna Netrebko bekochte, als ihn 2007 der Ruf des Vaters ereilte.
Kompromisslos geht Michael in seinem Restaurant, der Stub’n, ans Werk. Es gibt keine Speisekarte, serviert wird nur, was er heute kocht, aus Zutaten, an die er hohe Ansprüche stellt. Oberstes Gebot: die Tiere müssen gut gelebt haben, Fische sind ausschließlich von Leinenfang und überhaupt kauft er das meiste von Bauern mit denen er mittlerweile befreundet ist.

Was anderes esse ich selber nicht, warum sollen meine Gäste was Schlechteres bekommen, sagt er und dass er aber trotzdem kein Anhänger strikter Regionalität ist. Ein ökologisch gefangener Heilbutt kommt genauso in seine Küche wie Olivenöl, der Großteil ist jedoch aus dem weiteren Umfeld. Selbst die roten peruanischen Erdäpfel, die ein Bauer hier seit kurzem anbaut. Jedem einzelnen Teller widmet sich Michael Bogenperger mit Liebe und Bedacht, was natürlich nur in der winzigen Stube mit vier Tischen und sechszehn Plätzen möglich ist. Es sind übrigens hauptsächlich Einheimische, die sich gerne kulinarisch von ihm überraschen lassen.

Weniger filigran, mehr rustikal geht es in Mauterndorf beim Gasthof Weitgasser zu. Hier stehen nicht nur Blunzengröstl oder Kalbsbackerln auf der Karte, es gibt sogar ab und zu Saurüssel. Die müssen wir aber beim Fleischer im Ort bestellen, sonst bekommt man das nimmer, sagt Johann Wallner, der uns deshalb lieber sein Kalbsbackerl-Rezept verrät.

Er hat einst hier im alten Gemäuer, das bereits 500 Jahre am Buckel hat, gelernt und das Wirtshaus vor dreißig Jahren übernommen. Es war schon ziemlich heruntergekommen, sagt Monika Wallner und dass das Herrichten eine Sisyphus-Arbeit war, weil immer irgendwo etwas Neues abbröckelte. Das Haus ist zwar nicht denkmalgeschützt, steht aber im Ortsschutzgebiet, also muss auch die Fassade nach Vorschrift gestaltet werden, damit die mittelalterliche Anmutung von Mauterndorf erhalten bleibt.
Das gilt auch für die alte Stegmühle gleich ums Eck. Als das Ensemble samt Stall, Speicher und altem Wohnhaus aus dem 17. Jahrhundert vor 25 Jahren zum Kauf stand, schlug Richard Wallmann zu. Da hatte er sich längst in diesen fast unberührten Flecken verliebt, an dem das Getöse der Zeit vorbeifließt ohne nachhaltig Lärm zu hinterlassen.

Ein Forstmann war er ursprünglich, aus Salzburg Stadt mit Studien-Abschluss an der BOKU Wien. Nach sieben Jahren im Tiroler Hall und in Achenkirch wurde er vom ÖBF nach Mauterndorf geschickt, von wo man ihn sechs Jahre später nach Hallein weitersiedeln wollte. Doch Richard Wallmann wollte mit seiner Frau und seinen vier Kindern hier bleiben, schmiss den Job, baute stattdessen Biomasse-Heizwerke und widmete sich mit Akribie und Leidenschaft, dem Aus- und Umbau der alten Mühle.

Im ehemaligen Silo hat Tochter Heidrun Rieger heute eine Werkstatt eingerichtet und restauriert in Handarbeit alte Polstermöbel. Auf denen sitzt man auch während einem im angeschlossenen Wohnwaren-Kaffee ihr Bruder Rainer Wallmann Getränke serviert. Hier kann man vom Geschirr über Lampen bis zum Diwan alles kaufen, auch die Destillate und den Whiskey, die Vater Richard nebenan im einstigen Stall brennt und braut.

Es war ein alter Traum von mir, sagt er, vor allem der Whiskey. Und weil Richard Wallmann zu denen gehört, die alles was sie tun mit Gründlichkeit angehen, war bald klar, dass sein Whiskey nur aus Tauernroggen gemacht werden kann. Der wächst schließlich immer schon hier in der Gegend und wird seit fünfzehn Jahren wieder vermehrt kultiviert. Seit 2012 braut er jedes Jahr von November bis Ende Jänner einen Whiskey, der dann mindestens 3 Jahre lang lagern muss, bevor er sich so nennen darf. In kleinen Eichenfässern in denen einst Portwein gereift ist.

1112, heißt der Dreijährige nach den Höhenmetern, auf denen die Mühle liegt. Uisge on Tauern nennt Richard Wallmann seinen Sechsjährigen nach einem alten schottisch-gälischen Wort für Wasser. Dieses sprudelt ja aus den Bergen direkt an der alten Stegmühle vorbei und sorgt für einen Klang der Natur, der einem noch lange wohltuend durchs Gehör rauscht. Und zu dem man immer wieder gerne zurückkehrt. Auch weil man sich in der Ferne gerne daran erinnert, wie gut hier alles schmeckt.

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