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PORTRÄTS
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Murnau
Servus Gute Küche - 1/2020
EINE BAYRISCHE KOSTBARKEIT
Die Schönheit der Landschaft und das besondere Licht rund um Murnau haben immer schon Künstler und Freigeister angezogen. Das setzt sich in der Gastronomie fort, weil man hier allerorts mit Genuss und Leidenschaft ans Werk geht.
Foto © Christof Wagner
Es gibt Winkel auf dieser Welt, bei deren Gestaltung die Schönheit besonders eifrig aufgezeigt hat. Augenschmaus, denkt man sich unwillkürlich, wenn einem in Oberbayern das Murnauer Moos zu Füssen liegt. In satten Farben breitet es sich genüsslich in die Ferne aus, überzieht dabei alles mit diesem unerklärlichen, aber betörenden blauen Schimmer, bis am Horizont die imposanten Bergspitzen des Ester- und des Wettersteingebirges einen pittoresken Rahmen in den Himmel zeichnen.
Hier hat alles Qualität vor allem das Leben, denkt man sich. Und mit einem Schlag versteht man, was die „Blauen Reiter“, also den Künstlerkreis um Gabriele Münter, Wassily Kandinsky und Franz Marc zu Beginn des vorigen Jahrhunderts so magisch anzog. Auch Schriftsteller wie Ödön von Horvath ließen hier ihren Gedanken freien Lauf, bis diese formvollendet ein zeitloses Kunstwerk bildeten. Da verwundert es nur wenig, dass sich Bayernkönig Ludwig II (1845–1886) von der Kraft der Natur rund um Murnau betören ließ und sich als erster Tourist ins Gästebuch schrieb.
Ich sitz oft da, schau übern See auf die Berge und freu mich, dass ich hier arbeiten darf, sagt Michael Bott und nimmt einen Schluck aus dem Kaffeehäferl. Noch ist es ruhig auf der Veranda des Seerestaurant Alpenblick, ein paar Schwäne ziehen stoisch ihre Runden und die Wellen des Staffelsees plätschern leise an den Kieselstrand. Ein, zwei Stunden später wird es hier rund gehen, da werden sich unten im Biergarten die Gäste um Erfrischungen und Imbisse balgen, und heroben im Restaurant um die Tische.
Ich war schon mit 24 Küchenmeister, sagt Michael Bott, ich bin’s gewohnt viel aus der Küche zu kriegen. Das allerdings in bester Qualität, denn der 52-Jährige wurde vor fünfzehn Jahren bei Euro-Toques aufgenommen. Unter Patronanz u.a. von Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann sind dort europäische Köche verpflichtet das kulinarische Erbe zu erhalten, mit traditionellen Rezepten und Zutaten aus der Region. Deshalb kommen im Alpenblick Rinder, Schweine, Hühner und Lämmer von Bio-Bauern im engeren Umkreis, das Wild bringen die Jäger und Zander, Hecht und Renke sind frischgefangen aus dem See.
Wir sind und bleiben ein bodenständiges Wirtshaus mit ehrlicher Küche, sagt jetzt Mama Inge Meißner, die sich zwar schon zur Ruhe gesetzt hat, aber diese nur findet, wenn sie im Restaurant noch ein bisschen herumwuseln kann. Ich bin halt eine Seewirtin, sagt sie fröhlich lachend und läßt im Ton ausnahmsweise das Österreichische mitschwingen. Vom Attersee hat sie einst ins Bayerische geheiratet und vor über fünfzig Jahren die ehemalige Dependance vom Gasthof Post in Uffing übernommen. Sie brachte die etwas heruntergekommene Emanuel-Seidl-Villa mit den typischen Jugendstil-Elementen auf Vordermann und war bald wegen der Küche in der ganzen Gegend berühmt. Für den Sauerbraten nach dem Rezept ihrer Schwiegermutter etwa und für das Schweinsbratl, so wie es ihre Mutter im Salzkammergut gemacht hat. Mama Meißel war es auch die ihren Sohn vermutlich sanft, aber bestimmt, in die Küche schubste.
Ich wollte ja lieber Kellner werden, sagt Michael Bott und dass sich die Leidenschaft fürs Kochen erst im Laufe der Zeit einstellte. Eine Leidenschaft, die er heute an seine Lehrlinge weitergibt, die man von überall her gerne zu ihm zur Ausbildung schickt. Wenn der Funke überspringt, sagt Michael Bott, dann werden’s auch gute Köche.
Leidenschaft ist überhaupt eines der auffälligsten Merkmale bei allen, die sich hier ums leibliche Wohl und den Genuss kümmern. Vielleicht weil die Wertschätzung rundum sehr hoch ist. Vielleicht aber auch, weil sie hier die Freiheit haben auf Traditionen aufzubauen und dabei neue Wege einzuschlagen.
Ich wollte nach dem Abi eigentlich Sport studieren, sagt Michael Krönner, während er Eierlikör-Pralinen einzeln mit einer schwungvollen Schoko-Linie verziert. Doch dann wurde fürs Fernsehen die Geschichte seiner Familie, der ältesten Konditorenfamilie Bayerns, gedreht. 1759 eröffnete der erste Krönner als Lebzelter und Wachszieher einen Laden, heute betreiben seine Nachfahren Konditoreien in Garmisch, Straubing und Murnau.
Beim Film-Dreh habe ich gesehen wie viel Tradition und Handwerk dahinter steckt und wie kreativ man sein kann, sagt der 29-Jährige, der Sport nur mehr privat betreibt und sich zum Konditor und Chocolatier ausbilden ließ. Gemeinsam mit seinem Bruder Max führt er die Schoko-Manufaktur in 11. Generation und steht rank und schlank vor uns, obwohl er jeden Tag Schokolade nascht. In einer Qualität allerdings, die locker mit der Schönheit der Landschaft mithalten kann.
Bereits seine Mutter Monika Krönner hatte ein Netzwerk aufgebaut, bei dem die Krönners direkt bei den Bauern in Süd-Amerika und Afrika Kakaobohnen zu fairen Preisen kaufen. Diese werden bei Feltlin in der Schweiz vor und in Murnau weiter verarbeitet. Mit Milch und Zutaten aus der Gegend macht Michael daraus neue Kreationen wie etwa die Bayerische Biertrüffel mit Murnauer Bier oder Altbewährtes wie die Krönner-Spitze, eine Butter-Trüffel mit Kirschwasser nach einem Rezept vom Ur-Opa aus den 1930ern.
Schräg vis-a-vis hat sich Thomas Eckel ebenfalls sein eigenes Netzwerk aufgebaut. Die zwanzig Bauern in Südamerika, Afrika und Asien, von deren Plantagen er direkt seine Kaffeebohnen kauft kennt er alle persönlich, nur so ist Qualität garantiert. Und da nimmt es der 47-jährige sehr genau. Aber der Reihe nach.
Sein erstes Aha-Erlebnis wie Kaffee schmecken kann hatte er als BWL-Student in einem Urlaub auf Hawaii, als er zufällig bei einem Plantagen-Besitzer hinein stolperte. Da er diesen Geschmack in Deutschland nicht mehr finden konnte wurde Thomas Eckel zum hartnäckigen Teetrinker. Doch der Zufall wollte es, dass er vor fünfzehn Jahren wieder auf einen Kaffeebauern traf, diesmal einen kolumbianischen. Ein Wink des Schicksals, sagt er, und dass er schlagartig wußte, dass Kaffee sein Lebensthema ist.
In einer Zeit in der von Baristas noch keine Rede war ließ er sich vom Wiener Experten Prof. Leopold Edelbauer in die Kaffee-Geheimnisse einweihen, lernte in den USA das Handwerk des Rösters und eröffnete seine eigene Rösterei in Murnau. Diese entwickelte sich langsam zum Kaffeehaus, weil der röstfrische Geruch immer mehr Leute anlockte, die spontan um eine Kostprobe baten. Als dann sogar wegen eines Stammtisches angefragt wurde, bin ich mit der Rösterei ausgezogen und habe den Leuten gesagt, sie sollen einfach ihre Sesseln und Tische hier reinstellen, sagt Thomas Eckel. Seither werden zu seinen grandiosen Kaffeemischungen noch selbstgemachte Torten und Kuchen seiner Frau angeboten.
Ein Aha-Erlebnis machte auch Hans Neuner zu dem, was er heute ist: Ein Gemüse- und Kräuter-Guru zu dem man von nah und fern pilgert. Der gelernte Zierpflanzen-Gärtner hatte 1995 die kleine elterliche Landwirtschaft übernommen und zu einer Gärtnerei umgebaut, wo er auch Kräuter anpflanzte. Als seine Frau eines Tages auf ein gekauftes Bio-Spitzkraut allergisch reagierte, ging er in den Schupfen, entsorgte sämtliche Pflanzenschutzmittel und stellte auf vollkommen natürlichen Anbau mit effektiven Mikroorganismen, kurz EM, um.
Ich bin besser als Bio, sagt Hans Neuner mit dem festen Brustton der Überzeugung, und dass er mit dieser Methode, seinen Boden fruchtbarer gemacht, den Schädlingsbefall reduziert hat und CO2-neutral arbeitet. Ich ziehe auch meine Samen selber, daher weiß ich, dass nirgends Chemie drinnen ist, sagt er während wir durch üppiges Grün mit 16 verschiedenen Minzearten schlendern. Eine Wildnis aber eine gezähmte, in der auch alte Gemüsesorten prächtig gedeihen. Baumspinat etwa, der früher überall in Deutschland wuchs, grüner und roter Amaranth oder Carosello, ein italienisches Gemüse, das man als Melonengurke kennt.
Das Klima ist günstig, sagt der 50-Jährige, weil es wegen des nahen Moors im Winter keine brutalen Fröste gibt und sich die Nebel wie eine Daunendecke über die Landschaft legen. Selbst die Schnecken machen einen Bogen um Hans Neuners „Garten Eden“, der übrigens nichts Biblisches an sich hat. „Adem“ lautet schlicht der alte Hofname, den der Mann mit dem grünen Daumen in Eden umgewandelt hat.
Der Hans hat auch unseren Kräutergarten hinter der Kirche angelegt, sagt Thilo Bischoff mit dem wir jetzt vor seinem Wirtshaus am Rande des Moors sitzen. Ähndl sagen die Murnauer zum Ramsacherkircherl, das hier seit dem 9. Jahrhundert steht. Nicht ganz so alt aber auch recht sehr, ist die alte Einkehr, die heute Bischoffs Ähndl heißt. Oben hat die Bäuerin gewohnt, unten war der Stall, sagt Thilo Bischoff, während er sich in der winzigen Küche ans Tatar vom Werdenfelser Rind macht. Dann wollten plötzlich Wanderer Käse und Schinken jausnen, aus dem Stall wurde eine Stube und seit 50 Jahren ist es eine Gastwirtschaft. Als diese zu pachten war, schlug der gelernte Koch vor sechs Jahren zu und machte sich selbstständig.
Typisch Bayerisches wird in der alten Stube und dem schattigen Garten serviert, Krustenbraten vom Wammerl (Schweinebauch) zum Beispiel, oder Kalbskopf und sogar Lüngerl (Beuschel), das man nur mehr selten auf Speisekarten findet. Ich nehme klassische Rezepte und verfeinere sie für den heutigen Geschmack, sagt der 45-Jährige. Deshalb wird zu seinem Beef Tatar auch ein Eis aus Senf oder Meerrettich serviert. Der gebürtige Hessener wollte eigentlich Musiker werden, legte aber dann als Koch eine steile Karriere hin. Bereits mit 27 heimste er seinen ersten Stern ein, den er bis 2014 im Restaurant des Alpenhof Murnau hielt.
Mit Christian Bär, dem heutigen Direktor vom Alpenhof ist er nach wie vor freundschaftlich verbunden. Überhaupt arbeiten die Wirte hier gut zusammen, weil gemeinsam mehr zustande kommt. Man kennt sich, man unterstützt sich gegenseitig und seit vier Jahren dürfen in den Gasträumen dieser sogenannten Kunstwirte junge Künstler ihre Werke ausstellen. Die passen halt nicht immer so gut ins Ambiente, sagt Thilo Bischoff mit leicht kritischem Unterton und zuckt mit den Schultern. Immerhin steht vor seinem Lokal eine Holzstele aus so einer Kunst-Aktion. Die hat gepasst, sagt er er, also hab ich sie gekauft und behalten.
Der Alpenhof ist nur einen Steinwurf vom Ähndl entfernt und so etwas wie eine Hotellegende aus den goldenen siebziger Jahren. Ursprünglich wie ein US-Motel konzipiert, weil einst eine Autobahn hier geplant war, die gottlob niemals kam, war es das einzige Hotel der Familie Haub, die mit den Tengelmann-Warenhäusern Geld machten. Ab den 1990er Jahren verpassten sie mit dem Haus genauso den Anschluss an die neuen Zeiten wie später mit den Kaufhäusern. Die direkt beim Moor gelegene Anlage begann vor sich hin zu marodieren bis man vor acht Jahren Christian Bär zu Hilfe holte.
Der gebürtige Murnauer war nach der Gastgewerbe-Schule in Gastein in schillernden Häusern als Manager tätig, u. a. im Wiener Sacher, im Kitzbüheler Tennerhof und in der Post in Lech am Arlberg. Er verpasste dem Hoteljuwel sukzessive neuen Glanz ohne ihm den alten Charme zu rauben. Wir sind hier ein Geheimtipp für naturnahen Urlaub, sagt der 49-Jährige, der nach dem Abgang von Thilo Bischoff das Restaurant neu konzipierte, von Sterneniveau auf regional geradlinig.
Neben internationalen Gerichten wird vor allem bayerisch bodenständig gekocht mit Zutaten vorwiegend von Lieferanten aus Murnau und Umgebung. Außerdem habe ich mit meinem Bruder ein Jagdrevier, sagt Christian Bär, da kommt das Wild gleich direkt in unsere Küche. Auch in die von Michael Bott drüben im Alpenblick, der gerne bei ihm etwas bestellt. Und beim Rind geht nichts über die Riegseer Weideochsen vom Georg Mayr, sagt Christian Bär mit leuchtenden Augen bevor er kurz im Weinkeller verschwindet, der übrigens der siebentgrößte in ganz Deutschland ist.
Wenn regional, dann richtig, sagt Georg Mayr, und präsentiert uns mit einer gehörigen Portion Stolz in der Stimme seinen Stall, der wie ein Palast in der grünen Wiese steht. Komplett aus Holz, das bei Vollmond in seinen Wäldern geschlägert wurde, hat er ihn mit Handwerkern aus der Gegend erbaut und so ausgestattet, dass seine 120 Ochsen frei laufen können und größtmöglichen Komfort haben. Selbst das Dach ist mit einer automatische Steuerung für Wind, Wetter und jede Temperatur ausgestattet.
Seit 1527 ist der Hof in Riegsee in Familienbesitz, auf dem Georg Mayr vor sieben Jahren der Milchwirtschaft ade gesagt und auf Premium-Ochsenfleisch umgesattelt hat. Am Anfang ist es zäh angelaufen, sagt der 50-Jährige mit einem so entschlossenen Blick, als würde er innerlich die Ärmel aufkrempeln. Vor allem die Ganztier-Verwertung sei für Köche und Wirte eine Herausforderung gewesen. Mittlerweile sind Spareribs, Ochsenschinken und -Burger überall in der Gegend gefragt. Wir machen sogar Ochsenkaser, sagt Georg Mayr, also Käsekrainer aus Ochsenfleisch mit Bergkäse.
Auf Pinzgauer, Fleckvieh und Murnau-Werdenfelser Rinder hat er sich spezialisiert, weil die gut ins Gelände passen. Sie kommen sofort rauf auf die Alm, wenn der Winter vorbei ist. Dort grasen sie dann mit einem der schönsten Panoramablicke in ganz Bayern. Direkt auf die Zugspitze und übers Murnauer Moor, das nach dem Abendrot in allen Blautönen schimmert. Dann wenn das Wasser über den Gräsern verdunstet und diesen Winkel mit den schönsten Blautönen der Welt überzieht.