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Smaragde

Servus Magazin - August 2012

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AUF DER SUCHE NACH DEM GRÜNEN STEIN

Das Pinzgauer Habachtal birgt einen ganz besonderen Schatz. Es ist die einzige Region Mitteleuropas, wo Smaragde zu finden sind. Wir waren mit „Stoasuacha“ Alois Steiner in den Bergen.

Foto © Philipp Horak

„Do“, sagt der Lois, „do is er! Der hat uns finden wolln.“ Wir stehen in einer steilen Geröllhalde auf etwa 1.500 Metern Seehöhe. Stehen ist eigentlich übertrieben. Wir haben mit unseren Schuhen eine kleine Kerbe ins lockere Gestein geschabt und uns aufrecht im Gelände festgekrallt. Mit dem Rücken zur Wand sozusagen und wenn der Blick über die Schuhspitzen hunderte Meter senkrecht nach unten wandert, landet er abrupt auf den sanften Almwiesen des Habachtales. Vis-a-vis zeichnen einige Dreitausender der Hohen Tauern, wie der Breitfuß und die Habachspitze, scharfe, weiße Schneezacken in den blauen Sommerhimmel. Links grüßt der mit 3.243 Metern höchste Berg der Gegend, der Hohe Fürleg, und da, wo wir jetzt gerade versuchen die Bergwelt zu begreifen, wirft hinter uns der 3.022 Meter hohe Larmkogel seinen langen Schatten aufs Geschehen.
Hier in der Leckbachrinne hält der Lois jetzt einen kleinen, etwa 3 Zentimeter langen, grauen Stein in die Höhe und freut sich wie ein Kind, weil er zwei winzige grüne Zacken hat. Es geht immer nur ums Suchen und ums Finden, sagt er, weil reich wirst mit den Steinen sowieso nicht. Aber wennst einen Smaragd findest, sagt der Lois, und sei er noch so klein, dann ist es ein ganz besonderes Gefühl. Dann packt dich einfach das Fieber, dann kannst nicht so leicht wieder aufhören.
*
Um acht Uhr früh sind wir von Bramberg aus ins Habachtal aufgebrochen, das unter Mineraliensammlern einen ganz besonderen Ruf hat. Hier lassen sich nicht nur außergewöhnliche Bergkristalle, Sphene und Quarze finden, hier gibt es auch das einzig nennenswerte Smaragdvorkommen in Mitteleuropa. Der „Habacher“ wird der Smaragd liebevoll genannt und angeblich, so erzählt man sich gerne in der Gegend, haben schon die alten Römer den edlen Stein hier abgebaut. Das bezweifeln nicht nur Historiker sondern auch Alois Steiner aus Steinach, den sie nach seinem Hof auch den Tallinger-Lois nennen und der, wie man hier sagt, ein „Stoasuacha“ ist. Wie schon sein Vater und wie jetzt auch sein Sohn Andreas.
100 Jahre Steine suchen in der Familie haben sie voriges Jahr gefeiert, denn genau 1911 hat sein Vater, ebenfalls ein Alois, als kleiner Hiatabua zufällig seinen ersten Kristall auf der Seebodenalm gefunden. Zwanzig Jahre später war der Vater dann an einem spektakulären Rauchquarz-Fund am Breitfuß beteiligt.
Die Steine, sagt der Lois, haben den Vater zeitlebens nicht mehr losgelassen. Nicht nur wegen des bissel Geldes, mit dem er sich den kargen Almalltag aufgebessert hat. In den Bergen willst allein sein, sagt der Lois, und der Vater, der war oft in den Bergen. Richtig betteln habe er müssen, dass er ihn einmal mitnimmt. Fünf Jahre war der Lois da alt und fand auch gleich seinen ersten Rauchquarz. Ab da nahm ihn der Vater jeden Sommer mit zum Geberge-gehen, also zum Heumachen hoch droben auf den Almen, mit dem sich die Steiners als Knechte ihr Zubrot verdienten. Eine Kuh im Jahr konnte man sich mit der Arbeit leisten, sagt der Lois, und nur wenn das Wetter schlecht war, hatte man ein bissel Zeit zum Steine suchen. Und die Sedlalm, auf der Vater und Sohn früher mähten, liegt in unmittelbarer Nähe der Leckbachrinne, dem einzigen Gelände des Habachtales, in dem die Smaragde schlummern.
Vor 150 Millionen Jahren sind die Alpen entstanden, sagt der Lois, der jetzt 72 ist und sich im Laufe der Jahre ein umfangreiches geologisches Wissen angeeignet hat. Vor 30 Millionen Jahren dann haben zwei Gebirge metamorphiert, also sich unter gewaltigen tektonischen Kräften zermartert, und das Innerste ist jetzt das Oberste, einfach ausgedrückt natürlich. Dadurch entstanden Hohlräume und Klüfte, die sich mit heißen, mehr oder weniger stark mineralisierten Lösungen füllten, die beim Abkühlen kristallisierten. Und weil in der Leckbachrinne seinerzeit Chrom mit im Spiel war, färbten sich die Kristallsteine grün, wurden also zu Smaragden.
Der Leckbach, der irgendwo hoch droben aus dem Berg seinen Weg ins Freie findet und die tausend Meter ins Tal in der Direkten nimmt, trifft gleich hinter dem Gasthof Alpenrose auf die Habach. Immer wieder bringt er dabei kleine grüne Steinchen mit, weshalb man für die Hobbysucher hier einen Smaragd-Waschplatz mit Sieben eingerichtet hat. Wie beim Goldwaschen wird das Gestein aus dem Bach geschürft, geschüttelt und unter Wasser ausgeklaubt. Wer Glück hat, biegt am Ende des Tages seinen krummen Rücken wieder grade und kommt mit einem edlen Souvenir nach Hause.
Wir aber erklimmen mit dem Lois von dort aus so wie einst die Sedlalm, um dann in die Leckbachrinne einzusteigen. Das geht nur mit einem Bergführer, sagt der Lois, sonst würden sich die Touristen unabsichtlich gegenseitig mit dem losen Geröll erschlagen. Und mit leichtem Gepäck, weil mehr als ein Eispickel und ein kleines Kratzerl zum Schürfen ist gar nicht erlaubt. Früher hat es weniger Reglementierungen gegeben, sagt der Lois, obwohl auch damals das profitmäßige Suchen mit schwerem Gerät nur mit Genehmigung ging. Seinem Vater habe man 1934 einen großen Bergkristallfund abgenommen, den man ihm aber wieder zurückgeben musste, weil er ihn ohne Werkzeug gefunden habe. Die Berge gehören doch allen, sagt der Lois, und was sie dort finden auch. Habgier, Neid und Missgunst schaden hier droben nur. Und der Smaragd, sagt der Lois, der verzeiht dir sowieso keine Unehrlichkeit.
1957 war es, sagt der Lois, da tauchte plötzlich der Kärntner Herman Krautzer mit einem riesigen Smaragd auf. Auf 4 Millionen Schilling und mehr wurde der „Stern aus dem Habachtal“ damals geschätzt, nur die einheimischen Steinesucher blieben skeptisch. Vielleicht war er aus Russland oder aus Kolumbien, sagt der Lois, so etwas Großes findest bei uns nicht. Krautzer jedenfalls gab den Fund einem Wiener Edelsteinschleifer zum facettieren und bekam ein paar grüne Glassteine zurück. Zwei Jahre dauerte der Prozess der beiden Herren, der weltweit Aufmerksamkeit erregte und Glücksritter sonder Zahl ins Alpental trieb. Dem listigen Schleifer konnte jedenfalls kein Betrug nachgewiesen werden, Hermann Krautzer fand später noch paar Smaragde in der üblichen Größe und die vielen Jäger nach dem schnellen Glück verließen das Tal bald wieder.
Wennst den Smaragden zum Nachjagen anfangst, sagt der Lois, ist das schlecht. Unter Druck sieht man nämlich nichts, und ja, auch in seinem Leben hat es ein paar Jahre gegeben, da war er mehr Jäger als Sucher. Da wollte er was beweisen, sagt der Lois, und genau da habe er überhaupt nichts gefunden. Erst als er losgelassen hat, ist es wieder gelaufen. Die Freiheit, sagt der Lois noch, habe ihm immer am meisten gegeben im Leben. Und die habe er nur in den Bergen gefunden.
Da horch, sagt der Lois jetzt, ein Regenpfeifer, der kündigt das schlechte Wetter an. Und da schau, ein Kranewitt, den nimmst zum Desinfiszieren. In engen Serpentinen schlängelt sich der schmale Pfad in die Höhe, ab und zu steht eine Kuh im Weg, die vom Lois mit sanften Worten zum Platzmachen überredet wird. Vorbei geht’s an der „großen Lärche“, dem wohl ältesten Baum im Tal. Schon vor 150 Jahren hat man den mächtigen Baum so genannt, unter dem damals die Lastenträger ihre erste Rast gehalten haben. 1862 nämlich erstand der Wiener Samuel Goldschmidt das Gebiet und ließ auf über 2000 Metern Höhe einen Stollen in den Berg treiben, um Smaragde im größeren Stil abzubauen. Bis zu 100 Kilo schwer waren die Kraxen der Träger mit den Gerätschaften für den Bergbau, bei der großen Lärche war gerade einmal ein Viertel ihres Aufstiegs geschafft.
Nach Goldschmidts Tod im Jahr 1871 erlebte die Mine in luftiger Höhe nicht immer ehrenhafte Zeiten unter den unterschiedlichsten Besitzern. Von fahrlässig betrügerischen Verwaltern ist nachzulesen, von schweren Verschuldungen, von Enteignung im 2. Weltkrieg bis zur Rückgabe an den rechtmäßigen Besitzer Max Gaab aus München, dessen Erben noch heute die Eigentümer sind. Auch unter den von der Familie Gaab beschäftigten Aufsehern gab es immer wieder Streitereien, gegenseitiges Misstrauen und eine Gier, die so manchen an den Rand des Wahnsinns trieb. Der letzte, sagt der Lois, hat sich gar ein paar Wochen in dem Stollen eingeschlossen. Dann ist er regelrecht ins Tal gestürzt, weil er sich von Dämonen verfolgt gefühlt hat. Kurz danach hat er seinem Leben ein Ende gesetzt.
Wir sitzen mittlerweile auf der Sedlalm auf großen flachen Steinen, die im Märchen gut und gern einem Riesen als Tisch dienen könnten. Im wirklichen Leben waren sie das Dach von einem kleinen Holzverschlag, in dem der Lois früher seine Sommer verbracht hat. Dem Himmel ganz schön nahe, denkt man sich, während man versucht noch weiter droben den Einstieg in den Smaragdstollen auszumachen, in dem der Lois seit über zwanzig Jahren die Erlaubnis zum Schürfen hat. Oft sei er da drinnen gewesen, sagt der Lois, auch über mehrere Tage. Das letzte Mal aber, das hätte ihm nicht gut getan. Nicht körperlich sondern seelisch. Da sei etwas da oben, das er nicht orten kann. Eine Strahlung vielleicht, die sich aufs Gemüt schlägt und die den Blick auf die Realität verzerrt.
Seither geht er jedenfalls nicht mehr rauf, sagt der Lois, dessen Blick sich jetzt hinter dem Wildkogel irgendwo über Tirol verliert. Vielleicht gibt es ja auch eine übersinnliche Welt, die wir nicht wahrhaben wollen, sagt er dann nach langem Schweigen. Schließlich habe das Leben ihm ja auch immer die richtigen Menschen geschickt. Den Bauerndoktor dahinten in Kirchbichl zum Beispiel, der ihm mit Achtzehn nur in die Augen geschaut und eine korrekte Diagnose samt Therapie mit Naturheilmitteln erstellt habe, nachdem ihm die Schulmediziner nur mehr ein paar Monate zum Leben gegeben hatten. Oder den Professor vom Naturhistorischen Museum in Wien, mit dem er oft in den Bergen war und der ihm so viel über die Steine gelehrt hat. Oder den Smaragd-Schleifer aus der deutschen Edelsteinstadt Idar-Oberstein, der ihm gezeigt hat, wie man das Feuer des grünen Steins erwecken kann. Und die Einschlüsse am besten versteckt. Lupenrein ist nämlich kein Habacher, durchs perfekte Schleifen kann man ihn aber augenrein, also ohne sichtbare Risse und Einschlüsse ganz klar hinbekommen. Der größte Smaragd vom Lois war übrigens 4 Zentimeter lang, 1 Zentimeter dick und hatte 127 Karat. Sein spektakulärster Fund aber war ein zweistufiger Mutterstein mit einem Smaragd und vier Aquamarinen drauf. Der steht noch genauso in seiner Sammlung, wie er ihn vom Berg geholt hat. Den verkaufe er nie, sagt der Lois, nur wenn er keine Hand mehr habe zum Steine suchen und nichts mehr zum Essen.
Verkauft hat der Vater jedoch seinerzeit den ersten Smaragd den der Lois mit 10 Jahren gefunden hat. Um sagenhafte 650 Schilling, die er nicht verludert habe, sagt der Lois. Den nächsten großen hat er dann gegen eine Ziehharmoniker eingetauscht, ansonsten hätten sie oft nicht einmal für eine Mundharmoniker gereicht. Die Musik, sagt der Lois, ist nach den Steinen seine zweite große Leidenschaft. Oder vielleicht die dritte, wenn man die Berge als eigene dazu nimmt.
*
Eine Stunde stehen wir jetzt schon in der Leckbachrinne und der Lois schaufelt unermüdlich lockeres Geröll in sein Sieb. Fängt etwas Leckbachwasser auf, schüttelt, rüttelt und wäscht die erdigen Steinchen durch. Ganz grau vom Schlamm sind seine Hände, aufmerksam und konzentriert sein Blick. Man hört nichts außer einem zarten Plng-Plng, mit dem die aussortierten, nutzlosen Steine die Halde hinunter kollern. Und wieder hebt der Lois den Eispickel um ein bisschen Material abzugraben, doch dann hält er mitten im Schwung inne. Jetzt ist es genug, sagt der Lois und packt sein Zeug zusammen. Jetzt will uns kein weiterer mehr finden. Und das Fieber vergeht nur, wenn man weiß, wann man aufhören muss.

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