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Wetterläuten

Servus Magazin - Juli 2015

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DONNERGROLL & GLOCKENSCHALL

Wenn Unwetter Haus, Hof und ganze Ernten zerstören, ist das bitteres Schicksal. Im Tiroler Sölllandl versucht man mit Glockengeläut und Gottes Hilfe das drohende Unheil abzuwenden.

Foto © Mirco Taliercio

Es ist, als hätte sich das Sölllandl extra fein herausgeputzt. Für eine Bewerbung als Österreichs schönste Sommerregion zum Beispiel. Die Wiesen ziehen einen sattgrünen Streifen drunten im breiten Tal zwischen Söll und St. Johann in Tirol, bevor sie ein Stückchen weiter oben vom Dunkelgrün der Nadelwälder abgelöst werden, das wiederum in einer scharfen Kante vom felsigen Grau des mächtigen Wilden Kaiser getrennt wird. Und über all dieser Idylle spannt sich ein tiefblauer Himmel, auf dem lediglich ein paar harmlose weiße Schäfchenwolken herumhopsen. So könnte er ewig dauern der Sommer, denkt man sich, und hängt sicherheitshalber ein „Carpe diem“ hinten dran, denn die Erfahrung lehrt: Im Bergland ist es oft schneller vorbei mit dem Schönwetter, als man denken kann. Geschweige denn, handeln.
Der Großvater, sagt Erna Keuschnigg, der hat auf den Kaiser geschaut und gewußt wie spät es ist. Und natürlich auch, wann das Wetter umschlagen wird. So genau wie er kann die 74-jährige Goingerin das nicht vorhersagen. Aber ein Gespür hab ich schon, sagt sie. Seit 25 Jahren ist Erna Keuschnigg als Mesnerin in Going für das Wetterläuten zuständig – ein Brauch, tief verankert in der hiesigen Volkskultur, bei dem die Grenzen zwischen Aberglauben, Mythos, christlichem Glauben und irdischem Wissen sehr verschwommen sind.
Der Schall unserer Wetterglocke im Kirchturm treibt die Wolken auseinander, sagt Erna Keuschnigg und schaut dabei ganz treuherzig. Daran glaubt hier fast jeder, selbst wenn sich das wissenschaftlich nicht beweisen lässt. Es gab sogar Zeiten, da sind die Tiroler Schützen angetreten, um dunkle Gewitterwolken mit ohrenbetäubendem Geknalle aufzulösen. Auch hier ist statistisch keine Erfolgsquote erhoben. Tatsache ist, dass sie damit die Menschen genauso ins Haus trieben, wie die Glocke, was zumindest ihr Leben bei Unwettern verschonte.
Beim ersten Glockenschlag haben früher die Bauern am Feld die Heugabel weit weg geworfen, damit sie nicht vom Blitz getroffen werden, der ja vom Metall angezogen wird, sagt Erna Keuschnigg. Heute gibt es kaum mehr Feldwirtschaft, nur noch Grasland fürs Vieh, an der Angst vor Unwettern hat sich aber nichts geändert. Wenn sich der Himmel verdunkelt und heftiges Grollen aus höheren Sphären die Menschen ganz klein werden lässt, brauchen sie Schutz und bitten gerne eine höhere Macht um Hilfe. Das ist hier nicht anders als anderswo auf der Welt, hier wird nur zusätzlich die Wetterglocke in Schwung gebracht.
Vier Glocken gibt es im Goinger Kirchturm, fürs Vertreiben von Unwettern ist die „Zwölferin“ zuständig. Sie stammt noch aus dem Jahr 1785 und wurde nicht, so wie beinahe alle Glocken in Österreich, während der beiden Weltkriege eingeschmolzen. Verziert mit Caravaca-Kreuzen mit zwei Querbalken, denen man früher den Schutz gegen starke Unwetter mit Sturm und Hagel zuschrieb, wurde sie zusätzlich bei ihrer Einweihung mit einem Wettersegen bedacht.
Dass der erste Glockenschlag in Going dann rechtzeitig passiert, liegt heute allein in Erna Keuschniggs Verantwortung. Hauptsaison für Gewitter mit unheilvollen Folgeschäden ist von Mai bis September, da darf sie nicht auf Urlaub gehen. Allerdings muss sie nicht mehr wie früher ständig nach Westen oder Süden blicken, ob von dort ein Wetter im Anmarsch ist. Die Mesnerin von heute wird von der Hagelversicherung rechtzeitig per SMS vorgewarnt. Dann macht sich Erna Keuschnigg auf zur Kirche und betätigt zunächst den Knopf für den elektrischen Antrieb der Wetterglocke, etwas später werden auch die anderen Glocken zugeschaltet.
Wenn dann das Wetter trotzdem kommt, sagt sie, habe ich kein schlechtes Gewissen, ich habe ja das meinige getan. Nur einmal hat sie es nicht mehr rechtzeitig geschafft. Der legendäre Tornado, der am 25. August 2012 durchs Tal fegte, war so plötzlich da, dass sie das Gotteshaus erst erreichte, als der Strom schon ausgefallen war.
Die Schäden damals waren enorm, vor allem im benachbarten Ellmau wurden 15 Häuser schwer beschädigt. Auch hier gab’s kein Wetterläuten, weil es keinen Strom mehr gab, was der Ellmauer Pfarrer Michael Pritz zu spüren bekam. Geschimpft haben sie mich, sagt er und wiegt mit bedauerlicher Miene den Kopf hin und her. Und weil er zwar gläubig ist, aber nicht alles glaubt, versuchte er der Sache mit dem Schall auf den Grund zu gehen. Geht nicht, sagt er, das haben ihm die Meteorologen versichert. Das Epizentrum eines Unwetters liegt in 10.000 Metern Höhe und soweit reicht kein Glockenschall. Wenn das funktionieren würde, sagt Michael Pritz, dann würden ja längst in ganz Österreich auf jeder Bergspitze riesige Glocken stehen. Sehr wohl glaubt er aber, dass allein der Glaube Unwetter vertreiben kann. Der Klang der Wetterglocke findet bei Gott Gehör, sagt er, genauso wie die Gebete der Menschen. Die allerdings zum Schutz von Haus, Hof und Ernte sicherheitshalber noch ein paar Rituale zusätzlich pflegen.
Am Pfingst-, Dreifaltigkeits- und am Fronleichnamsonntag gehen wir die Felder mit Weihwasser sprengen, sagt Marianne Foidl, Bäuerin in St. Johann in Tirol. Das hilft, sagt sie, der Bauernhof wurde schon lange nicht mehr von einem Unwetter heimgesucht. Sind dunkle Wolken im Anmarsch, werden schnell ein paar Palmzweigerln angezündet, die extra dafür zu Ostern geweiht wurden. Dann, sagt die Bäuerin, setzen wir uns alle beim Tisch zusammen, zünden die schwarze Wetterkerze an und beten, während der Schall der Glocken die Wolken auseinander treibt. Falsch, kontert Pfarrer Pritz und mag es gar nicht glauben, dass diese an Aberglauben grenzende These selbst in den gläubigsten Familien vertreten wird.
Ob die Wetterglocken zur Warnung oder zur Abwehr drunten durchs Tal dröhnen, hat für Almerer Adolf Bergmann kaum Relevanz. Auf über 1.000 Metern Höhe auf der Schmiedalm sind es andere Zeichen, die ihm ein Wetter ankündigen, allen voran das Kitzbüheler Horn. Hat es einen Huf, sagt er, schlägt’s bald um. Wenn sich dann noch die Kühe vorm Almhaus zusammenrotten und nicht weiter gehen, ist es Zeit seine ganz persönliche Wetterkerze – eine vor zehn Jahren eigens dafür geweihte riesige Osterkerze – und die kleine Madonnen-Statue ins Fenster zu stellen. Solange der Himmel über ihm tobt, geht er Rosenkranz-betend und Weihwasser-sprühend durchs Haus. Ich glaub halt dran, sagt Adolf Bergmann, und führt an, dass immerhin seit 27 Jahren weder Vieh, noch Haus, noch ihm etwas Gröberes durch Unwetter passiert ist.
Ist halt ein Brauch, hat sich Katharina Wurzer vor 25 Jahren gedacht, als sie sich gemeinsam mit ihrem Mann Engelbert als Mesnerpaar in den Dienst der Söller Kirche stellte. Obwohl sie ein bodenständiger Mensch ist, sagt sie, sind ihr sämtliche Zweifel an der Wirkung des Wetterläutens seither vergangen. Dutzende Male haben sich genau über dem Dorf die Wolken aufgehellt, und die dunkle Gefahr ist Richtung Brixental abgezogen.
Dass es im Nachbartal häufiger Gewitter gibt, kann auch Meteorologe Dr. Clemens Teutsch von ubimet anhand von Wetteraufzeichnungen seit 1971 bestätigen. Das liegt allerdings daran, dass oftmals Gewitter von den Kitzbüheler Alpen ausgehend nach Nordosten ziehen und dabei das Brixental passieren. Am meisten blitzt und donnert es aber in Kufstein, das von Söll im Norden durch den Pölven (1.595 m) getrennt ist. Wenn da der Nebel über die Bergkante rüberfällt, sagt Katharina Wurzer, müssen wir schnell sein mit dem Wetterläuten. Wobei die Wurzers die Söller Wetterglocke seit 5 Jahren bequem per Funk vom Küchentisch aus Anläuten können. Vier Männer hat es vor der elektrischen Steuerung aus dem Jahr 1956 gebraucht, um die 3.600 kg schwere Glocke zum Schwingen zu bringen.
Länger als eine Stunde kann man sie seither nicht Läuten, sonst wird der Motor heiß, sagt Engelbert Wurzer, mit dem wir zu Anschauungszwecken die 101 Stufen in die Kirchturmspitze rauf geklettert sind. Beinahe wie bestellt haben das Sölllandl und der Wilde Kaiser in der Zwischenzeit ihr sommerliches Kitschpanorama mit dichten Regenwolken verhängt. Unwetter wird das keines, sagen die Wurzers unisono. Aber die zwei, drei Glockenschläge, die unsereins direkt daneben stehend mit voller Klangwucht gegen die Mauer drücken, können sicher nicht schaden. Vielleicht lockern sie ja nicht nur Unwetter- sondern auch Regenwolken auf, sagt Katharina Wurzer, während wir der Söller Wetterglocke beim minutenlangen Ausschwingen zusehen. Vielleicht aber, sagt sie dann nachdenklich, sind es ja auch nur unsere guten Gedanken, die die Wolken auflösen.

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