News Title
News Title
News Title
PORTRÄTS
PORTRÄTS
Wien Beisltour
Servus Gute Küche - Jänner 2023
EINE KLEINE BEISL-TOUR
Sie gehören zur Stadt wie der Steffl und das Riesenrad: in den Beisln hat die Wiener Küche ihr Zuhause, egal, wie der kulinarische Wind gerade weht. Dazu sorgen ein paar junge Wiener für nachhaltig produzierte Lebensmittel in Spitzenqualität. Wir haben sie und ein vier Beislwirte besucht.
Foto © Christof Wagner
Beginnen wir mit dem Grundsätzlichen, dem Unterschied zwischen einem Restaurant und einem Beisl: ins Restaurant geht man zum Essen, ins Beisl auch. Man kann aber genauso gut nur auf ein Achterl oder Seidl vorbeischauen, sich mit wildfremden Gästen verplaudern, sich Luft über den Zustand der Welt und überhaupt machen und an manchen Tagen so lange abhängen, bis der Wirt sagt: „Sperrstund is…“
Das Wesentliche für ein Wiener Beisl ist also eine Schank, an der man lehnen und sich anhalten kann, und eine heimelige Atmosphäre, weil es historisch immer ein verlängertes Wohnzimmer war. Hierher kam man, wenn man Hunger hatte, weil es daheim ohne Heizung kalt war, blieb man gerne noch zum Aufwärmen länger da. Das erübrigte sich mit zunehmendem Wohlstand ab Mitte des 20. Jahrhunderts und brachte so manch traditionelle Institution um ihre Existenz.
Doch wie der echte Wiener ist auch sein Beisl nicht unterzukriegen. Ob neu interpretiert, alteingesessen, ein bissl schicker oder nur frisch aufpoliert – die Vielfalt ist so grenzenlos, dass es schwer fällt ein paar wenige heraus zu picken. Es musste für diese Geschichte jedoch sein, selbst wenn einem bei manchen der hier Unerwähnten das Herz blutet. Der Meixner in Favoriten etwa, oder der Seidl im Dritten, der Friedensrichter, die Drei Hacken, der Blauensteiner, der Winklers zum Posthorn undundund…
Übrigens: auch wer ein Gasthaus im Titel trägt kann von den Wienern liebevoll zum Beisl gekrönt werden. Das Essen muss halt gut und bodenständig sein, täglich ein günstiges Menü auf der Karte stehen und wenn der Schmäh rennt, wäre das auch recht fein. Grob unterscheidet man vier Kategorien: Vorstadtbeisl, Nachbarschaftbeisl, Familienbeisl und Edelbeisl.
Von der Peripherie, sprich Vorstadt aus, hat es sich mittlerweile in der ganzen Stadt herumgesprochen, dass das Stern die weite Reise mit dem 71er oder der U3 wert ist. Mitten in Simmering knapp vorm Zentralfriedhof hat Christian Werner vor 13 Jahren das alte Pistauer übernommen. Ich wollte es nicht klassisch mit meinem Familiennamen taufen, sagt der 39-jährige. Weil er sich kurz davor einen Stern tätowieren hat lassen, heißt sein Lokal jetzt auch so. Er entfernte gleich einmal das Resopal und den Teppich, legte den alten Holzboden und die Lamperie frei. So bekam das Stern sein ursprüngliches Flair wieder zurück, ergänzt durch ein paar Krickerln an den Wänden. Diese sind der jüngsten Leidenschaft von Christian Werner geschuldet. Ich hatte überhaupt nichts mit der Jagd am Hut, sagt der gebürtige Simmeringer. Als er sich aber einen Münsterländer zulegte und ohne Leine spazieren gehen wollte, musste er ihn zum Jagdhund ausbilden und dafür den Jagdschein machen. Ob Rehwild, Rotwild, Wildschwein oder Hase, sie alle landen jetzt in seiner Küche und werden zur Gänze verarbeitet. Sogar Wildhasenleber wird dann serviert.
Es war seine Innereienküche gepaart mit Altwiener-Spezialitäten, mit denen er von Beginn weg die Gäste in sein Vorstadtbeisl lockte. Damit lag Christian Werner genau am Puls der Zeit, beides erlebt seit fast 20 Jahren eine Renaissance. Für ihn war diese Küche immer eine Selbstverständlichkeit, hatte er sie doch von klein auf im Beisl seiner Eltern drei Gassen weiter mitbekommen. Trotzdem wollte er lieber Architekt werden, weil es aber auf der HTL gerade keinen Platz gab, schrieb er sich für ein Jahr in der Gastro-Schule am Judenplatz ein.
Dort ist der Funke übergesprungen, sagt Christian Werner und dass ihn seine Lehrer, der legendäre Franz Zodl und Helmut Deutsch, für die echte Wiener Küche begeistern konnten. Deshalb hat er auch heute Sachen wie Gebackene Stubenmadlfüße – ein Schweinshaxlsulz in Scheiben geschnitten und rausgebacken – manchmal auf der Karte stehen. Natürlich probiert er auch gerne Neues aus und gibt so manch Klassikern einen außergewöhnlichen Twist –Leberkäs vom Wildschwein zum Beispiel, oder Wildhasen-Ravioli. An anderen Traditionsrezepten wiederum wird nicht gerüttelt. Das Beuschl oder das Gulasch werden serviert wie annodazumal, so hat er das schließlich in seiner Lehrzeit im Sacher gelernt. Auch die Schnecken gibt es im Stern ganz klassisch in Kräuter-Knoblauchbutter.
Diese kommen natürlich vom Wiener Schnecken-Papst Andreas Gugumuck. Er gehört zu einer feinen Riege von Wiener Produzenten, die sich auf alte Traditionen besinnen und mit Einfallsreichtum und neuen Methoden die Millionenstadt mit guten Lebensmitteln versorgen. Die Wiener haben die Schnecken früher im Stanitzel gegessen, sagt Andreas Gugumuck, der auch weiß, dass die Franzosen sie erst beim Wiener Kongress als Delikatesse entdeckten und daraus eine Art Nationalgericht machten.
Andreas Gugumuck hat vor 14 Jahren beschlossen den Bauernhof, der seit Jahrhunderten in Familienbesitz ist, am Rande von Favoriten zum Schneckenparadies umzubauen. Mit Herzblut und Engagement verhalf er den gesunden Tierchen – viermal mehr Eiweiß als Rindfleisch – zu neuer Popularität. Um seine Schnecken aus Bio-Zucht, die in Handarbeit ausgenommen werden, reißen sich Wiens Spitzenköche genauso wie die Beislköche. Was übrig bleibt wird direkt am Hof zu Schneckensugo oder etwas extravaganter zu Schneckenleberkäs, Mousse oder gar zu Eis verarbeitet.
Auch Erwin Gegenbauer hat aus der Favoritener Essiggemüsefabrik seiner Vorfahren hinter dem Hauptbahnhof etwas Neues, man könnte sagen eine Art urbanen Bauernhof, gemacht. Vor dreißig Jahren ließ er Essiggurkerl und eingelegte Paprika sein und spezialisiert sich auf Essige in so guter Qualität, dass sie in Spitzenküchen rund um den Erdball verwendet werden. Sie reifen in Glasballons und Holzfässern im Keller, wo es auch eine kleine Aquaponic-Station gibt, in der Goldfische für die Nährstoffe von Salatspinat sorgen.
Im Industriehof wird in ausrangierten Fässern Gemüse angebaut, auf dem Dach ernähren sich Bienenvölker von den süßen Resten alter Balsamicofässer und ein zerschnittenes Essigfass dient den Hühnern als Schatten, die mit dem Trester aus der hauseigenen Speise- und Kernölproduktion gefüttert werden. Dazu wird Bier gebraut, Kaffee geröstet, aus Emmer und Einkorn Brot gebacken und das alles den Gästen zum Frühstück serviert, die in den zehn Zimmern absteigen. Das archaische Fabriksdesign, teilweise mit abgeschlagenen Ziegelwänden, teilweise mit Wänden aus purem Stroh, das von Baudraht zusammengehalten wird, lockt staunendes Architekturpublikum aus aller Welt an.
Auf Kreislaufwirtschaft setzt man auch jenseits der Donau. Dort wo die Stadt Richtung Marchfeld ausfranst haben sich vier Landwirtsöhne vor fünf Jahren unter dem Name blün (für blau und grün) zusammengetan und züchten mittels Aquaponic Welse und ziehen gleichzeitig Gemüse. Dabei wird das Wasser im Fischbecken mittels Bio-Filter gereinigt, die festen Ausscheidungen werden Kompost, mit dem angereicherten Wasser wird das Gemüse bewässert, wieder aufgefangen und so lange verwendet, bis es aufgebraucht ist.
Auch bei Hut & Stiel werden keine Ressourcen verschwendet. Vor acht Jahren haben Manuel Bornbaum und Tobias Hofer begonnen in einem Altbaukeller in Wien Donaustadt Austernpilze auf Kaffeesud zu züchten. Was als Experiment begann ist so angewachsen, dass sie jetzt einen Teil in einem alten Weinkeller in Klosterneuburg ziehen, mit der restlichen Zucht und der Delikatessenproduktion sind sie in die Kleine Stadtfarm mitten in den Donauauen übersiedelt.
Hier war einst der erste Bio-Hof von Wien, sagt Manuel Bornbaum und dass nun 16 Initiativen, vom Gemüsebauern bis zum Sozialprojekt, zusammengefunden haben und das Gelände bewirtschaften. Seine Austernpilze wachsen auf dem Sud von Bio-Kaffee, den ihm vorwiegend die Wiener Pensionistenhäuser liefern. Diese sind neben der Gastronomie die größten Abnehmer und bekommen am Ende des Tages noch die Humuserde aus der Pilzzucht für ihre Blumenbeete.
Ich habe ein Herz für kleine Produzenten, sagt Marion Jambor vom Woracziczky (gesprochen: Woraschitzki) in Margareten. Deshalb habe ich Schremser Bier, sagt sie und lehnt gemütlich an der Holzschank, hinter der auf einer Kreidetafel das Menü geschrieben steht. Und meine Erdäpfel kommen aus dem Weinviertel und der Apfelsaft… Grüß Sie, schauen’s da hinten, da is no ein Platzerl frei…, der Apfelsaft, gehen’s i hab jetzt ka Zeit mehr, i hab was zu tun… Damit entschwindet Marion Jambor zu ihren Gästen, die großteils in der Nachbarschaft wohnen und auf eine persönliche Betreuung pochen. Apfelsaft hin oder her.
Als sie vor dreizehn Jahren das alte Trankler-Beisl übernahm, musste Marion Jambor neben dem heruntergekommenen Inventar auch das feuchtfröhliche Stammpublikum vor die Tür setzen. Das Gemunkel rundum war groß und nicht sehr freundlich. Doch erstens ist sie mit reschem Schmäh ausgestattet, zweitens eine geborenen Wirtin mit jahrelanger Erfahrung in der Szene-Gastronomie und drittens putzte sie das Lokal mit viel Geschmack so heraus, dass man es gern als Wohnzimmer sieht. Dazu gehören Accessoires aus den 50er und 60er Jahren, die die leidenschaftliche Sammlerin überall zusammenklaubt. In der Küche sorgt mit Martin Buzernic ein gestandener Koch für gute Wiener Beislküche vom Backhendl über Schinkenfleckerl bis zu Cevapcici. Und als in den letzten beiden Jahren die Türen zu blieben, kam einmal pro Woche Marions Sohn, Wiens junger wilder Spitzenkoch Lukas Mraz vorbei, um für die Stammgäste Burger zum Mitnehmen zu brutzeln.
Ich war nicht gleich Feuer und Flamme, die Eltern mussten mich überreden, sagt Christian Grünauer vom Grünauer in Neubau. Die Fussstapfen waren auch wirklich groß. Seine Eltern Martha und Martin und dessen Schwester Gitta hatten das Lokal in den letzten vierzig Jahren zu einer fixen Größe für Wiener Esskultur gemacht. Die Gitta und ich sind praktisch hier aufgewachsen, obwohl wir aus dem Burgenland sind, sagt Martin Grünauer und dass das alte Biedermeier-Wirtshaus zunächst die Tante und dann seine Eltern geführt hatten. Als die Geschwister beschlossen den Grünauer 1985 zu übernehmen, war klar, dass auch Martins Ehefrau in der Küche stehen wird.
Ich habe viel von meiner Mutter gelernt, war neugierig, hab Kochbücher gelesen und Kurse besucht, sagt Martha, die den letzten Schliff für Wiener Beislklassiker wie Reisfleisch, Einbrennte Hund und Augsburger mit Gröste dann von der Schwiegermutter bekam. Genauso gab sie ihr Wissen an ihre Schwiegertochter Katja weiter, als sich die Jungen doch entschlossen weiterzumachen. Das Aufatmen der Wiener war da beinahe hörbar, vor allem weil unter Wirt Christian der Schmäh zwar ein bissl anders aber trotzdem so weiterrennt wie unter seinem Vater Martin und Katja sich als ebenso talentierte Köchin wie Schwiegermutter Martha erwies. Mein Einstieg war nicht so leicht, weil es gibt ja so gut wie keine geschriebenen Rezepte, sagt Katja, die jedoch einen ähnlichen Geschmackssinn wie Martha hat. Deshalb schmeckt es genausso wie eh und je, ab und zu steht jetzt ein Wels von blün auf der Karte und die Schnecken werden beim Grünauer in Bierteig gebacken.
Bei Pichlmayer’s zum Herkner wiederum werden sie mit Butter „Café de Paris“ serviert, also einer Kräuterbutter die man mit Kren, Sardellen und Cognac verfeinert. Da draussen in Hernals bei der Endstation vom 43er kam schon immer die etwas bessere Wiener Küche auf den Tisch. Hier zelebrierte einst die Wiener Kochikone Heinz Herkner die hohe Kunst der Hausmannskost, was unter den neuen Wirten Martin Pichlmaier und seiner Frau Christiane in zeitgemäßer Form fortgeführt wird. Da kommen dann auch Flusskrebse mit Schweinsohren und Kalbsbies aus der Küche und das Kaninchen wird von einem Estragonpüree begleitet. Wer will findet aber daneben ein Beuschl und Krautfleckerl auf der Karte.
Wir haben uns in die alte Brettschneider-Schank und die Pawlatschen verliebt, sagt Martin Pichlmaier, der die kultige Stätte vor sechs Jahren übernommen hat. Der Sohn einer Grazer Gastro-Familie kam vor zwanzig Jahren nach Wien und war lange Restaurantleiter bei fabios bevor er seine Idee von einem eigenen Edelbeisl verwirklichte. Dafür hat er sich mit Roman Artner jemand in die Küche geholt, der an der Seite von Kochtalent Peter Zinter bereits die gehobene Spitzenküche kennengelernt hat. Trends kommen und gehen, sagt Roman Artner und kontrolliert, ob die Kerntemperatur des Kaninchens eh nicht 60 Grad überschritten hat, da es sonst zu trocken wird. Trends kommen und gehen, sagt der gestandene Wiener also, die Beislküche aber, die wird es immer geben.