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Nora Tschirner

Red Bulletin – 2009
IM WILDWASSER MIT NORA TSCHIRNER

Was man nicht alles tut. Für eine TV-Sendung versuchte sich die Schauspielerin an einer Eskimorolle und an einem Kajakritt über einen Wasserfall.

„Ohyeahhh, Jipppiieeehhhh!“ Ein Jubelschrei von absolut mitreißender Güte rüttelt die dösenden Strandbesucher am Ufer des Lago Maggiore aus ihrer beschaulichen Ruhe. Im Wasser reißt Nora Tschirner das Paddel so euphorisch in die Höhe, dass der Kajak, in dem sie sitzt, bedenklich zu schwanken beginnt. Alles egal, die deutsche Jungschauspielerin hat zum ersten Mal eine Eskimorolle geschafft und dafür in den letzten Tagen schon so viel Wasser geschluckt, dass noch einmal umkippen auch noch drinnen wäre.

 

„Es ist kein Kraft-Ding“, sagt sie, während sie sich kurze Zeit später aus dem nassen Neopren-Zeug schält, „sondern etwas Mentales.“ Die Krux ist nämlich, dass man aus dem Wasser in einem idealen Zusammenspiel von Paddelschlag und Hüftkick wieder auftaucht. Und, ganz wichtig, dabei nicht versucht den Kopf als Erstes aus dem Wasser zu bringen, was ja der normale Reflex jedes Säugetiers wäre. „Man guckt eigentlich dauernd auf Grund. Gestern war ich die Hälfte der Zeit mit dem Kopf unter Wasser.“ Klingt anstrengend, ist auch anstrengend. Deshalb sieht Tschirner trotz ihres Triumphes, die Rolle zum ersten Mal zur Gänze vollendet zu haben, leicht erschöpft drein.

Seit knapp einer Woche treibt sich die Berlinerin jetzt in den Wildwasserbächen im Schweizer Tessin herum und lernt im Schnelldurchgang sich mit einem Kajak in reißenden Fluten zu bewegen. Nein, der deutsche Star mit der Berliner Schnauze, wird jetzt nicht ins Extremsportfach wechseln. Tschirner hat sich nur auf ein Abenteuer eingelassen, an dessen Ende sie sich samt Kajak über einen 14-Meter-Wasserfall im Maggia-Tal stürzen soll (zu sehen demnächst auf Red Bull-TV). Deshalb logiert sie mit ihrem Lehrmeister, dem König der Wildwasserpaddler, Steve Fisher, in einer 500-Jahre alten Hütte im hintersten Winkel eines Schweizer Tales. Mitten im Wald, ohne Strom. Dafür aber mit Lagerfeuer-Romantik und jede Nacht einen fast kitschig-schönen Sternenhimmel als Belohnung.

 

„Ich habe sehr schnell ,Ja‘ zu dieser Herausforderung gesagt, weil mein Körper dazu positiv reagiert hat“, sagt Tschirner. „Jetzt hab ich schon richtig Blut geleckt.“ Ansonsten sei sie ja mehr so stichprobenmäßig sportlich, gesteht das Stadtkind. Soll heißen: sie kann sich schnell für etwas begeistern, macht das aber dann nicht regelmäßig. Und alles, was einen harten Aufprall inkludieren könnte, mag sie auch nicht sehr. Also Eislaufen, Skifahren auf pickelharten Pisten oder Motocross. Eher schon Fallschirmspringen mit viel Luft drunter oder eben Kajaken mit Wasser drunter. Da findet sie selbst Stromschnellen mittlerweile „supergeil!“.

Im normalen Leben hat die 28-Jährige aber schon gern festen Boden unter den Füssen. Niemals würde sie unvorbereitet zu einer Moderation antreten. Schon gar nicht live, obwohl sie immer spontan und locker wirkt. „Ich bin nur gut, wenn ich mich auf dem Untergrund auf dem ich mich bewege sicher fühle. Nur so kann ich mich dann locker machen, damit meine Schlagfertigkeit anspringt.“ Ein Talent, oder sagen wir vielleicht besser: ein Können, das nicht aus dem Nichts kommt. Dafür muss man oft Fakten pauken, bis sie sich automatisiert haben, so dass man sich im richtigen Moment treiben lassen und spontan reagieren kann.

 

Quirlig im Kopf sei sie schon immer gewesen, sagt Tschirner. Was ihr bei ihrem ersten Job ab 2001 als Moderatorin bei MTV sicher zu Hilfe kam. Dort ging sie zielstrebig aber noch recht unbedarft ans Werk – eine Mischung, die sich im Nachhinein als Glück erwies. Für ihr allererstes Interview sollte sie Superstar Lenny Kravitz gegenübersitzen, was selbst bei alten Hasen im Business Nervenflattern auslöst. Vorbereitet bis auf die Haarwurzeln trat sie an und das unter enormen Druck. Sie musste nicht nur vor Kravitz und sich selbst bestehen, auch die Kollegenschaft lauerte vermutlich darauf, dass der Newcomerin ein Faux Pas passiert. „Und dann kam der nicht daher! Die Zeit wurde irre knapp. Erst nach einer dreiviertel Stunde kam er barfuss, mit einer Häkelweste über der nackten Brust so megacool angeschlendert. Ich war so verkrampft und total konzentriert auf: Ich-MUSS-jetzt-das-Interview-machen...Und dann begann der auch noch mich so spielerisch zu provozieren. Also ich hab ganz schön zu kämpfen gehabt, bis zu dem Moment, wo ich ihn richtig zur Ordnung gerufen habe. ,Herr Kravitz, bitte! Wir müssen doch jetzt dieses Interview...! Und überhaupt!‘ Da platzte bei ihm der Knoten, er musste lachen und es wurde echt lustig. Ich habe ihn dann später noch dreimal getroffen und das war super.“

 

Die gespannte Aufgeregtheit vor Interviews hat sich bis heute nicht gelegt. Allerdings nicht aus Ehrfurcht vor den Stars, sondern weil Tschirner, wenn sie etwas macht, es einfach gut machen will. Man könnte auch Ehrgeiz dazu sagen, der allerdings seine Grenzen hat. Ein einziges Mal hat sie ein Interview abgebrochen, mit der One-Hit-Band Alien Ant Farm. Die hatten das Gespräch mit ihrem unverschämten Star-Getue so boykottiert, dass Tschirner aufstand und ging. Als Scheitern bezeichnet sie das im Nachhinein, und man kann sich denken, dass sie länger daran gekiefelt hat.

„Verdammt!“ Zornig schleudert Tschirner ihre Nasenklammer zu Boden, spuckt Wasser und stiefelt Richtung Wald davon. Einen Tag später hat an einer ruhigeren Stelle des Maggia-Baches auch nach zehn Versuchen die Eskimorolle nicht geklappt. Die muss man aber können, um nach dem Sprung über den Wasserfall unten aus der Gischt wieder aufzutauchen und ans Ufer zu paddeln. Sonst wird man ein Spielball im Wildwasser. „Sie findet ihre Nerven wieder“, sagt Steve Fisher. „Sie ist jung, aber ein Voll-Profi.“ Wie auch immer sie es schafft, die Niederlage zu verkraften und sich neu zu motivieren – eine halbe Stunde später taucht sie lächelnd wieder auf. Ein kleiner Scherz mit der Crew, eine Fehler-Analyse mit Lehrmeister Fisher – und schon ist er wieder da, der Ehrgeiz, es besser zu machen.

Mag sein, dass Nora Tschirner sich selbst etwas beweisen will. Ganz sicher aber, wird sie oft von außen dazu getrieben, etwas beweisen zu müssen. Nach ihren ersten TV-Auftritten, wo sie klaumakhaft rüberkam, wurde sie zum Beispiel häufig für doof gehalten. „Wenn man albern im Fernsehen rumblödelt, glauben die Menschen, dass man so ist. Ich habe nichts gegen Schubladisierungen“, sagt sie, „Aber man muss auch bereit sein, seine Meinung zu ändern.“ Und die änderte sich in der Filmbranche spätestens als sie 2006 für die Sci-Fi-Serie „Ijon Tichy: Raumpilot“, einer Verfilmung der „Sterntagebücher“ von Stanislaw Lem, den deutschen Fernsehpreis erhielt und für den Grimme-Preis nominiert wurde.

 

Als jung, frisch und authentisch wird sie von der Presse bejubelt. „Penible Vorbereitung auf Text und Rolle um möglichst natürlich zu wirken“, sagt sie selbst über ihre Arbeit. Da nimmt man ihr sogar die alleinerziehende Mutter eines 14-Jährigen in „Vorstadtkrokodile“ ab, obwohl sie vom Aussehen her, eher einen Teenager spielen könnte. Und die Rolle als spröde, kauzige Kindergärtnerin Anna an der Seite von Til Schweiger in „Keinohrhasen“ sei für sie überhaupt ein Glücksfall gewesen. „Mir persönlich ist diese Anna ja ein komplettes Rätsel. Ich finde sie beim Angucken total lustig, mit mir selbst hat sie aber überhaupt nichts zu tun. Die Herausforderung beim Arbeiten ist doch, dass man dahin kommt, dass es sich natürlich anfühlt.“ Mit Freuden hat sie sich jetzt diese Rolle ein zweites Mal für den Nachfolgefilm „Zweiohrküken“ angezogen, weil man so eine Chance im Leben nicht oft bekommt. „Zurückzukommen auf etwas, das schon einmal super funktioniert hat ist großartig. Du kennst das Team, deine Rolle und weißt, dass das schon einmal Erfolg hatte.“

 

Mittlerweile ist es finster geworden im Tessiner Maggia-Tal, Zeit das Wildwasser zu verlassen und in die Hütte aufzubrechen. Obwohl man ihr die körperliche Anstrengung ansieht, packt Tschirner überall mit an. Was man benutzt, muss man auch tragen können – keine Spur von Star-Allüren. Es wäre jetzt vermessen, diese Erdigkeit auf ihre Kindheit in Ost-Berlin zu reduzieren. Acht Jahre war sie erst alt, als die DDR sich auflöste. An die Zeit davor kann sich die Tochter eines Doku-Filmers und einer Journalistin nur erinnern, dass sie ein glückliches Kind war. Sie weiß auch nicht mehr, wo sie am Tag des Mauerfalls war. Doch da wird sie demnächst ihre Eltern fragen, das würde sie jetzt schon einmal interessieren „Klar hat sich danach was geändert. Klar hab ich mich auch über die geilen West-Stifte gefreut. Aber für mein Leben war das subjektiv nicht wichtig. Ich war zu jung und als Kind ist es dir doch egal, ob du an den Balaton, an den Wannsee oder nach Papua Neuguinea auf Urlaub fährst.“

 

Ganz früher konnte sie auch am Habitus der Menschen erkennen, ob sie aus dem Osten oder aus dem Westen kamen. Doch das hat sich sehr vermischt, heute würde ihr das schon recht schwer fallen. Nie verändert hat Tschirner allerdings ihren Lebensmittelpunkt. Aufgewachsen in Pankow, wohnt sie noch immer hier, das östliche Zentrum samt Kreuzberg ist und bleibt ihre Heimat. Hier streift sie gerne durch die Gegend und hat Strategien entwickelt, wie sie sich noch relativ anonym bewegen kann. Denn auf der Straße erkannt und angesprochen wird sie immer öfter. „Auch eine Art der Anerkennung“, sagt Tschirner, bevor sie sich zurückzieht, um sich konzentriert auf ihren Kajak-Ritt über den Wasserfall vorzubereiten.

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