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Servus Gute Küche - Herbst 2015

Wirtshaus Bittermann

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IN DER SCHULE ZUM GUTEN GESCHMACK

Adi Bittermann ist gelandet. In Göttlesbrunn. Dort, wo einst Schüler das Abc erlernten, serviert er jetzt das Einmaleins des Genusses. Nicht nur den Gästen, sondern auch dem Nachwuchs.

Fotos © Christof Wagner

Es riecht ein bisschen nach Weinkeller, dazu nach einer dichten, dunklen Sauce, die schon stundenlang vor sich hinköchelt. Ah ja, morsen die Geruchsnerven an die passende Gehirnhälfte, da mischt sich noch ein zarter Hauch von gebratenem Knoblauch dazu. Genüsslich zieht der Mensch den Duft durch die Nase und lehnt sich befriedigt im gediegenen Ledersessel zurück. Es war zuvor nur ein kurzer Moment, der für eine kleine Irritation sorgte. Es war der Moment als Wirt Adi Bittermann durchs Winzerstüberl führte und sagte: „Das war einmal der Turnsaal.“ Oh Turnsaal, reagierte das Gedächtnis, und kramte sofort nach dem typischen Geruch, naja, Sie wissen schon… Die Bilder aber, die die Phantasie extra dazu lieferte, machten sofort wieder gute Stimmung. Da wo jetzt Weinflaschen schön aufgereiht die Wände zieren, stand vielleicht einmal die Sprossenwand. Und dort, wo sich eine Familie nach ihrem Ausflug in Carnuntum labt, war vermutlich ein ganz guter Platz zum Bockspringen.
Aus dem Jahr 1890 stammt das alte Schulhaus in Göttlesbrunn, das nach dem Auszug der Schüler 1970 in ein neues Gebäude leer stand. Denkmalgeschützt zwar, aber ohne richtigen Sinn. Bis 2005 dem damaligen Bürgermeister zu Ohren kam, dass der mehrfach ausgezeichnete Koch Adi Bittermann auf der Suche nach einer neuen Wirkungsstätte ist. Das Haus in der Wiener Würfelgasse, wo wir unser Vickerl’s Lokal hatten, stand vor dem Abbruch, sagt Adi Bittermann, der sich damals sehr für das Alte Jägerhaus im Wiener Prater interessierte. In der österreichischen Gastro-Szene bleibt so etwas nicht lange geheim. Nicht umsonst gibt es das schöne Sprachbild von der Gerüchteküche, die brodelt.
Ich bin nur 30 Kilometer von hier in Mitterndorf an der Fischa aufgewachsen, sagt Adi Bittermann und, dass er sich niemals gedacht hätte, wieder hierher aufs Land zu ziehen. Doch das Angebot war verlockend. Göttlesbrunn stellt ihm das Haus zur Verfügung, für den Umbau der drei Klassenzimmer, eines Lehrerzimmers und des Turnsaals in ein Wirtshaus muss er selber sorgen. Räumlich gab es überhaupt keinen Spielraum, nur eine Vergrößerung der Küche und der Zubau eines Wintergartens wurden genehmigt.
Ein Abenteuer, sagt Adi Bittermann heute zehn Jahre später. Wenn er geahnt hätte, dass sich seine ursprüngliche finanzielle Kalkulation verzwölffachen wird, hätte er sich das nicht angetan. Ein echter Hättiwari also, der zwar dem Koch so manch Kopfhaar kostete, der alten Weinbauregion östlich von Wien jedoch eine einzigartige kulinarische Attraktion bescherte.
Wobei der Koch von Beginn an von den Carnuntum-Winzern kräftig unterstützt wurde. Zwei Jahre lang stellten sie dem Wirtshaus ihre Weine zur Verfügung und gewährten somit eine Art zinsenfreien Kredit. Mittlerweile ist alles abbezahlt, und die Weinbauregion hat in der Vinothek im ersten Stock eine unbezahlbare Plattform. Hier werden die Flaschen zu Ab-Hof-Preisen verkauft und Wirtshaus-Gäste können die Weine gegen ein geringes Stoppelgeld gleich zum Essen trinken. An die 100.000 Flaschen, schätzt Adi Bittermann über den Daumen gepeilt, wurden schon verkauft, weil die Gäste nach dem Essen gerne auch noch was mit nach Hause nehmen.
Das Essen also.
Wer es schafft in einem Wiener Vorstadt-Wirtshaus jahrelang eine Fan-Gemeinde so einzukochen, dass man dem Lokal den Ehrentitel Institution verpasst, der wird natürlich an einem anderen Platz nicht plötzlich die Richtung ändern. Eine ehrliche, geradlinige Landhausküche, sagt Adi Bittermann, war von Anfang an sein Ziel. Kein Kaviar, kein Hummer, aber mit Trüffel und Gänseleber, denn das gehört zu seinem Stil dazu. Und Innereien, weil er dafür schon in Wien berühmt war, und er deshalb in Göttlesbrunn den Donnerstag zum Innereientag erklärt hat.
Ich kann mich nicht verbiegen, sagt Adi Bittermann, und auf einmal japanisch, asiatisch oder sonst wie kochen, nur weil es grad modern ist. Und, sagt er, und muss nur noch schnell eigenhändig der Ausflugsfamilie die Nachspeise, einen Gewürzauflauf mit Traminer-Gelee, servieren, weil die Mitarbeiter auch einmal kurz verschnaufen müssen. Und, sagt er also, ich bin dem Geschmack meiner Kindheit gefolgt. Koch wurde ich aber nur, weil ich musste.
Die Großmutter von Adi Bittermann, eine gebürtige Ungarin, war eine leidenschaftliche Köchin, die bei den Esterhazys in Eisenstadt im Dienst stand. Ihr Sohn, Adis Vater, wuchs dort praktisch unterm Küchentisch auf, konnte sich aber kaum fürs Kulinarische als Broterwerb erwärmen. Er steckte vielmehr alles was er hatte – Interesse und Verdienst – in Motocross-Maschinen, versprach allerdings seiner betrübten Mutter, dass er seinen erstgeborenen Sohn zum Koch ausbilden lassen werde. Dieser aber rebellierte gehörig, wollte lieber Tankwart spielen, als dem Vater zu gehorchen. Erst als ich ein Auto von ihm kaputt fuhr, sagt Adi Bittermann, und ich es ihm bis auf den letzten (damals) Groschen zurückzahlen musste, absolvierte ich eine Lehre im Wiener Rathauskeller und ging auf Saison nach Tirol und Vorarlberg. Wo er zum Glück auf Bettina aus dem Außerfern traf. Nach ein paar Jahren Wanderschaft, fand das Paar schließlich in Wien seine Heimat und Adi Bittermann ganz ohne Zwang zu seiner Berufung.
Vom Vater aber, sagt er, habe ich die Selbstdisziplin gelernt, ohne die ich vieles nicht durchgestanden hätte. Vermutlich auch den Ruhm nicht, der ihn Mitte der neunziger Jahre im recht jungen Alter ereilte, noch dazu in einer Zeit, als man auch hierzulande begann Köche wie Pop-Stars zu feiern.
Es ist ein spannendes, ein goldenes Handwerk, sagt Adi Bittermann heute mit 50, in dem man es weit bringen kann. Diese Erfahrung weiterzugeben hat er sich zur Aufgabe gemacht. Im Gegensatz zum Gros seiner Kollegen, die wegen der strengen Auflagen keine Lehrlinge mehr ausbilden wollen, sieht er es als seine Aufgabe, dem Nachwuchs Wissen und Leidenschaft zu vermitteln. 6 bis 8 Lehrlinge tummeln sich immer in seinem Wirtshaus, mit denen er auch Fleischhauereien, Wurstbetriebe oder Bäckereien besucht, damit die Jugendlichen sehen, wie Lebensmittel entstehen und wo was her kommt.
Nur wenn man etwas versteht, so eine ewig gültige Lebensweisheit, kann man auch gut darin werden. Adi Bittermann zum Beispiel, hat es ziemlich gewurmt, dass er zu wenig von Fleisch verstanden hat. Früher, sagt er, musstest du manchmal draufhüpfen, weil es so hart war. Und wenn du bei einem Fleischer nachgefragt hast, hast du kein Wort verstanden, das war wie eine Fremdsprache. Also hat er sich vor zwei Jahren zum Fleisch-Sommelier ausbilden lassen. Seither besorgt er sich zweimal im Monat einen halben Stier aus einer Schlachterei seines Vertrauens, der dann noch 3 Wochen bei ihm zum Abhängen braucht. Auch beim Schweinefleisch kennt er sich jetzt aus. Das Duroc-schwein, sagt er, hat das beste Fett. Dort wo er es herholt, wird es langsam und nur mit Erdäpfel, Maiskolben und Äpfeln gefüttert. Ohne kraftfutter, selbstverständlich.
Der Hirsch übrigens, der soeben in der Küche zu Wildkrusteln verarbeitet wird, der hatte 140 Kilo und kam aus den Donauauen. Er wird von den Jägern der Umgebung direkt ins Wirtshaus geliefert. So wie auch Rehe, Fasane, Hasen, Schnepfen und natürlich die allgegenwärtigen Wildschweine. Die Rezepte dazu wurden allesamt von Martin Wresnig entwickelt, der seit einem Jahr Küchenchef im Landgasthaus Bittermann ist.
Es war an der Zeit loszulassen, sagt Adi Bittermann. Aber nur den Kochlöffel, muss man gleich dazu sagen. Denn er hat neben seiner Aufgabe als Patron, mit Kochbüchern, Kochkursen, Grill-Seminaren, Lehrlings-Ausbildung und einem Projekt für Arbeitslose ganz schön viel Drumherum zu tun, so dass ihm sicher nicht fad wird. Natürlich war das Loslassen für den Tüftler nicht leicht. Ein Jahr lang habe ich sicher 50 Köche ausprobiert, sagt Adi Bittermann. Knapp vorm Aufgeben versuchte er es noch mit dem Süd-Steirer Martin Wresnig, der bei einem großen Handwerker seiner Zunft, dem Wiener Wilhelm Schnattl, gelernt hatte. Auch bei Lisl Wagner-Bacher, Christian Petz und Gerhard Fuchs stand er am Herd, bevor ihn der Zufall nach Göttlesbrunn führte. Fünf Tage lang, sagt Martin Wresnig, hat mich Adi Bittermann in der Küche ignoriert, nur ab und zu wortlos vorbei geschaut, was ich mache. Dann aber gab es den Handschlag. Von Handwerker zu Handwerker. Der Chef und ich, sagt Martin Wresnig mit ehrfürchtigem Vibrieren in der Stimme, wir haben uns nicht gesucht, aber wir haben uns gefunden.

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