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PORTRÄTS
PORTRÄTS
DIE WILDE KAISERIN
Von Silvia Huber aus dem Tiroler Kaisertal, mit deren Hilfe sogar ich in den Bergen überleben könnte.
© Foto: Peter Podpera
Manchmal trifft man auf Menschen, bei denen einem spontan der Gedanke durchs Hirn blitzt: Mit der/dem möchte ich am liebsten tauschen. Das passiert mir meistens bei Lebensmodellen, deren Basis diametral meiner eigenen gegenüberstehen. Ich bin Städterin und dem Landleben in etwa so gewachsen wie eine Perserkatze die man im Wald in die Freiheit entlässt. Echt keine gute Idee. Trotzdem fasziniert mich das Wilde, das Raue, das Herbe der Natur und die Menschen die mittendrinnen leben und geschickt damit umgehen können. Vor allem wenn es Frauen sind. Frauen wie Silvia Huber, respektvoll die Wilde Kaiserin gerufen.
Allein unsere erste Begegnung hatte das Zeug für beste Bergfilm-Dramatik. Just als wir (Fotograf Peter Podpera und ich) im Kaisertal am Teufelstein vorbei wanderten zeigte die Natur alle Muskeln, schickte Blitz und Donner, Sturm und ordentlich viel Regen auf die Erde. Aus dem ärgsten Gewitter meines Lebens ließ uns Silvia Huber mit dem Hüttenjeep retten. Pitschnass bis auf die Unterhose betrat ich das Hans-Berger-Haus und zog mein Notizbuch aus der Jackentaschen. Es war ebenfalls pitschnass, aufgeweicht und ich war den Tränen nahe. Geh’s sofort trocknen, sagte Silvia und drückte mir einen Föhn in die Hand. Während ich dann eine Stunde lang geduldig Seite für Seite meine Mitschriften rettete, setzte sich Silvia mit einem Tee zu mir. Mit warmer Stimme plauderte sie drauf los, bald mussten wir herzlich lachen und langsam rückte sie meine etwas ins Schiefe geratene Welt wieder gerade.
Wieviele Unwetter, und zwar bei weitem ärgere, sie selbst schon überstanden hatte, kann man wohl nicht an beiden Händen abzählen. Bereits mit fünf Jahren kam Silvia mit ihrem Vater, der steirischen Bergsteiger-Legende Adi Huber, jeden Sommer ins Kaisergebirge, wo sich die Familie um die Naturfreunde-Hütte kümmerte. Die Berge wurden ihre Freunde, das Hochtal ohne Autoverkehr ihre Heimat und die Hütte im letzten Winkel ihr Zuhause. Natürlich wirst du zäher hier in der Abgeschiedenheit, und genügsamer, sagte sie mit leiser Stimme um sofort mit einem ordentlichen Lacher ein „hart, aber herzlich“ nachzuschieben.
Als sie mit 26 das Haus übernahm, gaben ihr die Einheimischen zwei Jahre. Das ist jetzt dreißig Jahre her, in denen sie sich als Wilde Kaiserin ihren Platz in der Talgemeinschaft eroberte, dabei aber entschlossen ihre eigenen Wege ging. Mit eigenen Frauen-Kletterkursen zum Beispiel, weil ihr auffiel, dass sie selbst nur mit männlichen Kletter-Kollegen unterwegs war. Oder mit literarischen Schreibseminaren mitten in den Bergen. Und weil sie selbst eine leidenschaftliche Bücherleserin ist, ließ sie von Bergführern Bücher in wasserfesten Hüllen auf den umliegenden Gipfeln verteilen. Mit einer Notiz für den Finder, dieses Buch nach dem Lesen auf einen anderen Gipfel zu bringen. Bis nach Südafrika, Peru und Nepal sind sie so schon vom Wilden Kaiser aus gewandert.
Im Winter, wenn das Leben im Tal Pause hat, reist Silvia selbst nach Nepal, geht dort auf die ganz hohen Berge, kümmert sich um Sozialprojekte und hat u.a. mithilfe von Spenden einer jungen Nepalesin die Ärzteausbildung finanziert. Bei ihrem Doktorat bin ich fast geplatzt vor Stolz, sagt Silvia, während sie zufrieden mein getrocknetes Notizbuch begutachtete. Dann überreichte sie mir eine der wasserfesten Hüllen ihrer Gipfelbibliothek. Ohne dieser bin ich seither nie wieder auf Reisen gegangen.