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PORTRÄTS
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Der Restlverwerter
Franz Müller hat mit einer einzigen Idee in Kritzendorf eine Wunderwelt erschaffen. Im Überschuss der einen, finden die anderen genau das, was sie suchen.
© Foto: Philip Horak
Manchmal schubst der Zufall jemanden auf einen Weg, den er nicht auf dem Plan hatte. Wenn er diesen dann frohgemut beschreitet, kann aus etwas Kleinem etwas Einzigartiges entstehen. Im Fall von Franz Müller kommt noch eine gute Nase fürs Geschäft und vor allem ein großes Herz dazu.
Herr Müller, Herr Müller, schallt es durch den Raum, wo find ich so einen getigerten Stoff. Atemlos und mit etwas schriller Stimme hält eine Kundin Herrn Müller ein winziges Stofffleckerl unter die Nase. Ein prüfender Blick genügt, dann kommt es wie aus der Pistole geschossen: Halle zwei, Gang eins, sagt Franz Müller und fuchtelt mit dem Arm irgendwo nach links hinten. Ein fragender Blick der Stoffsucherin genügt und mit einem freundlich geknurrten „Na, komman’s mit“ verschwindet Franz Müller irgendwo in seiner kunterbunten Warenwelt.
Einer Welt mit dem schlichten Namen „Textil Müller“, den sich Film- und Theaterausstatter aus ganz Europa hinter vorgehaltener Hand ebenso ehrfürchtig zuraunen wie Schneiderinnen, Taschner, Dekorateure und überhaupt alle, die nach etwas ganz Bestimmten oder etwas Spezielles suchen. In den Hallen in Kritzendorf findet jeder den passenden Knopf, Vorarlberger Spitzen, die schon seit dreißig Jahren nicht mehr erzeugt werden, ein Stück Leder in der genau richtigen Farbe zum Fauteuil, Stoffblumen, Zippverschlüsse und und und, und natürlich Stoffe aller Art. 3.500 Tonnen, sagt Franz Müller, lagern auf dem Gelände in sechs Hallen allesamt aufgestapelt bis zur Decke.
Ich mache mein Geschäft mit dem Überfluss, sagt Franz Müller und dabei blitzen seine Augen ganz munter. Das war aber nicht der Plan, sagt er noch, er wollte nur Selbstständig sein. Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Wieselburg fand er nach Schule keinen Job, also ging er nach Wien und eröffnete in Margareten eine Taschenprodukion. Eines Tages suchte eine Kundin nach Resten von einem bestimmten Strickstoff. Franz Müller besorgte das aus dem Ausschuss der Stofffirma und wusste sofort, daraus läßt sich ein Geschäft entwickeln.
Ein Groschengeschäft, sagt Franz Müller und zwinkert fröhlich mit dem linken Auge, denn das war 1973 und vom Cent noch keine Rede. Einzigartig war es auch, denn niemand tat und tut sich das an. Franz Müller bekommt jede Saison die Restposten von namhaften Designern, Möbel oder Haute Couture genauso wie von Lederproduzenten und allen anderen die Platz in ihren Lagern brauchen, und verkauft das um wenig Geld weiter. Nur 1A-Ware versteht sich, mit Abfällen oder Fehlproduktionen gibt er sich nicht ab.
Es läppert sich, sagt Franz Müller vergnügt, immerhin beschäftigt er heute 81 Mitarbeiter, die ihm alle die Treue halten. Einige haben sich schon als Studenten etwas dazu verdient, anderen sind vor Kriegen geflüchtet und waren hier gerne Willkommen. An seinen letzten Urlaub 1983, kann sich Franz Müller übrigens kaum erinnern. Sowas braucht er nicht. Er lebt lieber hier mitten in seiner Wunderwelt, wo er sich eine kleine Wohnung eingerichtet hat. Mit seinen 15 Katzen, deren feudales Terrain um ein zigfaches größer als seines ist.