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Attersee

Servus Magazin August 2018
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DIE FARBE DES GROSSEN WASSERS

Das Farbenspiel, grandiose Bergkulisse und sein weiches Wasser krönten den Attersee einst zum König der Sommerfrische. Es ist ruhiger geworden, was ihn aber noch ein bisschen schöner macht.

© Fotos: Philipp Horak 

Der See, der hat immer etwas Anziehendes.“ Wir stehen mit Georg Föttinger auf dem Steg vor seinem Hotel in Steinbach und schauen fasziniert auf den Attersee, der gerade versucht einen auf Karibik zu machen. Tatsächlich gelingt ihm dieser tropische Farbmix aus hellgrün mit hellblau so gut, dass wir am liebsten eine Hängematte zwischen zwei Palmen aufspannen würden. Gut, die Tannen oder Eschen rundum würden es auch tun, mit der einmaligen Felskulisse, die den See vor allem im Süden umrahmt kann aber wohl kaum eine der exotischen Inseln mithalten. Und in die Unendlichkeit der Wellen kann man sich hier genauso gut verlieren, dazu ein bisschen träumen und die Gedanken in die Freiheit laufen lassen. 

Die Farbe des Sees hat wohl niemand besser getroffen als Gustav Klimt in seinen beiden Bildern über das Attersee-Wasser. Er wohnte von 1914 bis 1916 im Forsthaus in Weißenbach und soll von dort, so erzählt man sich, mit dem Feldstecher rüber ans andere Ufer geschaut und dabei seine Unterach-Bilder gemalt haben. Bereits etwas früher hat es einen anderen berühmten Künstler in diese Ecke des Sees gezogen. Gustav Mahler kam erstmals 1893 in unser Wirtshaus zum Höllengebirge, sagt Georg Föttinger, der das Haus jetzt in 5. Generation führt.

Dass der Komponist vier ganze Sommer von Mai bis September hier verbrachte ist nicht nur der atemberaubenden Landschaft zu verdanken. Er war sehr geräuschempfindlich und die Schiffer, Flösser und Holzarbeiter im Wirtshaus waren ihm zu laut, sagt Georg Föttinger. Also ließ er sich von Föttingers Uroma ein kleines Komponierhäuschen möglichst nah am Wasser bauen und die kreischenden Krähen, die in den Eschen herumhüpften, gleich einmal erschießen. In dieser wohltuenden Ruhe entstanden seine 2. und 3. Symphonie sowie ein Dutzend Volkslieder.

Er kam dann nie wieder, sagt Georg Föttinger und dass das Mini-Haus zunächst als Schlachthaus, dann als Waschküche und schließlich in den 1950er Jahren als WC für den Campingplatz endete. Campieren kann man noch immer am Seegrund beim Wirtshaus das jetzt Föttinger heißt. Das kleine Komponierhäuschen am See ist heute aber wieder herausgeputzt, drinnen erinnern Tafeln, Handschriften, Noten und ein Bösendorfer an den Aufenthalt des Musikers.

Bis vor siebzig Jahren war hier nur Landwirtschaft mit einem Wirtshaus, sagt Georg Föttinger. Bis vor 15 Jahren mit eigener Fleischerei und Schlachterei, in der der Wirtssohn in den Sommerferien fleißig mitgearbeitet hat. Nach dem Rezept vom Uropa gab es sogar eine eigene Wurst die als „Touristenwurst“ verkauft wurde. In der Freizeit ging es dann aber sofort ins Wasser. Wenn du hier aufwächst, sagt Georg Föttinger, kannst du zuerst schwimmen, dann segeln.

Wenn du hier aufwächst, wird sich wohl niemals wieder ein anderes Wasser besser auf deiner Haut anfühlen, denken wir, als wir ein bisschen der Sommerhitze davonschwimmen. Das Atterseewasser ist nämlich extrem weich, weil es einerseits unterirdisch geklärt aus dem Mondsee gespeist wird, andererseits vom Äußeren Weißenbach der direkt aus dem Höllengebirge entkalkt in den See sprudelt.

An seiner Mündung im Ort Weißenbach stand im 18. Jahrhundert ein spektakulärer Holzaufzug, mit dem Baumstämme über den Berg gehievt und weiter zur Saline in Ebensee gebracht wurden. Das Holz kam aus dem ganzen Attergau, landete bei Schörfling im See und wurde mit Plätten bis Weißenbach gezogen. Die Arbeiter saßen hier in einer Taverne beisammen, die schon im 13. Jahrhundert erstmals erwähnt wurde. Als Kohle und Eisenbahn den mühsamen Holztransport ersetzten, wurde es nur kurz stiller im Haus.

1854 errichtet man hier die erste Post-Relais-Station am See, von der aus die Nachrichten recht schnell durchs Weißenbachtal zum Kaiser in Bad Ischl gebracht werden konnten. Im angeschlossenen „Hotel Post“ stieg von Kaiserin Sisi abwärts alles ab was Rang und Namen hatte, immerhin hatte man von der Terrasse einen grandiosen Blick über den See. Den hat man noch heute, allerdings im stilvollen 1950er Ambiente, da man das alte Gebäude damals komplett abriss. In der alten Waschküche richtete sich später der Wiener Pianist Friedrich Gulda ein Tonstudio ein, der ab 1962 den Attersee und Weißenbach zu seiner Heimat machte.

Damals, als die goldenen Zeiten des Sees als König der Sommerfrische bereits unter einer dicken Patina verblassten. Man fuhr jetzt nach Italien, Griechenland oder ins alte Jugoslawien ans Meer, vorbei am See, der sich trotzdem jedes Jahr in seine schönste türkisblaugrüne Schale warf. Recht wenig beachtet, bis ihn vor etwa 30 Jahren Taucher aus ganz Europa als Paradies entdeckten.

Ideale Bedingungen, sagt Günter Oberschmid, der in Steinbach mit seiner Pension „Zur Nixe“ zum Tauchertreffpunkt geworden ist. Obwohl er damals so wie alle Einheimischen den See mit Boot und Schwimmtempi nur an seiner Oberfläche schätzte. Heute ist er Tauchlehrer und liebt das schwerelose Wandern unter Wasser zwischen Baumstämmen, die wie Mikadostäbchen übereinanderliegen, das Schweben vor Felswänden die senkrecht von hoch droben bis zum Seegrund in 171 Metern Tiefe fallen, und den mystischen Tanz der Schlingpflanzen.

Allein die Hinkelsteine, ein großartiges Unterwassergebirge in 40 Metern Tiefe, sagt Günter Oberschmied mit so einem begeisterten Vibrieren in der Stimme, dass wir am liebsten auch sofort auf Entdeckungstauchgang gehen würden. Allerdings nicht mit dem metallenen Helm samt Schlauch, der in der Gaststube eine Ecke schmückt und aussieht wie ein Requisit aus einem frühen James-Bond-Film. Ist noch älter, sagt Günter Oberschmied und dass seinerzeit am Ufer zwei Männer permanent Pressluft in den Helm des Tauchers pumpen mussten. Damals hatte man aber auch noch Bleischuhe an. Die heutigen Taucher haben es leichter, gleich geblieben sind allerdings die idealen Sichtverhältnisse. Bis zu 35 Meter ohne Lampe, sagt Günter Oberschmied, so klar ist das Wasser selten in einem anderen See. Die berühmten Pfahlbauten unter Wasser findest aber nur, wenn du weißt wo sie sind, sagt er noch und legt den Zeigefinger verschwörerisch an die Lippen.

An etwa 30 Stellen hat man im See Reste von Siedlungen unserer Vorfahren gefunden, drei davon bekamen den Welterbestatus. Hier bei uns haben die Menschen erstmals Tiere domestiziert, wurden von Jägern und Sammlern zu seßhaften Siedlern, sagt Gerald Egger. Er ist im richtigen Leben Vertreter für Büromöbel, seine wahre Leidenschaft gilt aber der menschlichen Frühgeschichte. Pfahlbau kann man nicht studieren, sagt er, deshalb hat er sich vor vier Jahren gemeinsam mit anderen Hobbyforschern im Verein „Pfahlbau am Attersee“ zusammen getan, dessen Aktivitäten auch das Naturhistorischen Museum in Wien schätzt.

Vor 6.000 Jahren lag das Niveau des Attersees um 3 Meter tiefer und die Siedler bauten ihre Unterkünfte auf Pfählen entlang des Ufers. Diese Reste blieben deshalb so gut erhalten, weil sie unter Schlamm konserviert wurden. Wir haben sechstausend Jahre alte Haselnussschalen bei Weyregg gefunden, primitive Werkzeuge aus Feuerstein, Birkenteer, der aus Birkenrinde gewonnen wurde undundund, sagt Gerald Egger und dabei leuchten seine Augen so voller Finderstolz, dass wir fast glauben, Indiana Jones wäre sein Bruder im Geiste.

Als wollte er uns diese Theorie bestätigen, serviert er uns gleich noch einen kriminalistischen Plot aus grauer Vorzeit: der Mörder von Ötzi, sagt Gerald Egger im geheimnisvollen Flüsterton, der könnte gut und gerne von hier vom Attersee gekommen sein. Die Speerspitze nämlich, die man aus der Schulter des Dolomitenmannes zog, wurde damals nur von einer ganz kleinen Gruppe Menschen verwendet, deren Spur sich vom Gardasee bis zum Attersee zog, wo so ein Teil im Gerlhamer Moor auch gefunden wurde. Am Gardasee reklamiert man übrigens bereits den Mörder für sich. Da aber die Ötzi-Forschung derzeit von zwei Mördern ausgeht, könnte man sich das Verbrechen ja teilen. Wir warten gespannt auf Fortsetzung.

Ebenfalls aus dem Attersee-Schlamm geborgen wurden steinzeitliche Fischernetze aus Bast, Sehnen, Hanf und Brennnesseln. Gar nicht unähnliche hat noch der Großvater von Christian Scheichl in Unterach verwendet. Seine waren aus Rosshaar und Hanf, sagt der Fischer in 5. Generation, der zu den letzten fünf gehört, die das Fischen am Attersee hauptberuflich betreiben. Jeden Tag um 6 Uhr früh fährt er mit seinem Vater Sepp hinaus auf den stillen See und holt die Netze, die mittlerweile leicht und aus Nylon sind, ein. Bei jedem Wetter, egal ob die Felswände in der Morgensonne rotgolden leuchten oder die Regenwolken so tief hängen, dass man nicht einmal ans Ufer sieht. Das macht mir gar nichts, sagt Christian Scheichl, der schon als Sechsjähriger mit dem alten Holzboot rausfuhr. Nur mit zwei Rudern, den kleinen Motor haben sich die Scheichls erst später geleistet.

Fünf Netze werden jeden Abend ausgelegt, im Schnitt landen bis in der Früh 10 bis 15 Reinanken darin, die entweder über Buchenholz geräuchert oder frisch verkauft werden. Ein großartiger Fisch, sagt Christian Scheichl, mit tollem Fleisch, weil er ein Ausdauersportler ist. Wer einmal so einen Attersee-Wildfang probiert hat, zum Beispiel in der versteckten, pittoresken Bachtaverne in Weyregg oder hoch droben im Gasthaus Wachtberg mit großartigem Panoramablick über den See Richtung Westen, wird ihm Recht geben.

Zwetschkenlandl nannte man früher die Ostseite vom Attersee, sagt Rosi Huber, in deren Garten hauptsächlich Zwetschkenbäume stehen. Mit elf Jahren übersiedelte sie aus dem Innviertel zu ihrer Tante in den Moorhof, den ehemaligen Stallungen von Schloß Weyregg. Hier im Haus wurden schon immer Zwetschken gebrannt, sagt Rosi Huber, das ist der Geruch meiner Kindheit. Sie lernte zunächst Tischlerei – ihre Vorfahren waren bekannte Zillenbauer am See – erst als ihr die Tante das Haus übergab, kam auch sie aufs Schnapsbrennen. Seit drei Generationen ist das Brennen bei uns in weiblicher Hand, sagt sie und dabei huscht ihr kurz ein bisschen Stolz übers Gesicht.

Von Null an hat sie damals begonnen und es hat eine Weile gedauert bis der Funke übersprang. Heute werden ihre Edelbrände und Liköre oftmals prämiert, wobei sie sich immer wieder etwas einfallen läßt. Einen Brotgewürzgeist zum Beispiel, an dem wir jetzt riechen und sofort einen Gusto auf ein Speckbrot kriegen. Oder einen Pfahlbauschnaps, ein Apfelbrand mit eingelegtem Bernstein, der nach einiger Zeit sein Harz darin abgibt. Ihr neuester Versuch ist ein Zirbenholzgeist und zwar nicht aus den Zapfen, so wie üblich, sondern wirklich aus dem Holz. Einmal schnuppern, und schon ist man geistig mitten im Wald gelandet.

Auf der anderen Seeseite drüben in Nussdorf bei Norbert Haberl riecht es auch nach Zirben. Zirbler nennt er den Luftbefeuchter, der ganz natürlich durch eine einfache Holzkonstruktion mit reinem Wasser und mit Schwerkraft funktioniert. Ohne Strom, ohne Metall, nur so wie er ist sorgt er für gute Raumluft und erholsamen Schlaf. Das ist aber nur ein Nebenprodukt, sagt der gelernte Tischler, der vor 15 Jahren aus der Familientischlerei ausstieg um aus seiner Leidenschaft für Holz etwas Großes, etwas Schönes zu entstehen zu lassen.

Seither macht er kunstvolle Tischplatten, in denen vermeintliche Fehler wie Einschlüsse von Ästen oder Spuren von Käfern zum Stilmittel werden. Dafür sammelt er ganze Baumstämme, läßt sie der Länge nach in 10 cm dicke Platten schneiden, die noch fünf Jahre lufttrocknen. Die Risse werden dann mit Harz ausgegossen, jede Wurzel, jedes Astloch mit eingearbeitet. Es muss nicht immer alles perfekt sein, sagt Norbert Haberl. Gerade die Unperfektheit der Natur ist spannend, hat etwas Anziehendes.

Wir stehen jetzt vor seinem Schauraum, einem Schuppen mitten in einem Getreidefeld und schauen hinunter auf den See. Dunkelblau ist er heute und macht gerade einen auf Bergsee, kräftig unterstützt vom Höllengebirge. Aus weiter Ferne ist leises Donnergrollen zu hören. Bald wird der Wind die Wellen aufpeitschen, ihnen weiße Krönchen verpassen und wir werden im Regen stehen. Macht nichts, denken wir, ziehen unsere Regenjacken an und bleiben einfach da wo wir sind. Denn selbst ein Gewitter macht den Attersee spannend und anziehend. 

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