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Die Porzellanmacherin

Servus Magazin April 2017
SCHERBEN FÜR DIE EWIGKEIT

Für Porzellan waren die Zeiten auch schon einmal besser, selbst große Traditionsmanufakturen haben zu kämpfen. Nur in einer kleinen Werkstatt Wien Ottakring trotzt Hedwig Rotter kurzen Moden und formt schöne Dinge in reinster Handarbeit.

© Foto Manuel Zauner

Der Scherben verzeiht dir nichts. Gar nichts! Hedwig Rotter hält eine glänzende weiße Teeschale gegen das Licht, ein hauchzartes Stück Porzellan, durch das die Konturen ihrer Finger Schatten werfen. Man sieht sich damit auf einer sonnendurchfluteten Terrasse am mit Blüten dekorierten Tisch sitzen und elegant daraus rauchigen Earl Grey nippen. Auch Grüner Tee könnte zartgelb in dieser perfekt geschnittenen Tasse schimmern, für die selbst die niedliche Bezeichnung Häferl zu derb und grobschlächtig danebenhauen würde. Trinkgefäß könnte gerade noch durchgehen, aber Scherben?

Scherben, sagt Hedwig Rotter, das sagen wir auf Fachchinesisch zu allem, was man aus Porzellan macht. Dabei perlt sie einen Lacher, so samten und tiefkehlig in den Raum, dass er sich wie feines Gewebe über all die schönen Dinge legt. Perfekt, denken wir, ein Ton höher und wir hätten Angst, es könnte was zerspringen im Porzellanladen. Tut es natürlich nicht, wenn es fertig gebrannt und glasiert, adrett aufgereiht dasteht. Obwohl hauchdünn, ist Porzellan hart und robust und es braucht schon einiges an Gewalt oder Ungeschicklichkeit, um es zu zerstören. Vor allem Fine Bone China, das härteste Porzellan der Welt, mit dem die Wiener Porzellanmacherin arbeitet.

Ich habe mir damit vor fünf Jahren eine neue Herausforderung gesucht, sagt Hedwig Rotter, die bis dahin mit herkömmlicher Porzellanmischung aus Kaolin, Quarz und Feldspat arbeitete. Bei Fine Bone China – China ist das englische Wort für Porzellan – kommt noch Knochenasche von Rindern dazu, was das Material transparenter, glänzender und härter macht. Aber auch schwieriger in der Bearbeitung, weil es während des gesamten zweiwöchigen Prozesses absolute Genauigkeit verlangt.

Seit über 15 Jahren stellt Hedwig Rotter Geschirr und Gebrauchsgegenstände her, die sich in jeder Museumsvitrine gegen die berühmten Vertreter der Wiener Werkstätten und die noch berühmteren und noch älteren aus Großbritannien, Deutschland und China behaupten könnten. Als Ein-Frau-Manufaktur mitten im 16. Bezirk, in Ottakring also und gleich neben dem Brunnenmarkt, war das ein gewagtes Unterfangen.

Laufkundschaft? Fehlanzeige, dazu liegt der Laden zu versteckt. Erst nach vier harten Jahren hatte sie sich mit ihrem handgefertigten „Porzellanerien“ so einen guten Namen gemacht, dass ihre Kunden heute auf der ganzen Welt verstreut sind. Sogar nach Neuseeland musste ich schon etwas schicken, sagt Hedwig Rotter wieder begleitet von diesem Lacher mit dem wohlklingenden Timbre. Eine als Speibsackerl verkleidete Porzellanvase, zu der sie bei einem Flug inspiriert worden war, ging auf die weite Reise, wobei der Versand mehr als die Vase selbst kostete. Immerhin kam sie nicht als kaputter Scherben an.

Als ich in den neunziger Jahren aufs Porzellan gekommen bin, sagt Hedwig Rotter, da war es bereits dreißig Jahre aus der Mode. Derzeit ist allerdings ein leiser Aufwind zu spüren. Das Griss ums Lilienporzellan, das mit seiner pastelligen Buntheit einen Hauch der wilden 1960er Jahre in den biedermeierlichen Alltag der Jetztzeit bringt, lenkt den Blick wieder ein bisschen mehr aufs edle Geschirr. Noch ist er aber verstellt vom getöpferten Steinzeug, das mit seiner erdigen Natürlichkeit den Nerv der Zeit im Moment besser trifft.

Ans Töpfern muss ich mich erst herantasten, sagt Hedwig Rotter, weil man sich da nach dem Ton richten muss. Sie aber will das Material in die Form bringen, die sie sich vorstellt, es nach ihren Ideen gestalten. Ihre Anregungen holt sie sich aus dem Alltag, erst durch die Bearbeitung mit dem edlen Material werden daraus kunstfertige Gebrauchsgegenstände. Eine Serie in Form von Syphonen zum Beispiel entstand, weil ihre Waschmuschel dauernd verstopft war und sie das Teil immer wieder in der Hand hatte. Oder Milchbecher in Euterform, die sie an die Kühe in ihrer Kindheit erinnerten. Aber auch den klassischen Formen von Kaffee- und Teetassen verpasst sie durch Strukturen und Farbgebung eine unverwechselbare Optik.

 

Klare Linie, präziser Schnitt, reine Farben, formvollendet – das sind die Ansprüche die Hedwig Rotter an die Dinge stellt, die sie mit ihren Händen macht. Lässigkeit gestattet sich die 53-Jährige vielleicht in ihrem Privatleben, bei ihren Arbeiten aber ist das Streben nach Perfektion, also nach Qualität, groß. Als Perfektionistin kannst dich schwer unterordnen, sagt sie. Vermutlich mit ein Grund, warum sie am liebsten allein in ihrem Atelier vor sich hin werkelt.

 

Bereits als Kind hat sie im tiefsten Südkärnten in der Au hinterm Haus nach Tonerde gegraben und Gegenstände und Figuren daraus gebastelt. Die Geschicklichkeit, sagt sie, hat sie von ihrer Mutter geerbt. Die ist handwerklich so begabt, die kann alles machen, sogar ein Haus mit eigenen Händen bauen. Die Tochter aber wollte kein Haus bauen, die Tochter zog es nach Wien. Vielleicht, weil man sich in der Anonymität der Großstadt freier fühlen kann und sich keiner kleinen Dorfgemeinschaft unterordnen muss. Vielleicht aber auch nur aus Neugierde.

 

Nach ein bisschen Leben, einem Job bei einem Steuerberater und einem Bildhauerkurs landete Hedwig Rotter auf der Kunstakademie in der Klasse von Matteo Thun und hatte dort das erste Mal mit Porzellan zu tun. Ich war schon 27, sagt sie über die Begegnung mit ihrem zukünftigen Lieblingsmaterial, in dem Alter weißt du, was du willst, auch wenn du nur zufällig drüber stolperst. Während des Studiums machte sie Projekte für Rosenthal, für ihre Diplomarbeit, eine Badezimmerserie interessierte sich sogar Alessi. Letztendlich war dem italienischen Hersteller die Umsetzung aber leider zu teuer. Und weil das mit dem Perfektionismus auch ein starker Motor beim Lernen sein kann, setzte Hedwig Rotter noch eines drauf und ging nach Barcelona um ein Jahr Industriedesign zu studieren.

Eine wunderbare Zeit, eine wunderbare Stadt, sagt Hedwig Rotter mit einem sehnsüchtigen Blick, zum dem im Hintergrund jetzt Leonhard Cohen leise seufzt. Musik ist neben Idee und Material die wichtigste Zutat, die die Porzellanmacherin zum Arbeiten braucht. Gleich hinter ihrem kleinen Geschäft liegt die noch kleinere Werkstatt. Während vorne die fertigen Stücke in exakter Geometrie und in rechten Winkeln horizontal angeordnet sind, geht hier hinten die Ordnung in der Senkrechten bis hinauf zum Plafond. Penibel nach Größe zusammengestellt stapeln sich die Prototypen aus Gips in den Regalen, in einer Ecke rührt ein mechanisches Rührwerk die flüssige Porzellanmasse rhythmisch vor sich hin wie einen Palatschinkenteig. Spätestens wenn Hedwig Rotter die Gipslade öffnet und das weiße Pulver mit beiden Händen heraus schaufelt, kommt man sich vor wie in einer Küche.

 

Viele meiner Sachen haben ja auch nachher was mit Essen zu tun, sagt sie, während sie die Masse in die Gipsform für eine Schüssel füllt. Nach kurzem Antrocknen schüttet sie die Porzellanmasse vorsichtig wieder zurück ins Rührwerk, nur die Gipsform ist jetzt mit einer dünnen Schicht Porzellan ausgekleidet. Der Gips entzieht dem Porzellan Wasser und nach einiger Zeit, läßt sich die Porzellanschicht aus der Form lösen. Die einzigen Werkzeuge, die dafür herum liegen sind eine Ziehklinge zum Gipsabziehen, ein Gummihammer, den man eventuell zum Lockern der Form braucht und eine alte Bankomatkarte, mit der die Schüssel exakte Randkanten bekommt. Ich bin eine notorische Wiederverwerterin, sagt Hedwig Rotter, selbst wenn etwas zu Bruch geht, zerbrösele ich es und verarbeite es in der nächsten Porzellanmasse wieder.

Das was wir hier so im Zeitraffer geschildert haben, dauert natürlich in Echtzeit viel länger. Es ist ein Kampf mit meiner Ungeduld, gesteht Hedwig Rotter, das Material zwingt mich zur Geduld. Beim Porzellanmachen wird nämlich viel gewartet: bis die Masse die passende Konsistenz hat, die Gipsmodels trocken sind, die Porzellanschicht die richtige Stärke hat und bis die Stücke so trocken sind, dass man sie entformen kann. Dann wird retuschiert und glatt geschliffen, denn Bone China ist im Gegensatz zu herkömmlichen Porzellan nach dem ersten, dem Rohbrand, zu hart zum Bearbeiten. Zunächst wird bei 1.000 Grad gebrannt und dann muss ich zwei Tage lang warten, bis der Ofen auf 100 Grad runtergekühlt ist, sagt Hedwig Rotter.

Wer neugierig ist und die Ofentüre vorher öffnet, hat verloren, weil die Stücke durch den Temperaturunterschied springen. Insgesamt vier Mal wird je nach Dekor, Farbe oder Transparentglasur auf bis zu 1.260 Grad hochgebrannt und wieder abgekühlt, nach zwei Wochen hält man erstmals die fertigen Stücke in der Hand. Und die sind dann perfekte Scherben für die Ewigkeit.

 

Oder auch nicht, sagt Hedwig Rotter, wenn man dem Porzellan zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. Kleine Dellen lassen sich zwar beim Formen ausbügeln, aber beim Brennen sind sie wieder da. Porzellan merkt sich alles, sagt Hedwig Rotter und prüft die nächste Tasse gegen das Licht. Aber leider, sagt sie dann, hat es mir noch nicht verraten, wieso es so gar nichts vergessen kann. Und dazu seufzt Leonhard Cohen leise im Hintergrund „So long Marianne“.

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