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Heimatleuchten Klosterneuburg

Servus Magazin Mai 2018
DER VORGARTEN DER GROSSEN STADT

Im Windschatten von Wien kuschelt sich Klosterneuburg zwischen Donau und Wienerwald ins Gelände. Eine Land-Idylle für alle, die dem Lärm der Hauptstadt entfliehen, aber auch ohne ihrem Trubel nicht leben können.

© Foto: Philipp Horak

Den echten Klosterneuburger, gibt’s den? Wolfgang Ure, 55, runzelt die Stirn und fährt sich mit den mächtigen Händen durch die Haare. Wir stapfen von Kierling aus Richtung Redlingerhütte und versuchen dem Wesen des Klosterneuburgers auf den Grund zu gehen. Aber genauso wie die Eschen, Buchen, Eichen und Fichten ringsum mit ihren vielfältigen Grüntönen, Blättern und Nadeln im Gesamten die Einzigartigkeit des Wienerwaldes ausmachen, sind auch die Klosterneuburger eine Mischkulanz. Genaugenommen eine Wiener Mischkulanz. Junge Familie ziehen her, erwachsene Kinder ziehen wieder in die Stadt, es herrscht ein reges Kommen und Gehen, das Thema Einheimischer braucht man hier gar nicht anschneiden. 

In diesem pittoresken Vorgarten der Hauptstadt reißen sich in schönen Sommern die Wiener um die Stelzenhäuser an der Donau, um sie nach dem nächsten Hochwasser wieder auf den Markt zu werfen, damit sich die nächsten an der Natur-Idylle probieren können. Zu anstrengend das Schlammschaufeln und von den Gelsen haben sie dann auch schon wieder genug, sagt Wolfgang Ure und lacht wie einer, der von Klein auf gelernt hat sich mit den saugenden Biestern zu arrangieren. Auch seine Eltern sind in den 1960ern heraus nach Klosterneuburg-Kierling gezogen um den Traum vom Leben auf dem Land zu verwirklichen, allerdings in einem richtigen Haus mit Grund drumherum. Sie waren Bio der Stunde Null, sagt Wolfgang Ure und dass der Vater hier einen riesigen Obst- und Gemüsegarten angelegt hat. 101 ist er heute und freut sich noch immer sehr darüber. 

Es mutet ja ein wenig seltsam an, wenn der Wiener sagt er fährt aufs Land und damit Klosterneuburg meint. Immerhin ist das die drittgrößte Stadt Niederösterreichs, mitsamt den Ortsteilen Kierling, Kritzendorf, Höflein, Weidling, Weidlingbach und Gugging. Direkt an der Donau liegen nur Höflein und Kritzendorf, der Rest verstreut sich mit den Weinhängen im Wienerwald. 

Als Kierlinger war ich als Kind lieber im Wald, die Donau-Au hat gemiefelt, sagt Wolfgang Ure. Doch wenn es warm wurde bestimmte der große Strom mit seinen Gestaden eindeutig das Leben. Allein wenn die Badleut’ wieder kommen, sagt Wolfgang Ure, musste man dabei sein. Gemeint sind wieder die Wiener, die ihre Kabanen im Strombad Kritzendorf mit Kind, Kegel, Kochtöpfen und jeder Menge Schmäh beziehen. Seit 1903 gibt es das Freiluftstrombad, das liebevoll „Riviera an der Donau“ genannt wird, auch weil sich dort vor dem 2. Weltkrieg die Wiener Kunst- und Kulturszene im Badekostüm zum Gedankenaustausch an der frischen Luft traf. Ins Wasser ging hier aber nur wer gut schwimmen konnte, zu stark war die Strömung vor allem bis zur Errichtung des Kraftwerkes Greifenstein 1985. 

Einmal über die Donau schwimmen, sagt Wolfgang Ure, war natürlich bei uns die Mutprobe schlechthin. Wobei am meisten die Strudeln gefürchtet waren, deren Sog einen unweigerlich in die Tiefe zieht. Früher gab man den Donauweibchen die Schuld, heute weiß man, dass man lieber vorher trainieren sollte, bevor man den mächtigen Fluss herausfordert.

Ebenfalls zu den Mutproben einer Klosterneuburger Jugend gehörte einst das Durchqueren der Psychiatrischen Einrichtung Gugging. Nur mit dem Rad, sagt Wolfgang Ure, zu Fuß hat sich keiner getraut. Wie ein kleines Dorf im Dorf agierte die Heilanstalt bis 2007 mit eigener Landwirtschaft, Feuerwehr, Wäscherei etc. und für jedermann zugänglich. Auf dem riesigen Gelände residiert heute die IST Austria (Institute of Science and Technology Austria), eine Forschungsuni, in der Gegend kurz „der Campus“ genannt. Falls einer der internationalen Wissenschaftler einen kleinen Spaziergang zum Hirnauslüften macht, nimmt er vielleicht auf der kunstvoll geschwungenen eisernen Bank in Form eines Labyrinthes Platz. Ist der Querschnitt eines Gehirns, sagt Wolfgang Ure, der das Objekt für den Multimediakünstler Peter Kogler realisiert hat. In seiner Werkstatt in Wien Floridsdorf, wo Wolfgang Ure Möbel und Kunst aus Metall entweder nach eigenen Entwürfen oder mit Künstlern herstellt.

Schräg hinter der Bank führt der Weg auf einen Hügel und zum Museum Gugging, das ebenfalls Gäste aus aller Welt anzieht. Einer der bekanntesten war Popmusiker David Bowie, der sich 1994 einen ganzen Nachmittag lang bei den Künstlern von Gugging zu seiner Platte „Outside“ inspirieren ließ und einige Bilder für seine Sammlung erstand.

Alles begann hier in den 1950er Jahren, als der Psychiater Leo Navratil seine Patienten zum Zeichnen und Malen animierte. So entstand die Künstlerkolonie, die mit ihrer „Art Brut“ weltberühmt wurde. Das Haus der Künstler ist mit 14 Menschen derzeit wieder voll belegt, sagt Nina Katschnig, die Leiterin der Galerie im Museum, die mit Einzel- und Wanderausstellungen Neugierde und Interesse an dieser besonderen Kunst auch in der Gegenwart aufrecht erhält. 

Es ist eine vielschichtige, faszinierende Welt in die man hier eintaucht, Objekte und Bilder angefüllt mit kleinen Details, an denen man im täglichen Leben achtlos vorübereilt, manchmal bunt und fröhlich, manchmal komplex und verschlungen so wie die Seele des Menschen nun einmal ist. Und voller Humor, wie etwa die bunten Krickerln von Johann Garber, der an die Tradition seiner großen Vorgänger Oswald Tschirtner, Johann Hauser oder August Walla nahtlos anschließt.

Der Walla war ein Koloß mit einer kleinen zarten Mutter, sagt Wolfgang Ure, der im Sommer oft mit den beiden im Bus nach Klosterneuburg fuhr, wo die Wallas eine Donauhütte hatten und der Kierlinger mit der Bahn ins TGM nach Wien zuckelte. Wer tagein tagaus mit Menschen außerhalb der Norm zu tun hat, für den wird das zur Normalität, sagt Wolfgang Ure und ja vielleicht fördert das auch die Toleranz im eigenen Leben.

Eine ganz eigene Welt, auch bisschen außerhalb der Norm, hat sich Franz Müller, 75, in Kierling aufgebaut. Hinter der schmucklosen Fassade ehemaliger Militärbaracken am Bahndamm verbirgt sich ein Sammelsurium an Dingen, eine Art Wundertüte, die sich Ausstatter der kreativen Szene als Geheimtipp genauso zuraunen, wie alle die gerne handarbeiten und viel selber machen. 

Ich lebe von den Resten und dem Überfluss, sagt Franz Müller den alle respektvoll Herr Müller rufen. Er kauft den Überschuss von Stoff, Leder-, Zubehör- und Waren-aller-Arten-Firmen in bester Qualität günstig auf und gibt sie zum kleinen Preis an seine Kunden weiter. Ein Gröscherlgeschäft das sich keiner antut, nennt er das, was er mit Leidenschaft tut und wo er vor 40 Jahren zufällig reingerutscht ist. Einen Taschenladen in Wien Margareten hatte er einst als er nebenbei erkannte, dass das Geschäft mit Restposten, die Firmen mühsam entsorgen müssen, andere aber suchen, lukrativ sein kann. Heute stapeln sich allein 3.500 Tonnen Stoffe in seinem Lager und wer etwas Bestimmten nachjagt kommt aus ganz Europa angereist.

Halle 2 Gang 1, ruft Herr Müller jetzt einer Kundin zu, die unter den Milliarden Sachen einen passenden Knopf sucht. Ja das ist mein Reich, sagt Herr Müller, da kennt er sich aus und darum wohnt er auch mit seinen 13 Katzen hier. Und weil Herr Müller neben seiner Geschäftstüchtigkeit mit einem großen Herz ausgestattet ist, verdienen sich bei ihm bereits die Kinder seiner Mitarbeiter aus aller Welt ihr Studium. Eine riesengroße Familie, so bunt und vielfältig wie der ganze Laden.

Ebenfalls eine eigene Welt, eine spirituelle, künstlerische, in der man auf Schritt und Tritt den Atem der Geschichte spürt, ist das Chorherrenstift Klosterneuburg. Zwischen all den Schätzen könnte man vermutlich Wochen verbringen und sich zum Beispiel mit dem alten Streit beschäftigen, ob der Goldschmied Nikolaus 1181 die Emailtafeln des berühmten Verduner Altar hier oder in seiner Heimat angefertigt hat. Oder über den Brautschleier der Agnes rätseln, den der Legende nach ein Windstoß hierher verfrachtete, wo 1114 ihr Gatte, der Babenberger Leopold III. als Dank das Stift errichten ließ. Wissenschaftler haben anhand des Blütenstaubs bewiesen, dass es ein orientalischer Stoff aus dieser Zeit ist, den Agnes vermutlich ganz profan dem Kloster damals geschenkt haben soll. 

Neben all diesen Pretiosen, sagt Wolfgang Ure, ist das Stift im Alltag allgegenwärtig. Die Chorherren sind nämlich nicht nur die größten Immobilienbesitzer rundum, sie sind mit ihren Land- und Forstbetrieben, den Gärten, der Bibliothek und dem ältesten Weingut des Landes auch der größte Arbeitgeber. Und sie prägen mit ihren Festen und Veranstaltungen das kulturelle Leben. Meine Mutter war im Kirchenchor, sagt Wolfgang Ure, und ich singe bis heute in einem Chor. Allerdings in einem weltlichen.

Wir haben inzwischen die Redlingerhütte erreicht wo gerade Walter Soyka seine Knöpferlharmonika auspackt. Die Wiener Liedermacher rund um Ernst Molden kommen gerne in diese Oase, wo sich ihr Blues perfekt in die grüne Idylle schmiegt. Ich habe mich vor 40 Jahren in die Ruine verliebt, sagt Hans Riegler, 70, der die Hütte mit eigenen Händen Stück für Stück renoviert hat. Davor hat er in Wien die legendäre Gärtnerinsel auf der Wienzeile betrieben. Dann wollt ich aber mit meinen Kindern raus aufs Land, sagt er und drückt seinem Sohn Simon das Tablett mit dem selbstgemachten Hollersaft zum Servieren in die Hände. 33 ist Simon Riegler heute und hat die letzten Jahre in Wien gelebt und sich als DJ einen Namen gemacht. Jetzt zieht es mich wieder hierher, sagt Simon, der seit heuer mit dem Vater die Hütte schupft, aber in Wien lebt und täglich hin und her pendelt. Echte Klosterneuburger halt, sagt Wolfgang Ure und grinst von einem Ohr zum anderen. Im Grünen leben, aber Wien nur ja nicht aus den Augen verlieren.

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