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Prater

Servus Magazin August 2016
DER WIENER UND SEIN PARADIES

Der Prater feiert heuer sein 250 Jahre Jubiläum. Wir feiern mit und machen einen kleinen Spaziergang zwischen Schein und Sein.

© Foto Philipp Horak

Er ist ein Gaukler, der Prater. Kein Scharlatan, der Böses im Schilde führt, sondern ein echter Wiener, der sich in Schale wirft, um dich mit Glanz und Schmäh zu blenden und nur ja nicht gleich mit der ganzen Wahrheit herauszurücken. Ein Verführer, der dich mit Illusionen füttert, denen du dich gerne hingibst, wohl wissend, dass es nur der schöne Schein ist, von dem du dich so freudig trügen lässt.

Dem Wurschtelprater geht man nur als Kind kurz auf den Leim. Man macht bereitwillig auf Cowboy im Pferde-Karussell, fühlt sich wie ein Formel-1-Pilot, obwohl man nur im Autodrom am Lenker dreht und kreischt erschrocken, wenn die Fratzen in der Geisterbahn aus dem Nichts plötzlich in die Höhe schnellen.

Hat er die Welt aus Pappmaschee-Kulissen einmal durchschaut, kommt der Wiener trotzdem immer wieder. Das Vergnügen, sagen die Leute, das lassen wir uns nicht nehmen. Und den Wurschtel, sagt ein altes Wienerlied, den kann sowieso keiner erschlagen. Schon gar nicht die Wirklichkeit. Also taucht man weiter gerne ein in diese bunte Fantasiewelt, die weit weg vom Alltag der Seele ein paar Stunden Leichtigkeit verspricht. Was sie im Übrigen so gut wie immer hält und der Wiener im Prater fleißig Punkte für sein Erinnerungskonto sammelt.

Man schießt dann Rosen oder Teddybären als Liebesgaben, die einen wie ein süßes Pfand noch lange diesen einen, flüchtigen Moment der Innigkeit aus dem Gedächtnis holen. Man lässt sich vom Praterturm, dem höchsten Kettenkarussell der Welt, in den Schwindel treiben und sich dabei die Stadt zu Füßen legen, um dann im Schweizerhaus bei ein paar Krügeln Bier den Blick wieder zu erden.

Seit den 1840er Jahren steht diese Wiener Institution an der Grenze zwischen dem schrillen Trubel der kaufbaren Ablenkungen und dem grünen Prater – einer riesigen Spielwiese für Natur und Mensch, wo der Prater gekonnt auf Urwald mitten in der Stadt macht und jeder ihm den Gefallen tut, so zu tun, als würde er das ernst nehmen. Denn längst ist es reinste Kulturlandschaft, in der die alte Aulandschaft nur noch an ein paar Ecken tramhapert vor sich hindöst, so als hätte die Zeit den Atem angehalten und alleine die Natur das Sagen.

Komm her, flüstert der Prater, ich bin wild, hier bist du frei. Gerne, antworten die Wiener und folgen ihm in Scharen. Jedes Wochenende und das seit seiner Öffnung durch den Volkskaiser Joseph II. im Jahr 1766. Benannt nach der ursprünglichen Besitzerfamilie de Prato, wurde das Augebiet im 16. Jahrhundert von Kaiser Maximillian II. eingezäunt und zum Jagdrevier erklärt. Da war die Kastanienallee, die heute 4,4 Kilometer lange Hauptallee, die sich schnurgerade irgendwo in der Unendlichkeit verliert, bereits gepflanzt. Die Donau war noch unreguliert und schlang sich in verzweigten Armen durchs ansonsten recht unberührte Gelände.

 

Davon ist jetzt nur noch das Heustadlwasser übrig, benannt nach einem Stadl, der hier einst zur Rotwildfütterung stand. An schönen Tagen tummeln sich auf diesem bisschen Donauwasser, das an manchen Stellen Amazonas-Flair vortäuschen möchte, neben Tret- und Ruderbooten auch Libellen, Haubentaucher und Mandarinenten.

Noch unter Kaiserin Maria Theresia, der Mutter Joseph II., war es nur dem Hochadel gestattet die Allee auf und ab zu fahren, ohne die Kutschen zu verlassen. Es galt damals wie heute das Prinzip Sehen und Gesehen werden, allerdings noch ohne Volk, das neugierig versuchte durch die Zäune in die verbotene Zone zu spreanzeln. Als sich dann endlich in den Sommermonaten bis zum Sonnenuntergang die Tore für jedermann öffneten, durften sich hier alle auf Augenhöhe mit dem Adel fühlen. Natürlich eine Schimäre, trotzdem entwickelte sich das heute 6.000.000 Quadratmeter große Areal langsam zum sozialen Schmelztiegel, in dem die Bürger eifrig flanierten und ab 1890 die Arbeiter ihren 1. Mai feierten.

Auf der Allee wurde immer schon gesportelt, es gab Lauf-Wettkämpfe, Pferde- und ab 1903 sogar Autorennen. Die Strecken führten vom Praterstern bis zum Lusthaus und zurück, bei den Fiakern lag der Rekord bei 19 Minuten. Ohne Fahrgäste. Das Lusthaus, 1793 anstelle eines alten Jagdhauses errichtet, trägt heute stolz die Patina der Kaiserzeit vor sich her. Dabei wurde es wie so vieles im Prater gegen Ende des II. Weltkrieges vollkommen zerstört und neu auf alt wieder aufgebaut.

Eine der wenigen, die das Bombardement halbwegs überstanden haben, ist die Trabrennbahn Krieau. Seit 1878 kann man hier Einser-, Zweier- oder Dreierwetten setzen und sein Geld auf der Tribüne verspielen, ein Jugendstilwerk aus 1911 und der erste Stahlbetonbau Europas. Der Publikumsmagnet von einst hat längst seine Anziehungskraft verloren. Seiner flächenmäßigen Großzügigkeit rundum beraubt, wird er bald als denkmalgeschützte Staffage inmitten neuer Wohnhäuser melancholisch großen Zeiten nachhängen.

Auch die Künstlerwerkstätten gleich daneben haben die Kriegs-Zerstörung zum Teil überstanden. Die Pavillons im Grünen sind Überbleibsel der großen Weltausstellung 1873 und beherbergen bis zu 12 Meter hohe Ateliers. Sie wurden damals vom Kaiser per Dekret, das noch heute gültig ist, den Bildhauern zur Verfügung gestellt, da beim Bau der Ringstraße tausende Skulpturen und Statuen benötigt wurden. Später ließen sich u. a. Bruno Gironcoli, Karl Prantl oder Alfred Hrdlicka hier in der Abgeschiedenheit zu Großem inspirieren. Heute ist Ulrike Truger die einzige unter den 23 Künstlern, die noch an riesigen Steinen im Freien arbeitet. In der Weitläufigkeit des Geländes, beschattet von uralten Plantanen klingt das Klopfen mit Hammer und Meisel wie ein sanfter Rhythmus, der in hellem Klang mit dem Vogelgezwitscher rundum verschmilzt. An jedem anderen Ort der Welt wäre es Lärm.

 

An jedem anderen Ort der Welt würde auch eine Stadtautobahn, wie eine tiefe Schnittwunde in der grünen Oase wirken. Geh bitte, sagt der Prater, das kann man doch locker ausblenden. Ein paar Betonpfeiler, ein kurzes Rauschen und schon ist alles wieder vorbei und die Stadt in weite Ferne gerückt. Da schleichen dann die Kinder aus der nahen Volksschule wie Tom Sawyer und Huck Finn durchs dichte Unterholz hinter der Grafenwiese bis die Pausenglocke wieder läutet. Da finden sich Gläubige zur stillen Einkehr bei der Kapelle Maria Grün ein, die vom Blattwerk verborgen, nur ein paar Meter neben der Aspernallee liegt.

 

Und da entdecken selbst eingefleischte Stadtindianer noch Plätze, die sich jahrelang ihren Blicken entzogen haben. Bei der Waldandacht beim Krebsenwasser ist man ganz nahe dran dem Prater seine Urwald-Illusion abzukaufen. Im Wirrwarr der Lianen inmitten uralter Bäume stehen einsam ein paar verwitterte Grabsteine herum. Wer genau hinhört, dem erzählen sie die Geschichten von Menschen, denen der Prater Heimat war. Und dieser hat schützend seinen grünen Mantel über sie gebreitet, weil die Wahrheit, die muss man ja nicht immer gleich auf Anhieb sehen.

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