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Schiffsmühle

Servus Magazin August 2017
WASSERMANN & DONAUNIXE

In ihren Adern fließt reinstes Donauwasser, mit den Wellen haben sie schon als Kinder gespielt. Östlich von Wien leben Sabine Bergauer und Martin Zöberl so wie man dort seit Jahrhunderten lebt. Mit einer alten Schiffsmühle und einer Tschaike. Und mit dem Fluss, der den Ton vorgibt.

© Foto Peter Podpera

„Hörst du, wie schön sie jetzt singt?“ Sabine Bergauer lehnt den Kopf an den Schiffsrand und blickt dabei so versonnen drein wie eine Musikerin, die mit einer besonders schönen Melodie verschmilzt. Dazu überziehen Sonnenstrahlen ihre kupferfarbenen Locken mit einem Goldschimmer und verknüpfen ihr Haar sanft mit den glitzernden Wellen der Donau. Ja, genauso muss sie ausgesehen haben, die Donaunixe aus der Wiener Sagenwelt. Ein menschenfreundliches Wesen, das die Fischer rechtzeitig vor Hochwasser warnte, dessen Liebreiz aber auch so manchem den Verstand geraubt haben soll. Nicht wenige, so erzählt man, sind den leisen Gesängen des Donauweibchens in die Unterwasserwelt gefolgt, zurück ans Ufer schaukelte nur mehr das leere Boot.

Ob Sabine Bergauer singt, wissen wir nicht. Vielleicht manchmal, alleine am Ufer untermalt vom Rauschen des Flusses. Und begleitet vom Geschiebe der Donau, einem beinahe wehmütigen Summen samt zartem Knirschen, das auch wir jetzt hören, als wir das Ohr an den hölzernen Balken der Tschaike legen. Stark ist der Strom zwischen Wien und Bratislava, sagt Sabines Mann Martin Zöberl. Frei fließend und mit einem Gefälle von 50 Zentimeter auf einem Kilometer Länge transportiert die Donau hier 300 Kilo Steine pro Kubikmeter Wasser, sagt er noch und katapultiert uns damit direkt zurück aus der mystischen Welt in die Realität. Wir hören also weder ein Konzert der Donaunixen mit dem Wassermann, wir hören lediglich Steinegerumpel. So schön bekommt man das allerdings nur hier und nur auf diesem Boot zu hören.

20 Meter lang ist das hölzerne Ruderschiff, das Martin mit einem 7 Meter langen Steuerruder lenkt, als wäre er mit ihm verwachsen. Den Kopf hoch erhoben, die Haare leicht vom Fahrtwind verweht strahlt er die Sicherheit eines Menschen aus, der am und mit dem Fluss lebt. Einem den die Donau im Laufe seines 54-Jährigen Lebens zwar Demut gelehrt hat, der sich aber von ihr niemals unterkriegen lässt und der ganz genau weiß, wie er mit ihr umzugehen hat.

 

Hier in Orth ist Martin Zöberl aufgewachsen und er hat Donauwasser im Blut. Sein Urgroßvater war einer der letzten Schiffsmüller, er ertrank in jungen Jahren 1903 in Mannsdorf bei einer Holzüberfuhr. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts gehörten die Schiffsmühlen zur Donau wie die Dauben der Fischer. Im Winter lagen die großen Mühlräder am Land, ab März wurden sie zwischen zwei Zillen montiert, klapperten die Ufer auf und ab und mahlten mithilfe der Energie des Stromes das Getreide der Bauern. 120 Schiffsmüller gab es auf den 40 Kilometern zwischen Lobau und Marchmündung, bevor sie mit der Erfindung der Dampfmaschine allesamt verschwanden.

 

Zur Kindheit von Martin Zöberl gehörten Donaugeschichten einfach dazu. Solche, die man sich hier sowieso seit Jahrhunderten erzählt, und solche, die seine familiären Wurzeln dokumentierten. Wenn einem der Strom dann auch noch direkt vor den Füßen liegt, will man ihn natürlich erforschen. Als Kinder konnten wir zuerst tauchen, erst dann schwimmen, sagt Martin. Schließlich war es interessanter, was sich da unten verbarg, wie die Donau oben aussieht wusste man ja eh. Damals war sie auch noch sehr trüb, sagt Martin, heute sieht man im Jänner am Grund immerhin schon eineinhalb Meter weit.

Irgendwann als Jugendlicher reifte vermutlich auch der Wunsch mit der Donau zu tanzen, mit ihr einen Rhythmus zu finden, der dich schweben lässt. Martin begann mit dem Rennrudern, machte im Einer und Zweier bei Regatten mit. Ich hab mir alles selber beigebracht, sagt Martin, und dass er aber leider zu spät damit begonnen hat. Karrieretechnisch gesehen. Was Strömung, Rudern, Rhythmus und die Donau überhaupt angeht, können ihm wohl wenige das Wasser reichen. Am ehesten noch seine Frau Sabine Bergauer, die sich dem Leben am Fluss neben aller Pragmatik auch mit Gespür und Intuition nähert. Jetzt zum Beispiel prophezeit sie ein Gewitter, obwohl sich der Himmel in ungemustertem Blau über uns wölbt. Sie kann’s spüren, sagt Martin und zwei Stunden später werden wir ihm Recht geben.

 

Auch Sabine hat Flusswasser in den Adern, jedoch das der March gleich um die Ecke. Aufgewachsen in einem Dschungel, wo hinter jeder Liane das Abenteuer wartet, jede Pflanze und jedes Insekt den Forschergeist weckt, wusste die heute 46-Jährige bald, dass man solche Naturjuwele erhalten muss. Es gibt viel zu viel Kulturlandschaften, sagt Sabine und man sieht ihr nicht an, ob sie sich insgeheim noch dazu denkt: und zu wenige Idealisten. Sabine selbst ist Idealistin. Sie studierte Hydrobotanik, Spezialgebiet Aulandschaften, und begann sich für den Umweltschutz an Flüssen zu engagieren.

Laut Film-Drehbuch müssten sich die beiden jetzt am Fluss treffen. Das Drehbuch des Lebens ließ sie aber in der Theatergruppe von Orth zusammenkommen, wo der gelernte Elektriker Martin für die Lichttechnik zuständig war und Sabine auf der Bühne stand. Wenn man die beiden heute sieht, ist man geneigt zu denken, dass es so etwas wir Vorherbestimmung gibt. Egal wo, sie mussten einfach zueinander finden. Allerdings können wir auch nicht sagen, wie es anders gewesen wäre.

Als Martin Sabine über sein Leben am Fluss und das seiner Vorfahren, die nachweislich seit 1872 vermutlich aber noch länger Schiffsmüller waren, erzählte, sprang der Funke über. Zweifach. Die beiden wurden erstens ein Paar. Zweitens, sagt Martin, ist uns passiert, dass uns das mit den Schiffsmühlen so richtig zu interessieren begann. Das war 1998 und sie begannen nach historischen Plänen im Alleingang eine Mühle nachzubauen. Wir dürfen an dieser Stelle bemerken, dass Martin einer von der ganz geschickten Sorte ist, mit großem Fachwissen über Holz und auch sonst wohl selten um eine Lösung verlegen.

Viele Geschichten gibt es über den dreijährigen Bau der Mühle zu erzählen, die 2001 erstmals in die Donau gesetzt wurde. Die wichtigste ist aber die von den Schweizer Zimmersleuten auf der Walz, die das Schicksal regelrecht anschwemmte. Gegen Kost und Logis in Humers Uferhaus brachten sie Wissen, Kraft und Können ein. Das Projekt sprach sich schnell herum, zog bald auch fahrende Zimmerer aus Deutschland an. Einige kommen uns bis heute besuchen, sagt Sabine und einer der Schweizer ist im nahen Wien sogar auf die Liebe getroffen.

Wenn schon, denn schon, dachte sich Martin gleich zu Beginn vor 20 Jahren, und meinte mit „denn schon“ die stilgerechte Anfahrt zur Mühle mit einem historischen Donauschiff. Die Tschaiken kamen mit der Ausbreitung des Osmanischen Reiches auf der Donau bis nach Wien. Das traditionelle Boot der Serben für mindestens 20 Ruderer, und im Kriegsfall einer Kanone, war dann fixer Bestandteil der kaiserlichen Donauflotte. Nur Ausgewählte wurden damals zu Tschaikisten ausgebildet, Tschaikisten-Offiziere bekamen eine Schiffsmühle als Altersvorsorge.

 

Eine Tschaike ist nicht leicht zu manövrieren auch das gleichmäßige Rudern verlangt Übung, sagt Martin und wir brauchen nicht lange zu raten, worin für ihn der Reiz lag. Er grub einen Originalplan aus 1768 aus und beauftragte Zillenbauer Anton Witti in Oberösterreich mit dem Bau des Bootsrumpfes. Herr Witti, sagt Sabine und grinst begeistert, hat noch nie was nach Plan gebaut. Aber in drei Monaten war er fertig, ergänzt Martin sogleich mit stolzem Unterton.

Gute sechs Tage brauchte Martin um das Boot von Wesenufer nach Orth zu bringen. Stromabwärts, nur gerudert. Heute ist die Tschaike zusätzlich mit einem kleinen Dieselmotor ausgestattet, damit braucht man vom nahen Schloss Hof immerhin 7 Stunden stromaufwärts zurück nach Orth. Auch zum Hinrudern mit 20 Mann sind es noch stolze 4 Stunden.

Wir stehen mittlerweile auf der Uferböschung die den kleinen Seitenarm von der Donau trennt, in dem jetzt die Schiffsmühle liegt, und schauen dem Strom beim Fließen zu. Einmal wollte ich mit einem umgebauten Einer bis ans Schwarze Meer rudern, sagt Sabine. Nach drei Wochen ist sie in Bulgarien wieder umgekehrt. Nicht wegen Schlechtwetters, einfach so, weil es sie wieder zurückgezogen hat. An diesen einzigartigen Ort und vermutlich auch zu Martin, der das weite Reisen so gar nicht braucht.

Ich bin ein Reisender auf der Donau, sagt er und zeigt so zirka in etwa in die Mitte des Stroms. Da fahr ich mit meiner Tschaike oder Zille raus, sagt er, werf den Anker und alles zieht an mir vorbei. Nur manchmal, vielleicht wenn ihn die Donau wie bei einem Spiel herausfordert, dann spannt er am Abend ein Segel auf seine Zille und segelt stromaufwärts bis nach Wien. Das geht locker, sagt er in dem sachlichen Ton desjenigen, der das Spiel bis jetzt immer gewonnen hat. Stolz richtet sich Martin am Ufer auf, während unten die Donauwellen verspielt vor sich hingluckern. Und für einen Moment scheint es so, als wäre der Wassermann aus der Sagenwelt wieder aufgetaucht.

 

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